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Der Unbeteiligte und die Intelligenz

„Was sagen Sie, als Unbeteiligter, zum Thema Intelligenz?“ An diesen Spontispruch muss ich immer denken, wenn Sarrazin sich zu eben diesem Thema äußert. Auch kürzlich wieder, als  sämtliche deutsche Ackergäule vor Begeisterung über Sarrazins Lippizanerthesen geradezu euphorisch wurden. Und das nur, weil der Hobbypferdezüchter Thilo mal wieder feststellte, dass die deutsche Volksintelligenz rabiat bedroht wird durch Sex mit Pferden, deren Mähne beim Galopp nicht ganz so blond durch den Wind tanzt wie seine eigene…

Von Ramona Ambs

Aber mal Spaß beiseite: warum sollte man sich eigentlich überhaupt nochmal mit Sarrazin beschäftigen? Wäre es nicht besser, den Mann und seine kruden Thesen einfach zu ignorieren? Die Antwort ist  einfach: Eigentlich sollte man ihm kein Forum bieten,  aber solange große Medien nicht aufhören, über ihn zu berichten und er überdies von scheinbar honorigen Personen des öffentlichen Lebens konstant in Schutz genommen wird, kann und darf man ihn nicht ignorieren. Zumal in der deutschen Debattenkultur Autoritäten stets glaubwürdiger gehandelt werden als Tatsachen. Wenn also beispielsweise ein Arnulf Baring sagt: „In der Sache  kann niemand  Sarrazin widerlegen“, so erntet diese Aussage sehr viel mehr Gewicht, als wenn ein einfacher Wissenschaftler ohne VIP-Status zeigt, dass man Sarrazin mit wissenschaftlichen Methoden sehr wohl, sehr leicht widerlegen kann. Umso wichtiger ist es also, sich mit eben diesen Methoden zu beschäftigen.

Dies tut zum Beispiel ein soeben erschienenes Buch, herausgegeben von Michael Haller und Martin Niggeschmidt: „Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz. Von Galton zu Sarrazin: Die Denkmuster und Denkfehler der Eugenik“.

Dieses Buch ist ein Geschenk.  Ein Geschenk für all diejenigen, die sich bemühen, Sarrazins Thesen wissenschaftlich fundiert zu widerlegen. Autoren aus verschiedenen Disziplinen widmen sich den Thesen Sarrazins, seiner geistigen Vorläufer und willigen Nachahmer und decken dabei zahlreiche Fehler und Missverständnisse auf.

Bereits in der Einführung wird das mediale Spektakel um den vermeintlichen Tabubruch Sarrazins nachgezeichnet und die gröbsten journalistischen Fehler bei den Rezensionen zu Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ aufgezeigt. Diese Fehler liegen vor allem darin, was bei den Betrachtungen unterlassen oder unterschlagen wurde: nämlich die kritische Quellenanalyse. Sarrazin bezieht sich in seinem Werk nämlich immer wieder auf dubiose Quellen, wie beispielsweise den Eugeniker Galton oder auch auf „The Bell Curve“, die „Bibel“ der amerikanischen Ethno-Rechten, deren Autoren Murray und Herrnstein höchst eigenwillige und äußerst fragwürdige Schlüsse aus vorhandenen Forschungsergebnissen zogen. Auf genau diesen Aspekt geht dann auch der erste Teil des Buches ausführlicher ein.Peter Weingart,  Claus-Peter Sesín und Andreas Kemper widmen sich hier ausührlicher den Quellen und der Einordnung Sarrazins in diesem Themengebiet.

Der zweite Teil geht vor allem der Frage  nach, in wie weit Intelligenz vererbt wird und wie  Intelligenz und Bildung zusammenhängen. Diethard Tautz, Leonie Knebel und Pit Marquard zeigen die Irrtümer des Biologismus und dessen Versuchen die Ungleichwertigkeit von Menschen zu beweisen, Coksun Canan beantwortet anhand zahlreicher Grafiken die während der Sarrazindebatte gestellte Frage: Sind Muslime dümmer? Und Sander L. Gilman schreibt über die ebenfalls von Sarrazin aufgestellte These, dass Juden intelligenter seien. Gilman, der bereits 1998 mit seinem Buch „Die schlauen Juden-über ein dummes Vorurteil“ ausführlich das vergiftete Kompliment der angeblich höheren jüdischen Intelligenz wissenschaftlich zerpflückt hat, widmet sich in seinem Aufsatz u.a. ebenfalls nochmal einer Quelle Sarrazins: nämlich dem Antisemiten Kevin MacDonald. Überdies spürt Gilman die Mechanismen von Ausgrenzungen mittels zuviel oder zuwenig vermuteter Intelligenz nach: „Das eigentlich Traurige daran ist, dass Sarrazin im deutschen Kontext die Juden als Erfolgsbeispiel instrumentalisiert- und damit den Zeitpunkt markiert, von dem an der Holocaust in Bezug auf Minderheitenfragen im öffentlichen Bewußtsein (mit Ausnahme der wenigen deutschen Juden) keine Rolle mehr spielt. So, wie die „muslimischen Migranten“ für Sarrazin zu dumm sind, um Bürger zu werden, waren den Nazis die Juden zu schlau, um Bürger zu bleiben. So schließt sich der Kreis“.

Im dritten Teil des Buches schließlich geht es um die Rolle gesellschaftlicher Zusammenhänge während der Sarrazindebatte. Thomas Etzemüller widmet sich hier dem sozialpsychologischen Hintergrund, der die Sarrazindebatte befeuerte, Fabian Kessel zeigt welches politische Interesse hinter der von Sarrazin behaupteten „Armut als moralisches Versagen der Dummen und Schlechten“-Haltung steht und welche Motivation die Protagonisten der „Stop-welfare“-Bewegung haben. Schließlich zeigt Rainer Geißler im letzten Artikel auf, wie wenig bisher die kognitiven Ressourcen der Gesellschaft ausgeschöpft wurden und welche Möglichkeiten zur Verbesserung des Bildungssystems es konkret noch gibt.

Das Buch zeigt deutlich: In der Sache kann man Sarrazin widerlegen. Und zwar in jedem Punkt, wissenschaftlich fundiert und unaufgeregt. Und deshalb sei dieses Buch ein Geschenk, dem ich viele Leser wünsche.

Es ist ein gutes Buch. Und ein Buch, das gänzlich ohne Pferde auskommt.

Michael Haller / Martin Niggeschmidt (Hg.), Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz. Von Galton zu Sarrazin: Die Denkmuster und Denkfehler der Eugenik
Springer VS, 2012, 212 S. mit 17 Abb. u. 1 Tab., Euro 29,95, Bestellen?