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Jubeljung – begeisterungsfähig

Eine Hommage des Exil-PENs an Ralph Giordano…

Von Susanne Meier

Ralph Giordano, streitbarer Publizist und Filmemacher, ist dieser Tage 90 Jahre alt geworden. Was für ein Alter! Und doch schreibt er immer noch, mischt sich immer noch ein. Auf haGalil ist anlässlich seines runden Geburtstages eine umfängliche biografische Studie publiziert worden.

Nun ist ein kleiner Band erschienen, in dem sich seine Exil-PEN-Kollegen vor dem Hintergrund ihrer langjährigen Zusammenarbeit, ihrer Zusammengehörigkeit auf Giordanos Wirken beziehen.

Ralph Giordano hat lange gebraucht, bis er sich selbst als Schriftsteller bezeichnete. Seine Bertinis und seine Erinnerungen eines Davongekommenen haben ein hohes literarisches Niveau. Wirklich „dazu zu gehören“, dies fiel dem jüdischen Überlebenden dennoch schwer. Zeitlebens. So suchte er literarisch-politisch Zugehörigkeit beim traditionsreichen P.E.N-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Exil. Dieser ist der Nachfolger des großen, 1934 u.a. von Lion Feuchtwanger, Ernst Toller und Rudolf Olden in Großbritanniengegründeten Exil-P.E.Ns. In diesem Schriftstellerverband ist Giordano, seinem Alter und seiner Vita entsprechend, seit vielen Jahren Ehrenmitglied.

Langjährige Freunde und Kollegen des Exil-PENs – einige hiervon sind im gleichen Alter wie Giordano (Georg Stefan Troller, Guy Stern, Günter Kunert) – , haben soeben einen kleinen, berührenden, erinnernden Band über ihren Kollegen zusammen gestellt. „Jubeljung begeisterungsfähig“ ist er betitelt – und diese Freude springt bei der Lektüre rasch auf den Leser über.

„Schon ein Glück, wenn man, wie Du, auch als streitbarer Publizist zu wirken versteht, und das bis in die neueste Zeit. (…) Dein noch älterer Freund George“ (S. 17).  Geschrieben hat dies der  jüdische Schriftsteller und Filmemacher Georg Stefan Troller. Troller, dessen Interviews legendär sind, wurde drei Jahre vor Giordano geboren. Er erinnert an Gemeinsames in ihren Lebensläufen. Kennengelernt haben sie sich schon in den frühen 60er Jahren als Filmemacher, beim WDR. Troller wusste von Giordanos Überlebenskampf während der Jahre der Verfolgung – und doch: „Kaum etwas davon tauchte hingegen in Deinen Gesprächen auf, damals als wir uns kennenlernten.“ (S. 13) Er erinnert an Giordanos unvergleichlichen Mut, immer wieder kontroverse, verdrängte Themen aufzugreifen – auch wenn dies teilweise lebensgefährlich für ihn war. Troller hebt hervor: „Als ich mich dann erbot, Dir in diesem Kampf beizustehen, etwa indem ich mich öffentlich zu Deiner Meinung bekannte, hast Du mir damals dringend abgeraten. Wohl in dem Wissen, dass ich hierzulande viel zu wenig politischen Rückhalt besaß, um diese Sache schadlos durchzustehen. Starken Eindruck machte auf mich auch Dein Film über den scheußlichen Völkermord an den Armeniern.“ (S. 15) Gemeinsam ist ihnen das Filmemachen, das Schreiben. An Mut hat es beiden hierbei nicht gefehlt.

Guy Stern, amerikanisch-jüdischer Schriftseller, schickt von Detroit aus eine Grußbotschaft. Aus der Ferne hat er seinen Kollegen als einen „streitbaren, doch fairen“ (S. 9), mitfühlenden, vor allem freigiebigen Menschen wahrgenommen. Guy Stern hat Giordanos Familienroman Die Bertinis sowohl amerikanischen Studenten der Literaturwissenschaft vorgestellt als auch Leipziger Studenten, 1997. Die Rezeptionsgeschichte gestaltete sich unterschiedlich: In den USA wurde das Werk als eine Leidensgeschichte wahrgenommen, ganz frei von Pathos, durchdrungen von feiner Ironie. In Leipzig hingegen dominierte die Wahrnehmung einer Parallelität zwischen dem Ende der Nazi- und dem Ende der DDR-Herrschaft: „In seinem Roman und in seinem Handeln wurde Giordano den Studenten zum Vorbild“ (S. 11), fügt Guy Stern hinzu.

