
Peter Zinke (Hg.):
"Nächstes Jahr im Kibbuz"
Die Zionistische Ortsgruppe Nürnberg-Fürth
Hefte zur Regionalgeschichte - Heft 2
Antogo Verlag 2005
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"Ihr Gewissen war rein; sie haben es nie benutzt":
Die Verbrechen der
Polizeikompanie Nürnberg
Beiträge zur deutschen und jüdischen Geschichte:
Jahrbuch mit Schwerpunkt Fussball |
"Nächstes Jahr im Kibbuz":
Die Zionistische Ortsgruppe Nürnberg-Fürth
Obwohl die Zionistische Vereinigung für Deutschland vor
1914 nur 10.000 Mitglieder hatte, war sie in der Zionistischen
Weltorganisation lange Einfluss gebend. Nach Theodor Herzls Tod wurde David
Wolffsohn als nächster Präsident der Zionistischen Organisation gewählt, die
Exekutive übersiedelte daraufhin von Wien nach Köln, später nach Berlin.
Erst nach dem ersten Weltkrieg wurde die Exekutive nach London verlegt,
Deutsche spielten jedoch weiterhin eine entscheidende Rolle in der
Zionistischen Bewegung.
Zuhause hatten die Anhänger von Theodor Herzls Vision
eines "Jüdischen Staates" jedoch einigen Gegenwind, gerade auch von
jüdischer Seite. Sonst könnte man, wie Michael Brenner schrieb, heute in
Herzls Tagebuch vielleicht lesen: "In München habe ich den Judenstaat
gegründet". Dass dieses bekannte Zitat mit der Stadt Basel verknüpft ist,
liegt am starken Widerstand der Jüdischen Gemeinde Münchens gegen einen
"Zionistenkongress" in der bayerischen Hauptstadt. Man fürchtete, dass eine
solche Veranstaltung die Loyalität der Juden gegenüber Deutschland in
Zweifel ziehen würde.
Diese Haltung sollte später auch prägend für den deutschen
Zionismus selbst sein: einerseits Unterstützung für die Gründung eines
jüdischen Staates, andererseits Loyalität zu Deutschland. Diese Ambivalenz
zeigt sich auch in den Beispielen der Regionalgeschichte, die vom Nürnberger
Institut für NS-Forschung und jüdische Geschichte des 20. Jahrhunderts
veröffentlicht wurden.
Jim G. Tobias stellt Meinold Nussbaum vor, der, 1888 in
Fürth geboren, seit 1917 der Nürnberger Ortsgruppe der ZVjD angehörte. Für
den Anwalt, der Palästina bereits 1923 bereist hatte, war am 1. April 1933,
dem sog. Boykott-Tag, klar, dass Juden in Deutschland keine Zukunft haben.
Die Familie flüchtete noch in derselben Nacht über die Schweiz und Italien
nach Palästina. Dort konnte Nussbaum eine Kanzlei eröffnen, war langjähriger
Mitarbeiter der Jewish Agency und der Einwanderervereinigung Irgun Olej
Merkas Europa.
1946 übernahm Nussbaum eine wichtige Aufgabe und fuhr im
Auftrag der Jewish Agency als "Beauftragter für jüdisches Eigentum" und
"Kontaktmann zu den überlebenden Juden" für drei Jahre zurück nach
Deutschland. 1953 kam Nussbaum erneut nach Deutschland, diesmal als Teil der
"Israel-Mission", die die Umsetzung der Wiedergutmachungszahlungen
abwickelte. Im September 1953 wurde Meinold Nussbaum von einem Auto
angefahren und erlag wenig später seinen Verletzungen.
