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Stephan Grigat (Hg.):
Feindaufklärung und Reeducation
Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus
ça ira-Verlag 2006
Euro 14,00

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Befreite Gesellschaft und Israel:
Zum Verhältnis von Kritischer Theorie und Zionismus

Von Stephan Grigat
erschienen in: Stephan Grigat (Hg.): Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus. Freiburg: ça ira-Verlag 2006, S. 115 - 129.

Materialistische Kritik und zionistische Praxis

Es ist kein Zufall, daß gerade jene Intellektuelle, die sich so entscheidend vom gängigen Marxismus und der real-existierenden Linken abgrenzten, sich mit Israel solidarisch zeigten. Wenn Praxis, die auf allgemeine Emanzipation zielt, abgeschnitten ist, stellt sich die Frage, was man überhaupt noch tun kann. Die Einsicht, daß man zumindest die Rudimente der wie auch immer beschränkten bürgerlichen Freiheit verteidigen muß, was selbstverständlich nicht heißt, daß man die Beschränkung dieser Freiheit nicht immer wieder thematisiert, ist durchaus eine naheliegende Antwort. Es ist dies eine Freiheit, die in Israel seit der Staatsgründung gegen die vernichtungswütigen Nachbarn und – was aber etwas völlig anderes ist – gegen einige Kräfte im Innern der Gesellschaft behauptet werden muß. Wenn es einem heute angesichts der momentanen Aussichtslosigkeit von revolutionärer Praxis und angesichts der fast weltweit um sich greifenden regressiven Tendenzen zumindest noch um die Aufrechterhaltung der Möglichkeiten der kritischen Reflexion zu tun ist, so kann man ohne weiteres einer Feststellung von Max Horkheimer aus dem Jahr 1967 zustimmen als er in einer Notiz über Die Pseudoradikalen meinte: "Heute kommt es (…) darauf an, zu retten, was von der persönlichen Freiheit noch übrig ist. Radikal sein eißt heute konservativ sein." (1949-1969: 413)

In der falschen Gesellschaft sind auch und gerade die kritischen Individuen permanent vor Alternativen gestellt, die zwar Wahlfreiheit suggerieren, aber den Zwang erst zementieren. Wirklich "frei wäre erst", heißt es in der Negativen Dialektik, "wer keinen Alternativen sich beugen müßte" (1966b: 225). Das impliziert in gewissen politischen Konstellationen den bewußten Verzicht auf Praxis, die ob ihrer Aussichtslosigkeit nur jene Form von Pseudopraxis und geschäftiger Betriebsamkeit annehmen könnte, wie man sie von der heutigen Linken gerade in den postnazistischen Gesellschaften kennt. Praxisverzicht, die Beschränkung auf die Position der Kritik, leugnet jedoch nicht die Tatsache menschlichen Handelns. Wenn Adorno davon spricht, daß Praxis auf unbestimmte Zeit vertagt ist, meint er damit jene Praxis, die auf die Herstellung eines gesellschaftlichen Zustandes zielt, in dem freies Handeln überhaupt erst möglich wäre. Eben jene Praxis, die sich in ihrer Kritik auf die Gesellschaft als Ganzes bezieht, sah Adorno als momentan abwesend an, ohne sich jedoch im abstrakten Denken bequem einzurichten und sich über die Problematik der theoretischen Kritik ohne Praxis hinwegzutäuschen.

Trotz aller Skepsis gegenüber Praxis hat auch Adorno sich nicht gescheut, immer wieder in aktuelle politische Auseinandersetzungen zu intervenieren. Selbstverständlich begab er sich damit in eben jene Widersprüchlichkeit, die er selbst stets aufgezeigt hat: auf der einen Seite die Vorstellung, daß die Verblendungsstruktur in der Gesellschaft nahezu total geworden ist und der Schritt zur Praxis verstellt; andererseits die Einschätzung, daß, wenn der Schritt zur allgemeinen Emanzipation versperrt ist, zumindest das Schlimmste, die Wiederholung von Auschwitz, verhindert werden muß. Der adäquate Ausdruck dieser Widersprüchlichkeit ist Adornos radikaler kritischer Pessimismus.