Es folgen Beiträge von Marko Martin, Ruth Weiss („Ein standhafter Zeuge“), Reinhart Klimmt („Eine Stimme wie die von Ralph Giordano ist wichtig, ob sie laut oder leise daherkommt. Er taugt als Widerpart, als Stolperstein“) und Roland Kaufhold.

Günter Kunert, der ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammt, er ist heute Vorsitzender des P.E.N.-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, schreibt über den „Zwang, Zeugnis ablegen zu müssen“ – ein längerer, persönlicher, nachdenklicher Beitrag. Kunert erinnert daran, dass es gerade die Überlebenden sind, die von der gesellschaftlichen Majorität als Störenfriede wahrgenommen werden. Sie stören den tiefen Wunsch, endlich zu vergessen, die Verbrechen zu vergessen – und damit zugleich auch die Opfer zu vergessen. Die Shoah scheint es nie gegeben zu haben, der zynische Begriff der „Auschwitzkeule“ steht für diese erstaunliche Verdrängungsleistung: „Es ist eine der dümmsten Vorstellungen, man könne vergessen, was einem und den anderen seinesgleichen angetan wurde. Ich scheue mich nicht zu sagen, dass es der unkündbare Auftrag der Toten ist, über ihr Sterben zu sprechen und zu schreiben“, hebt Günter Kunert (S. 32) hervor. Die Pflicht zu erinnern, dies war Giordanos innere „Richtschnur“: „Ich kenne keinen, der kompromißloser dächte und agierte als Giordano.“ (S. 33f.) Diese Grundhaltung, diese Lebensleistung imponiert dem 84-jährigen Günter Kunert sehr. In seinem Text zeichnet er die Stationen ihrer Begegnungen nach: „Wir entdeckten Neigungen, die aus unserer beschädigten Kindheit und Jugend stammen mochten. (…) Das Kind in uns war nicht abgestorben, im Gegenteil.“ (S. 35) Und Kunert schreibt auch über ihre gemeinsame, verbindende Liebe – zu Israel.

Die Kölner Schriftstellerin Gertrud Seehaus erinnert gleichfalls an die gemeinsame Erfahrungswelt in Israel: 1990 hatte Giordano dort, in Jerusalem, sechs Monate lang gelebt, sein Israel-Buch verfasst. Als er Israel verließ, folgte ihm Gertrud Seehaus in das Jerusalemer Gästehaus. Es war die Zeit der beginnenden Intifada. Sie verband die tiefe Sorge um Israel, später dann gemeinsame Gespräche auf P.E.N.-Tagungen („…ich glaube, wir hatten nie ein politisches Gespräch, obwohl es immer auch um Politisches ging“ (S. 49) wie auch in ihrer Heimatstadt Köln. Auch ihr imponiert Giordanos Mut, sein Beharren, in diesem Deutschland zu leben, „dieses kranke Deutschland, unsere moralisch so beschädigte Heimat.“ (S. 50)

Ihr Ehemann Peter Finkelgruen, zugleich Herausgeber und Motor dieses schönen, kleinen Bandes, erinnert an Giordanos sehr tatkräftige Unterstützung – als Finkelgruen, nach einem zehnjährigen juristisch-literarischen Kampf gegen die deutsche Justiz, schon aufgeben wollte. Ralph Giordano1 war es, der diesen unglaublichen Skandal wirklich publik machte, indem er den Oberstaatsanwalt, der den Mörder von Finkelgruens Großvater unbedingt unbehelligt lassen wollte, öffentlich als „gefühlslosen Ochsenfrosch“ titulierte, 1994 – mit durchschlagendem Erfolg. Peter Finkelgruen zeichnet nach, wie bedeutsam diese sehr konkrete Solidarität seines Kölner Kollegen für ihn war – und gibt erstmals die vorbereitete – jedoch seinerzeit nicht vorgetragene – Rede wieder, die er in dem anschließenden Gerichtsprozess eigentlich halten wollte, als betroffener Zeitzeuge. Ein Stück deutsche Zeitgeschichte. Und zugleich eine Hommage auf Ralph Giordanos Mut und Solidarität.

Ein berührender, schmaler Band, der viele Leser finden sollte.

Peter Finkelgruen (Hg., 2013): Jubeljung – begeisterungsfähig. Zum 90. Geburtstag von Ralph Giordano. Books on Demand (Norderstedt), 76 S. , geb., 16 Euro, Bestellen?

  1. Siehe hierzu auch Ralph Giordanos Geburtstagsrede für Peter Finkelgruen http://www.hagalil.com/archiv/2012/03/05/finkelgruen-6/ []