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Jorge Bucay: Komm, ich erzähl dir eine Geschichte

Das Leben ist eine komplizierte Angelegenheit. Nicht so sehr jedoch für Jorge, der in Buenos Aires als Psychiater und Gestalttherapeut das Schwierige erklären muss. Denn er weiss, wie er Demian, dem neugierigen jungen Mann, der auf seine vielen Fragen alleine keine Antwort findet, helfen kann – mit Geschichten: Sefardische Legenden, Sagen der klassischen Antike, Märchen aus aller Welt, Sufi-Gleichnisse, Zen-Weisheiten aus Japan und China…

Und sollte er wirklich einmal keine passende Geschichte in seinem riesigen Fundus haben, dann erfindet er eben selbst eine. Auf diese Weise hilft er seinem Zuhörer Demian, seine Ängste und Probleme besser zu verstehen.

KOMM, ICH ERZÄHL DIR EINE GESCHICHTE

Ein Beispiel, das hilft, sich selbst zu helfen, leichtfüssig, witzig, lehrreich und unterhaltsam, ist die Geschichte vom Holzfäller, die Jorge (der Dicke) seinem Klienten (Demian) erzählt.

… Ich weiss nicht, was los ist, Dicker. An der Uni läuft es nicht so, wie ich es gern hätte."

"Was heisst das?"

"Dass meine Leistungen seit Anfang des Jahres langsam, aber unaufhaltsam abnehmen. Meine Beurteilungen waren immer einigermassen gut, aber in den letzten Prüfungen habe ich gerade mal das Mittelmass erreicht. Ich weiss nichts, ich bringe nichts, ich kann mich nicht konzentrieren, ich habe keine Lust mehr."

"Hör zu, Demian, wir steuern aufs Jahresende zu. Vielleicht brauchst du mal eine Pause."

"Ich habe schon vor, Pause zu machen, aber bis zum Jahresende sind es noch zwei Monate, und vorher sehe ich da keine Möglichkeit. Ich kann jetzt nicht einfach unterbrechen und Urlaub nehmen."

"Manchmal glaube ich, die Zivilisation hat uns inzwischen alle verrückt gemacht. Wir schlafen von zwölf bis acht, essen von zwölf bis eins zu Mittag und von neun bis zehn zu Abend … Unser ganzes Tun ist allein von der Uhr bestimmt, nicht mehr von unseren Gelüsten. Ich denke schon, dass ein gewisses Mass an Ordnung in manchen Bereichen unabdingbar ist, in anderen Bereichen aber ist es völlig unsinnig, einer vorgegebenen Ordnung zu gehorchen."

"Wie du meinst, aber ich kann mir jetzt einfach keine Auszeit gönnen."

"Du sagst doch selbst, wenn du so weitermachst, nehmen deine Leistungen ab."

"Es muss eine andere Möglichkeit geben!"

DIE GESCHICHTE VOM BEHARRLICHEN HOLZFÄLLER

Es war einmal ein Holzfäller, der bei einer Holzgesellschaft um Arbeit vorsprach. Das Gehalt war in Ordnung, die Arbeitsbedingungen verlockend, also wollte der Holzfäller einen guten Eindruck hinterlassen.

Am ersten Tag meldete er sich beim Vorarbeiter, der ihm eine Axt gab und ihm einen bestimmten Bereich im Wald zuwies.

Begeistert machte sich der Holzfäller an die Arbeit.

An einem einzigen Tag fällte er achtzehn Bäume.

"Herzlichen Glückwunsch", sagte der Vorarbeiter. "Weiter so."

Angestachelt von den Worten des Vorarbeiters, beschloss der Holzfäller, am nächsten Tag das Ergebnis seiner Arbeit noch zu übertreffen. Also legte er sich in dieser Nacht früh ins Bett.

Am nächsten Morgen stand er vor allen anderen auf und ging in den Wald.

Trotz aller Anstrengung gelang es ihm aber nicht, mehr als fünfzehn Bäume zu fällen.

‚Ich muss müde sein", dachte er. Und beschloss, an diesem Tag gleich nach Sonnenuntergang schlafen zu gehen.

Im Morgengrauen erwachte er mit dem festen Entschluss, heute seine Marke von achtzehn Bäumen zu über, treffen. Er schaffte noch nicht einmal die Hälfte.

Am nächsten Tag waren es nur sieben Bäume, und am übernächsten fünf, seinen letzten Tag verbrachte er fast vollständig damit, einen zweiten Baum zu fällen.

In Sorge darüber, was wohl der Vorarbeiter dazu sagen würde, trat der Holzfäller vor ihn hin, erzählte, was passiert war, und schwor Stein und Bein, dass er geschuftet hatte bis zum Umfallen.

Der Vorarbeiter fragte ihn: "Wann hast du denn deine Axt das letzte Mal geschärft?"

"Die Axt schärfen? Dazu hatte ich keine Zeit, ich war zu sehr damit beschäftigt, Bäume zu fällen."

"Was nützt dir die gewaltige Anstrengung, Demian, wenn sie dir recht bald nicht mehr die gewünschten Erfolge bringt? Wenn ich mich anstrenge, reicht die Erholungspause niemals aus, um das Mass meiner Erschöpfung wettzumachen.

Sich ausruhen, etwas anderes tun, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen ist manchmal auch eine Art, unsere Arbeitswerkzeuge zu schärfen. Etwas gewaltsam erzwingen zu wollen ist der verzweifelte Versuch, mit Willenskraft ein gewisses momentanes Unvermögen zu überdecken."

KOMM, ICH ERZÄHL DIR EINE GESCHICHTE

„Bucays Buch ist voll von zauberhaften Geschichten, die einem helfen, sich selbst zu helfen.“
Bücher-Zeitung

"Jorge Bucays Geschichten haben eindeutig Suchtpotential."
Frankfurter Allgemeine Zeitung