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„Im Viehhandel zählt das Vertrauen“

Studie über jüdische Viehhändler in Franken 1919-1939…

Obwohl die Mehrzahl der Viehhändler zum Ende der 1920er Jahre dem christlichen Glauben angehörte, zählte das Geschäft mit Rindern und anderen Nutztieren zu den klassischen Erwerbszweigen der jüdischen Minderheit in Europa. In der nordbayerischen Region Mittelfranken wurde gut ein Drittel der Betriebe von Juden geführt. Gemäß ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung, von etwas mehr als einem Prozent, waren sie in dieser Berufsgruppe überproportional vertreten.

Da insbesondere der Handel mit lebendiger Ware auf den kaufmännischen Tugenden von Zuverlässigkeit und Redlichkeit beruht, hatte sich über Jahrzehnte hinweg eine wirtschaftliche und persönliche Vertrauensbeziehung zwischen den jüdischen und nichtjüdischen Handelspartnern entwickelt. Trotz antisemitischer Propaganda von völkischen und nationalsozialistischen Gruppierungen hielten viele „arische“ Bauern – auch nach Hitlers „Machübernahme“ im Jahr 1933 – an ihren Geschäftsbeziehungen zu den jüdischen Viehhändlern fest. In ihrer Studie „Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt“ untersucht die Historikerin Stefanie Fischer akribisch die Bedeutung des jüdischen Viehhändlers für den ländlichen Raum. Aus gutem Grund wählte sie dafür die Region Mittelfranken, die als ein Mittelpunkt der Viehwirtschaft galt und über eine große Anzahl von jüdischen Landgemeinden verfügte. Zudem waren das protestantische Franken und seine weitgehend agrarisch geprägten Strukturen schon während der Weimarer Republik eine Hochburg des Antisemitismus. Der spätere NSDAP-Gauleiter von Franken, Julius Streicher, schürte dort schon seit 1919, zunächst im „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ und anderen antisemitischen Vereinigungen, den Hass gegen das vermeintliche „Weltjudentum“. Ab 1923 war seine eigene Zeitung, „Der Stürmer“ das Sprachrohr seiner Hetze.


Viehmarkt am Marktplatz der mittelfränkischen Kleinstadt Lauf a. d. Pegnitz (ca. 1925) Foto: aus dem besprochenen Band

Fischers Arbeit beschreibt mehr als den Untergang eines Berufszweiges sowie die damit verbundene Verfolgung und Vernichtung des deutschen Judentums. Die Autorin beleuchtet eindrücklich, wie sich das Vertrauensverhältnis zwischen Viehhändlern und Bauern aufbaute und wie lange die wirtschaftlichen und sozialen Kontakte unter dem Druck antisemitischer Gewalt und Propaganda Bestand hatten. Es ist ihr Verdienst, die vielschichtigen Interaktionen zwischen den beiden Akteuren innerhalb einer klar umrissenen Region anschaulich wieder ins Bewusstsein zu rufen. Eine gut geschriebene, quellengesättigte Arbeit, die bei aller Detailverliebtheit überzeugt und nicht ohne Grund mit dem Ernst Fraenkel Prize in Contemporary History der Wiener Library 2012 und mit dem Irma-Rosenberg-Preis 2014 ausgezeichnet wurde. (jgt)

Stefanie Fischer, Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt. Jüdische Viehhändler in Mittelfranken 1919-1939, Göttingen 2014, ISBN: 978-3-8353-1239-5, 368 S., € 34,90, Bestellen?