Henryk M. Broder, Kein Krieg, nirgends: Die Deutschen und
der Terror.
Berlin Verlag 2002, 18 Euro[Bestellen?] |
Broder in Höchstform,
ein wahrer Genuss, wenn auch mit fadem Nachgeschmack.
Schließlich ist dieses Buch keine Fiktion, kein Roman,
nichts Erdachtes. "Kein Krieg, nirgends" fasst die
Reaktionen in Deutschland zum Terroranschlag des 11.
Septembers zusammen und zeigt Abgründe, die schockieren und
alarmieren.
In ihnen macht sich ein
tiefsitzender Antiamerikanismus Luft, eine Erkenntnis, die
bereits andere, so beispielsweise der Historiker Dan Diner,
untersucht haben. Broder stellt die Stimmung nach den
Anschlägen des 11.Septembers anhand von Zitaten aus
Zeitungen, Diskussionsrunden und Talkshows dar. Dabei zeigen
sich vor allem zwei Gedanken, die die Deutschen
beschäftigten.
Warum haben die Terroristen so gehandelt? Das heißt
vielmehr, was hat man ihnen angetan, dass sie das tun
mussten?
Und was kann man tun, damit man selbst verschont bleibt?
Nachdem der dritte
Weltkrieg, den viele vorgesagt haben, ausgeblieben ist,
hielt Henryk Broder die Zeit für reif, Revue passieren zu
lassen.
Broder möchte das
Gesagte als eine Art Krankengeschichte festhalten, denn für
ihn ist klar: "Die
friedensbewegten Deutschen taten so, als redeten sie über
Afghanistan, tatsächlich redeten sie über ihr Land und ihre
Geschichte. Sie verurteilten die Bombardierung der
afghanischen Städte, um rückwirkend gegen die Luftangriffe
auf Dresden und Hamburg zu protestieren, sie solidarisierten
sich mit den Opfern von heute, um darauf hinzuweisen, daß
sie gestern Opfer der gleichen Mächte wurden."
Daher ist auch der
Grundgedanke, dass die Amerikaner irgendwie selbst schuld
sind, so besonders stark vertreten.
"Haben die
Amerikaner durch ihre Politik diese Taten nicht selber
herbeigeführt? Haben sie nicht die Militärs in Chile
unterstützt, das Klimaabkommen von Kyoto boykottiert und die
ganze Welt mit Hamburgern kontaminiert?" fragt Broder
sarkastisch.
Mag einem beim Lesen der
Einleitung noch einiges extrem überspitzt formuliert
vorkommen, vergeht dieser Eindruck mit den ersten
Beispielen. Da war etwa eine Veranstaltung im Berliner Haus
der Kulturen zwei Tage nach den Anschlägen. Von
Manipulationen durch CNN ist die Rede, das Publikum sorgt
sich um die hungernden Kinder in der Welt, Wolfgang Benz
spricht von der Arroganz der Wolkenkratzer und die
Kultursenatorin Berlins ergeht sich in peinlichen
phallischen Hochhaus-Phantasien.
Nicht nur den deutschen
"Intellektuellen" wie etwa Roger Willemsen, der der Meinung
ist, der Antiamerikanismus sei
"eine Erfindung der Amerikaner und ihr Versuch, das Diagnostische in den
Rang einer Ideologie zu heben", hört Broder genau zu. Zu
Wort kommen auch andere "wichtige Leute der Gesellschaft",
die sich in Analysen ergangen sind. Darunter beispielsweise
Wolfgang Joop, der es nicht bedauert, dass das World Trade
Center nicht mehr steht, da es "kapitalistische Arroganz"
symbolisierte. Joop führt die Motive des Anschlags auf den
ungelösten Konflikt zwischen Israel und "Palästina" zurück.
