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Stephan Grigat (Hg.):
Feindaufklärung und Reeducation
Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus
ça ira-Verlag 2006
Euro 14,00

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Befreite Gesellschaft und Israel:
Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Zionismus

Von Stephan Grigat
erschienen in: Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus. Freiburg: ça ira-Verlag 2006, S. 115 - 129.

Kommunismus und kategorischer Imperativ des Zionismus

Es ist umstritten, ob es überhaupt legitim ist, Adorno oder Horkheimer als Kommunisten zu bezeichnen, wo sie sich selbst doch so sehr gegen diesen Begriff gesträubt haben, den sie durch den Sowjetmarxismus diskreditiert sahen. Doch jenseits alles akademischen Begriffsfetischismus kann man festhalten: das, was die Kritische Theorie befreite Gesellschaft nannte, ist der Sache nach nichts anderes als der Kommunismus, ein Kommunismus im Sinne der Kritik alles Bestehenden, einer Kritik, die sich jedoch spätestens nach Auschwitz zu Einigem dieses Bestehenden positiver verhalten muß, als es ihr lieb sein kann.

Kommunismus ist ein Begriff, der sich einer Definition im Sinne der gängigen Sozialwissenschaften entzieht. Streng genommen ist Kommunismus nichts weiter als die Bewegung der materialistischen Kritik. Kritiker, die Propaganda verabscheuen, sollten sich weigern, allzu detaillierte Beschreibungen einer befreiten Gesellschaft zu liefern. Aus der Kritik des Bestehenden ergibt sich allerdings in Grundzügen auch, was statt dessen sein sollte: Dem Kommunismus geht es nicht um eine Diktatur von Menschen über Menschen, sondern um eine Diktatur des Willens und der Wünsche der Menschen über die sachlich-materiellen Bedingungen ihres Daseins. Kritischer Theorie geht es darum, gesellschaftliche Zustände zu schaffen, die es den Menschen erstmals ermöglichen, ihr Leben selbstbewußt, das heißt, jenseits der Verwertungs- und Herrschaftsimperative von Staat und Kapital, zu planen. Das wäre dann nicht das Paradies auf Erden, in dem es keine Probleme und Widersprüche mehr gibt, aber eine nach Maßgaben der Vernunft eingerichtete Gesellschaft, in der niemand, und zwar nirgendwo auf der Welt, verhungern muß, weil er über keine zahlungskräftige Nachfrage verfügt.

Kommunismus in diesem Sinne hat weder mit dem traditionellen Marxismus noch mit alternativen Verzichtsideologien etwas zu tun; und vielleicht sollte man den Vorschlag des Autorenkollektivs von Situationistische Revolutionstheorie aufgreifen, die vorschlagen, mit Kommunismus die staatskapitalistischen und sonstigen Verunstaltungen der Marxschen Kritik zu bezeichnen, für das Projekt der allgemeinen Emanzipation im Sinne Kritischer Theorie aber auf die Schreibweise des 19. Jahrhunderts zurückzugreifen, also den Communismus gegen den Begriff des Kommunismus, der vor einer erneuten Verwendung im positiven Sinne desinfiziert werden müßte, in Anschlag zu bringen. (Biene u. a. 2005: 11 f.)

Kritischer Theorie geht es weder um eine gleichmäßige Verteilung des Elends, noch um Konsumverzicht. "Luxus für alle" kommt den Marxschen wie Adornoschen Intentionen schon sehr viel näher. Kommunistische Kritik will nicht vorbürgerliche Verhältnisse herstellen, weder was die Produktivität betrifft (bei aller notwendigen Kritik an einer unter dem Kapitalverhältnis entwickelten Technik), noch was die begonnene Emanzipation des Individuums aus den Fesseln archaischer Gemeinschaften angeht. Kommunistische Kritik kreidet dem Kapitalismus nicht an, daß er beispielsweise "Revox"-Stereoanlagen hervorgebracht hat, sondern, daß solche Dinge, obwohl das nicht notwendig wäre, den meisten Menschen vorenthalten werden; nicht durch den bösen Willen irgendwelcher Einzelner oder dem bewußten Handeln einer Klasse (auch, wenn das dabei eine Rolle spielt), sondern durch die Logik eines Systems, das sich nicht an den Bedürfnissen von Menschen, sondern an der Verwertbarkeit des Kapitals orientiert.

Kommunistische Kritik kreidet der bürgerlichen Gesellschaft nicht an, daß sie bestimmte Freiheits- und Individualrechte hervorgebracht hat, sondern weist darauf hin, daß eine Gesellschaft, die solche Rechte notwendig hat, weiterhin eine gewalttätige Gesellschaft ist. Diese Kritik richtet sich nicht gegen das Glücksversprechen der Bürger, sondern versucht seinen ideologischen Gehalt aufzuzeigen und zu verdeutlichen, daß dieses Versprechen in der bürgerlichen Gesellschaft gar nicht eingelöst werden kann.

Zudem weiß Kritische Theorie, daß es etwas Schlimmeres gibt als den Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft: ihre barbarische Aufhebung. Für diese negative Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft steht Deutschland, dafür stehen Nationalsozialismus und Faschismus, dafür stehen auch panarabisch-nationalistische und islamistische Ideen. Diese Ideologien stehen für einen ressentimentgeladenen Antikapitalismus, der das vom Kapital verursachte Elend nicht abschaffen, sondern nur anders, nämlich volksgemeinschaftlich oder ummasozialistisch, organisieren möchte und die zynische, den Tod zahlreicher Menschen achselzuckend in Kauf nehmende instrumentelle Vernunft der bürgerlichen Gesellschaft noch durch die wahnhafte Vernichtung von Menschen um der Vernichtung willen ergänzt.