Die Geschichte der Zionistischen Ortgruppe Nürnberg-Fürth
fasst Peter Zinke zusammen. Auch in der Frankenmetropole standen viele Juden
dem "Schreckgespenst des Zionismus" zu Beginn sehr ablehnend gegenüber. So
erregte auch in Nürnberg die Zionistische Ortgruppe seit ihrer Gründung 1905
die Gemüter. Peter Zinke stellt neben der Entwicklung der Ortsgruppe auch
deren Debatten mit dem CV (Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen
Glaubens) einerseits und religiösen Zionisten, die sich kurzzeitig zu einer
eigenständigen "Misrachi"-Gruppe zusammenschlossen, andererseits dar. Auch
die zionistische Jugend geriet in Konflikt mit dem Centralverein, schlug
sich dessen nationalistische Haltung doch auch in der Jugendarbeit nieder.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten musste
sich die Zionistische Ortsgruppe ambivalenten neuen Gegebenheiten anpassen.
So konnte sie zwar weiter bestehen, jedoch keine Kollekten für den Aufbau
Palästinas durchführen und schließlich keinerlei "politische Zwecke
verfolgen". Nürnberger Juden unterstützten trotz ihrer eigenen zunehmend
verzweifelteren Lage mit Geld- und Buchspenden den Aufbau Palästinas. Zur
Vorbereitung auf die Auswanderung gab es zwei Pionierhäuser, die
hauswirtschaftliche und handwerkliche Kurse anboten. Vorträge, Filmabende
und Diskussionsrunden gab es noch bis Ende 1938. Im Frühjahr 1939 wurden in
Nürnberg die zionistischen Jugendverbände verboten, wahrscheinlich ebenso
die Ortsgruppe. Peter Zinke schätzt, dass etwa 350 bis 400 Nürnberger Juden
nach Palästina ausgewandert sind. 2400 Juden aus Nürnberg, sowie über 900
Juden aus Fürth überlebten nicht.
Von einer engagierten Zionistin aus Fürth berichtet Heike
Tagsold. Senta Josephthal wurde 1912 in einem orthodoxen Elternhaus geboren.
Seit dem 15. Lebensjahr war sie aktiv im Jüdischen Jugendbund und arbeitete
nach 1933, nachdem sie zum Abbruch des Studiums gezwungen wurde, für den
Hechaluz, die Dachorganisation der zionistischen Jugendbewegung. Mit einer
Gruppe von 16-18jährigen Jugendlichen erreichte Senta Josephthal mit ihrem
Mann Giora 1938 Haifa. Die Gruppe bestand darauf, einen eigenen Kibbutz
aufzubauen und konnte dies ab 1944 tatsächlich umsetzen. Der Kibbutz bekam
den Namen Gal Ed.
Giora Josephthal war zunächst in der Jewish Agency tätig,
leitete dann die Delegation zur Verhandlung der Reparationszahlungen aus
Deutschland und fungierte als Arbeits- und Wohnungsbauminister. Auch Senta
Josephthal wurde 1955 in die Knesseth gewählt, trat jedoch nach kurzer Zeit
zurück, da sie sich "überflüssig" fühlte und die praktische Arbeit dem Reden
halten vorzog. Stattdessen übernahm sie in der Histadrut die Leitung für die
Abteilung der Eingliederung der Neueinwanderer. Senta Josephthal lebte die
Idee der Kibbutzbewegung aus voller Überzeugung. Mit 60 Jahren fing sie an,
in der Plastikfabrik ihres Kibbutz zu arbeiten und gönnte sich erst mit 86
Jahren den Ruhestand. "Ich glaube es ist ein besonderes Anrecht, dass ich
meine eigene Heimat mit meinen eigenen zehn Fingern zu bauen hatte",
resümierte sie rückblickend.
Über den Beitrag der Jecken, der deutschen Juden, am
Aufbau Palästinas ist im vergangenen Jahr einiges veröffentlicht worden. Das
Heft zur Regionalgeschichte des Nürnberger Instituts fügt dem eine wichtige
Komponente hinzu, spielten Nürnberger und Fürther Juden doch ebenfalls eine
bedeutende Rolle in Eretz Israel.
al / hagalil.com
05-07-06 |