Durch die Unterstützung Israels durch die USA sei die
arabische Welt zutiefst in ihrer Männlichkeit und Existent
verletzt worden: "Wenn
sich arabische Männer gedemütigt fühlen, verwandeln sie sich
zu Killermaschinen, zu Rächern im Namen des Propheten",
weiß Joop. Der 11. September ist also ein Resultat
männlichen Frustes und der kapitalistischen Arroganz. Ein
Modeschöpfer analysiert die westliche Welt und den Frust auf
der anderen Seite. Da ist es uns doch lieber, er macht sich
"wieder auf den
Weg nach Monte Carlo, ein wandelndes Symbol der
kapitalistischen Demut, immer offen für neue Lernprozesse im
Kampf gegen Arroganz und natürlich auch gegen Gewalt, Mord
und Terror."
Nicht besser übrigens
Bumm-Bumm-Boris. Denn der hat es kommen sehen, die
Gegensätze zwischen Arm und Reich in der Welt werden doch
immer gravierender. Boris Becker habe sich daher schon lange
gefragt, wann denn der große Knall kommen wird. Mit Henryk
Broder kann man sich da nur noch wundern:
"Erstaunliche
Einsichten für einen, der sich mit 33 zur Ruhe gesetzt hat,
dessen Vermögen auf etwa 300 Millionen Mark geschätzt wird
und der offiziell nach Monaco umgezogen ist, um in
Deutschland keine Steuern zu zahlen."
Nicht fehlen darf Günter
Grass, das Gewissen der Nation, der schon 1945 in
amerikanischer Kriegsgefangenschaft einen gewissen Rassismus
festgestellt hat. Doch das ist das weniger Schockierende im
zitierten Interview, fängt er doch an, Opfer und Tote
gegeneinander aufzurechnen:
"Während der Westen natürlich den Apparat hat, die Möglichkeiten hat, die
Medien hat, in unserem Gedächtnis die fünf-, sechstausend
beklagenswerten Toten in New York und Washington so hoch zu
rechnen, daß die 800.000 Ermordeten in Ruanda oder die
250.000 ermordeten Moslems im bosnischen Bereich an den Rand
gedrückt werden, nahezu vergessen werden. Diese Art von
Zählweise gehört zum Fehlverhalten, auch zur Arroganz des
Westens den Ländern der Dritten Welt gegenüber."
Interessant auch die
bestechend scharfe Analyse des bekannten Norwegischen
Friedensforscher Johan Galtung. In einem Interview mit
Spiegel online auf die Frage, wie denn nun die Reaktion des
Westens sein sollte, liest man den genialen Ratschlag:
"Erstens:
Denkpause. Zweitens: Dialog. Drittens: Versuche, zu
verstehen, worum es geht. Viertens: Versöhnung. Und
fünftens: Konflikte lösen." Was würde die Welt nur ohne
Johan Galtung machen? Er ist außerdem der Meinung, daß die
Amerikaner ein Gott-betrunkenes Volk seien, die sich ganz an
der Spitze der Weltordnung in der Nähe Gottes sähen. Broder
kontert: "Ganz
anders dagegen Osama bin Laden, der mit Gott nicht verwandt
ist, dafür aber einen Groll in seinem Herzen trägt, den
Galtung nachvollziehen kann."
Dass man sich auf die
Taliban zumindest in einem Punkt voll verlassen kann, war
auch in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung zu lesen.
Schließlich würde unter der Taliban-Herrschaft für einen
gewissen Ordnungsfaktor gesorgt, die Not leidende
Bevölkerung könne aus dem Ausland mit Nahrungsmitteln
versorgt werden. Nicht nur Broder fühlt sich davon an
gewisse bekannte Argumentationsmuster erinnert, die die
Nationalsozialisten als Ordnungsfaktor verharmlosen
("Schließlich hat der Hitler doch die Autobahnen gebaut..").
Im letzten Kapitel, "So
was kommt von so was", listet Henryk Broder noch einige
Beispiele von Zitaten und Leserbriefen auf, die einem
endgültig den Hut hochgehen lassen. Das Ganze gipfelt in
einem Leserbrief aus der Welt vom 21.9.2001:
"Die Opfer nun
mögen mir verzeihen, aber beim Anblick der zerstörten
Gebäude Pentagon und Twin Towers huscht mir auch ein Lächeln
über das Gesicht. Bislang haben die Amerikaner der USA immer
nur Zerstörungen außerhalb ihres Landes angerichtet. Jetzt
erfahren sie einmal selber, was es heißt Opfer zu sein." |