Vor diesem Hintergrund ist die Parteinahme für Israel, für die man sich keine Sekunde lang darüber hinwegzutäuschen braucht, daß staatliche Verteidigungsmaßnahmen immer auch zu grauenerregenden Übergriffen führen, eine zwingende Konsequenz aus der kommunistischen Kritik. Hinsichtlich Israels könnte für an Emanzipation interessierte Menschen alles ganz einfach sein: Der Antisemitismus, der auch schon bei den Nazis antizionistisch war, hat zur Shoah geführt. Deutsche, Österreicher und ihre Hilfsvölker haben die Vernichtung organisiert und durchgeführt. Alle anderen Staaten waren lange nicht willens oder fähig den Massenmord zu verhindern. Die Gründung Israels war in einer Situation, in der auch nach dem Nationalsozialismus keine Anstalten gemacht wurden, die Grundlage für den modernen Antisemitismus ein für alle mal aus der Welt zu schaffen, die notwendige und leider viel zu spät gezogene Konsequenz.

Dementsprechend ist der Zionismus für die kommunistische Kritik zwar nicht die richtige Antwort auf den Antisemitismus (das wäre nach wie vor die Errichtung der klassen- und staatenlosen Weltgesellschaft, die freie Assoziation freier Individuen, die befreite Gesellschaft, die es den Menschen ermöglicht, ohne Angst und Zwang verschieden zu sein), aber er ist die vorläufig einzig mögliche.

Hier wird deutlich, daß der kategorische Imperativ in der Marxschen Fassung und in der bereits angesprochenen Adornoschen sich keineswegs widersprechen, daß also Adornos Forderung, alles Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts ähnliches geschehe, nur dann entsprochen werden kann, wenn man sich der Marxschen Forderung verpflichtet fühlt, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.

Der zionistische kategorische Imperativ lautete dann, vom materialistischen Verständnis aus betrachtet, in etwa: Solange es Menschen gibt, die sich zwar dem Marxschen Imperativ verpflichtet fühlen, mit ihrem Anliegen aber keineswegs erfolgreich sind, versuchen wir dem Adornoschen Imperativ dadurch gerecht zu werden, daß wir mittels Gewalt die körperliche Unversehrtheit von Juden und Jüdinnen gewährleisten. Oder, mit den Worten der Initiative Sozialistisches Forum aus Freiburg gesagt: "In dieser Perspektive ist Israel der bewaffnete Versuch der Juden, den Kommunismus noch lebend zu erreichen." (2002: 13)

Solange die emanzipative Überwindung von Staat und Kapital keine Aussicht auf Erfolg hat, gilt es, kritische Theorie als entfaltetes Existenzialurteil zu betreiben (vgl. Horkheimer 1937: 201) und an einem materialistisch zu interpretierenden zionistischen kategorischen Imperativ festzuhalten: alles zu tun, um die Möglichkeiten reagierender und präventiver Selbstverteidigung des Staates der Shoahüberlebenden aufrecht zu erhalten.

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Literatur:

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Adorno, Theodor W./Tobisch, Lotte (2003): Der private Briefwechsel. Graz – Wien

Biene Baumeistster Zwi Negator (2005): Situationistische Revolutionstheorie. Eine Aneignung. Vol. I. Enchiridion. Stuttgart

Diner, Dany (1969): Vorwort. In: Borochov, Ber: Die Grundlagen des Poalezionismus. Frankfurt/M.

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Horkheimer, Max (1949-1973): Briefwechsel 1949-1973. GS 18

Horkheimer, Max (1967): Zur Ergreifung Eichmanns. In: GS 8

Horkheimer, Max (1991): 'Zur Kritik der instrumentellen Vernunft' und 'Notizen'. GS 6

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Kraushaar, Wolfgang (Hg.) (1998): Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail. 1946 bis 1995, Bd. 2. Hamburg

Krug, Uli (2003a): Antiimperialismus und Antiamerikanismus. Warum der Vietkong nichts für die deutsche Friedensbewegung kann. In: Bahamas, Nr. 40/03

Löwenthal, Leo (1990): Judaica, Vorträge, Briefe. Schriften, Bd. 4, Frankfurt/M.

Marcuse, Herbert (2004): Nachgelassene Schriften. Bd. 4: Die Studentenbewegung und ihre Folgen. Springe

Meir, Golda (1975): Mein Leben. Hamburg

Nachtmann, Clemens (2004b): Drittes Reich, Dritte Welt, Dritter Weg. Über Rassismus und Antirassismus. In: Bahamas, Nr. 43/03-04

Scheit, Gerhard (2004): Suicide Attack. Zur Kritik der politischen Gewalt. Freiburg

Zuckermann, Moshe (2004): Kritische Theorie in Israel. Analyse einer Nichtrezeption. In: Zuckermann, Moshe (Hg.): Theodor W. Adorno. Philosoph des beschädigten Lebens. Göttingen

hagalil.com 09-05-06











 

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