
Moishe Postone:
Deutschland, die Linke und der Holocaust
Politische Interventionen
ça ira,
Freiburg 2005
Euro 18,00
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Moishe Postone:
Deutschland, die Linke und der Holocaust
Rezension von Karl Pfeifer
Diese Aufsätze von Moishe Postone, die der Freiburger ça ira Verlag
publizierte, verdienten von denen, die er kritisiert, von deutschen (und
österreichischen) Linken aufmerksam gelesen zu werden. Postone ist vor allem
ein gründlicher Denker, der seine Finger auf die wunden Stellen derjenigen
Linken legt, die in Manichäismus behaftet sind.
Bereits 1977 stellte er in seinem Aufsatz "Stammheim und Tel Zaatar" Fragen
über Moral und Politik, denen diese bis heute gerne ausweichen:
"Müssen wir, um den antiimperialistischen Standpunkt, den
sich die meisten von uns im Laufe des letzten Jahrzehnts angeeignet haben,
beizubehalten, alle Bewegungen, die sich als antiimperialistische
deklarieren, dermaßen unkritisch umarmen?"
Insbesondere lehrreich sind die im zweiten Teil des Buches zusammengefassten
theoretischen Erklärungen, die Auseinandersetzung mit der "Kritischen
Theorie und der Problematik der Geschichte des 20. Jahrhunderts". Postone
beleuchtet in "Der Holocaust und der Verlauf des 20. Jahrhunderts" zwei
grundlegende Probleme, Zivilisationsbruch einerseits und Marginalisierung
des Holocausts, wie z.B bei Eric Hobsbawns "Das Zeitalter der Extreme"
andererseits. In dieser Arbeit weist Postone auf den unter deutschen (und
österreichischen) Linken nach 1967 starken Antizionismus hin, der zwei
Funktionen gleichzeitig erfüllt(e). "Zum einen
konnte durch die Gleichsetzung von Zionismus und Nazismus der Kampf gegen
den Zionismus zum verschobenen Ausdruck des Kampfes gegen die
Nazivergangenheit werden. Zum anderen finden im weit verbreiteten Bild des
Zionismus antisemitische Bilder ihre Wiederkehr."
Postones "Antisemitismus und Nationalsozialismus"
ist vielleicht die gründlichste Kritik an einer auch bei Linken weit
verbreiteten Oberflächlichkeit, welche die Vernichtung der Juden außerhalb
des Rahmens einer Analyse des Nazismus behandelt und Antisemitismus eher als
peripheres denn als zentrales Moment des Nationalsozialismus versteht. Auch
diesbezüglich trifft er den Punkt: "Braucht sich
eine deutsche Linke mit der Vernichtung des europäischen Judentums durch die
Nazis deshalb nicht zu befassen, weil es die Wirklichkeit des Zionismus
gibt?"
Am
aktuellsten ist der letzte Beitrag "Geschichte und Ohnmacht /
Massenmobilisierung und aktuelle Formen des Antikapitalismus", Text eines
2003 gehaltenen Vortrags, in dem er sich mit der arabischen Welt, mit dem
dort weit verbreiteten Antisemitismus und mit der Rechtfertigung des
blutigen Terrors durch Teile der Linken befasst.
Es
ist zum Stehsatz der antiimperialistischen Querfrontkämpfer geworden, Israel
als faschistischen "Apartheidstaat" abzuqualifizieren. Interessant ist, dass
die südafrikanische Widerstandsbewegung ANC während des realen
Apartheidsystems sich weigerte eine Terrorkampagne gegen südafrikanische
weiße Zivilisten zu starten. Hinter Forderungen eine solche Terrorwelle zu
starten stand neben Rachebedürfnissen auch die Überzeugung, die weißen
Südafrikaner wären erst dann zur Abschaffung der Apartheid bereit, wenn sie
genauso leiden würden wie die schwarzen Südafrikaner.
"Das Zentralkomitee des ANC verweigerte solchen Forderungen
jegliche Unterstützung, nicht nur aus taktischen oder strategischen Gründen,
sondern auch aufgrund politischer Prinzipien. Das Argument lautete, dass
Emanzipationsbewegungen nicht die Zivilbevölkerung zum Angriffsziel
erklären."
Auch
wenn einige wenige Teile dieses 215 Seiten umfassenden Bandes für
Nichtmarxisten oder Marxisten ohne grundlegende philosophisch-ökonomische
Bildung schwer zu lesen sind, weil sie in einer Sprache geschrieben sind,
die nicht allgemeinverständlich ist, verdient Moishe Postones Buch weite
Verbreitung und eine breite Diskussion.
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hagalil.com
04-01-06 |