Auch wenn Autoren wie Moshe Zuckermann, der auf antizionistischen Kongressen gerne gesehenen Leiter des Instituts für deutsche Geschichte an der Universität Tel Aviv, meinen, Zionismus und Kritische Theorie seien schlicht unvereinbar (vgl. Zuckermann 2004: 13 ff.) ist dieser kritische Pessimismus dem Zionismus in mancher Hinsicht durchaus verwandt. Der Mainstream-Marxismus hat sich bekanntlich auch von der Shoah nicht von seinem optimistischen Geschichtsverständnis abbringen lassen. Für Zionismus und Kritische Theorie hingegen markiert der Nationalsozialismus den welthistorischen Bruch. Der Zionismus zog die praktischen Konsequenzen aus dem Scheitern sowohl aller Assimilierungsversuche als auch der bürgerlichen und sozialistischen Gleichheitsversprechen und mißtraut seit dem völlig zu Recht jedem Versöhnungsangebot. Die Kritische Theorie zog die theoretischen Konsequenzen aus der Katastrophe für die materialistische Gesellschaftskritik, mißtraut jedem begriffslosen Praktizismus, jedem linken Heilsversprechen und konfrontiert die kommunistische Kritik mit dem kategorischen Imperativ, alles Handeln so einzurichten, daß Auschwitz sich nicht wiederhole.

Im Zionismus konstruiert sich Geschichte, ähnlich wie in der Kritischen Theorie, "nicht als Zu-sich-selbst-Kommen des Wesens, sondern als der historische Zusammenhang der Katastrophen und als Abwehr der kommenden. Die Zionisten handeln, als hätten sie sich der Bewahrheitung der ‚Geschichtsphilosophischen Thesen’ Walter Benjamins verschrieben. In dieser negativen Geschichtsphilosophie ist der Materialismus dem Zionismus verwandt, wenn er auch so kontrafaktisch wie kategorisch, gegen alle Erfahrung und jeden Begriff, sich weigert, dessen These vom ‚ewigen Antisemitismus’ sich zuzueignen." (Initiative Sozialistisches Forum 2002: 14f.) Hier zeigt sich auch die Differenz zwischen Kritischer Theorie und Zionismus. Der Zionismus ist eine Notwehrmaßnahme gegen den Antisemitismus und muß in der Realisierung der Notwehr sich auf die Verfaßtheit der Welt positiv beziehen. Er muß sich Staat und Kapitalakkumulation zu eigen machen, will er in einer Welt von Staaten und Kapitalakkumulation bestehen. Kritische Theorie hingegen hält an der Möglichkeit fest, mit der Abschaffung von Staat und Kapital auch die Notwendigkeit des Zionismus aus der Welt zu schaffen.

Horkheimer, der sich in seinen Notizen und später auch öffentlich geradezu polternd über den Eichmann-Prozeß echauffierte, dabei den israelischen Politikern allerdings zugestand, daß sie "den neuen Staat in der rasch sich bewegenden Welt zu lenken haben" und sich schon daher kaum den Luxus leisten könnten, den Bedenken eines kritischen Theoretikers "nachzuhängen" (1967: 159), sah in der Gründung Israels ein Moment der Resignation. Während im jüdischen Messianismus das Moment der Hoffnung auf den versöhnten Zustand aufbewahrt sei und die jüdische Diaspora auf Grund der Erfahrung der Verfolgung das "Negative des Bestehenden" verkörpere, sei das jüdische Volk in der Realisierung des zionistischen Traums, wie es in der Notiz Staat Israel Anfang der 60er Jahre heißt, "selber positiv geworden. Nation unter Nationen, Soldaten, Führer, money-raiseres für sich selbst. Wie einst das Christentum in der katholischen Kirche, nur weniger aussichtsreich, soll im Staat Israel das Judentum zunächst das Ziel erblicken; wie hat es doch im Triumph seines zeitlichen Erfolges im Grunde resigniert!" (1991: 369)

In einer merkwürdigen Analogie sah er in der Notiz Ausgeträumt in der jüdischen Diaspora und im "messianischen Vertrauen" (ebd.: 392), das sich in der politischen Realität antizionistisch artikuliert, Verbündete der trotz aller Aussichtslosigkeit an der allgemeinen Befreiung festhaltenden Kritischen Theorie. Der israelische Staat hingegen erscheint an solchen Stellen in seiner zwangsläufigen Positivität als eine Art sozialdemokratisches Arrangement mit der schlechten Realität. Wie aber kann man es dem Zionismus zum Vorwurf machen, "positiv" geworden zu sein, wo der Materialismus mit all seinem im besten Sinne negativen Potential doch eine einzige Geschichte des Scheiterns geschrieben hat, wo er nicht in der Lage war, die gesellschaftlichen Gründe für den Antisemitismus aus der Welt zu schaffen? Was nützt die im jüdischen Messianismus antizipierte und aufbewahrte Erinnerung an die Versöhnung sowie die in der Kritischen Theorie festgehaltene Hoffnung auf die allgemeine Emanzipation und die Möglichkeit zur befreiten Gesellschaft, wenn die Juden tot sind?

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hagalil.com 09-05-06











 

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