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Singen mit Haft und Folter bezahlt

Historische Jugendkulturen hatten ihre regionalen Besonderheiten. Im Rheinland (und auch im Ruhrgebiet) war die jugendbewegte Szene in den 1920er Jahren bunter und lockerer als in anderen Gegenden, weniger auf die einzelnen Bünde ausgerichtet und stark verankert im Arbeitermilieu. „Wilde Gesellen“ gaben hier den Ton an, und in der Zeit des „Dritten Reiches“ konnten sich diese „Rhein-Bündischen“ in ihren verschiedenen Varianten gut behaupten gegen den Machtanspruch der Hitlerjugend als Staatsjugend, trotz Verbot und Verfolgung…

Von Arno Klönne

Über diese bündisch geprägten illegalen jugendlichen Gruppen zwischen 1933 und 1945 liegt nun erstmals eine materialreiche und anschauliche Dokumentation vor, herausgegeben von Doris Werheid („schna“, aus der Freischar), Jörg Seyffarth („plauder“, vom Zugvogel) und Jan Krauthäuser (aus dem Team des „Edelweißpiraten-Festivals“, das seit 2005 jedes Jahr in Köln stattfindet). Viel Arbeit steckt in dem Buch, aber die Mühe hat sich gelohnt: Berichte von „Zeitzeugen“, eindrucksvolle historische Fotos und viele Lieder vermitteln ein lebendiges Bild nonkonformer Jugend unter dem NS-Regime, mit einem bemerkenswert hohen Anteil von Mädchen und jungen Frauen übrigens.

Ganz deutlich wird in dem Buch, welche Bedeutung für diese Gruppen die Musik hatte, die eigenen, dem HJ-Gesang sich widersetzenden Lieder: Überlieferungen aus der Jugendbewegung vor 1933, aber auch Umdichtungen und Neuschöpfungen, jugendromantisch, exotisch, illegale Gemeinschaft stiftend. Die NS-Organe werteten diese Lieder als „zersetzend“, als Indizien für „verbotene bündische Betätigung“: auch Texte, die heute völlig harmlos anmuten, kamen durch die Zeitumstände in den Verdacht, „staatsgefährdend“ zu sein. Auf einer dem Buch beigegebenen CD singen damals Beteiligte noch einmal die Lieder ihrer Jugend und erzählen aus jener Zeit.

Ein großes Lob für die Autoren des Buches: Hier ist Geschichte so dokumentiert, dass nicht nur Fachleute etwas davon haben.

Gefährliche Lieder – Lieder und Geschichten der unangepassten Jugend im Rheinland 1933-1945
Von Doris Werheid, Jörg Seyffarth, Jan Krauthäuser; Gefördert vom Landschaftverband Rheinland; Herausgegeben vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Klappenbroschur, mit CD, zahlreiche Abbildun¬gen. Köln: Emons Verlag 2010. 192 Seiten, ISBN 978-3-89705-742-5, € 19,95, Bestellen?

Es hat einige Jahrzehnte gedauert, bis die Öffentlichkeit reif für die Erkenntnis war, dass es nicht nur eine Handvoll Offiziere und Intellektuelle gab, die sich gegen die Nazi-Barbarei aufgelehnt hat, sondern insbesondere einige tausend ganz normale Jugendliche allein im Rheinland. Gerade noch früh genug, um mit den heute über achtzigjährigen Zeitzeugen eine faszinierende, mutige Jugendbewegung zu dokumentieren. Im Mittelpunkt steht, damals wie heute, der gemeinsame Liederschatz, hier mit Noten, Kommentaren und eindrucksvollen Fotografien zusammengestellt. Auf der beiliegenden CD stimmen Zeitzeugen noch einmal ihre Lieblingslieder an.

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