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Trauma: Grenzen und der Wunsch nach dem Einssein

Die erlittene Gewalt und das Leid der Überlebenden der Schoah überwältigen immer wieder deren Erinnerung. Sie drangen auch in das Leben ihrer Kinder und Enkelkinder ein und so wurden die Nachkommen zum Container einer extremen traumatischen Erfahrung. Mit den Folgen dieser Erfahrung setzten sich zahlreiche Menschen auch therapeutisch auseinander. In einem Bericht der Analytikerin Ilany Kogan geht es um eine Behandlung, deren Kern sich um Grenzen und deren Nichtanerkennung drehte…

Aus Werner Bohlebers Vorwort zur deutschen Ausgabe von Ilany Kogans „Flucht vor dem Selbstsein“

Wir nehmen in diesem Bericht an einem Geschehen teil, dessen Dynamik wir uns als Leser nicht entziehen können, das uns ahnen lässt, mit welchen Schwierigkeiten, Gefühlen und Ängsten die Analytikerin bei einem Patienten zu kämpfen hatte, der Grenzen, da er sie intra-psychisch nicht kannte, auch in der Realität nicht respektieren konnte, sobald seine Wünsche nach Einssein berührt waren

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Wie oft in solchen Behandlungen tritt ein entscheidende Wende dann ein, wenn der Analytiker als eine Person wahrgenommen werden kann, die zwar unabhängig, aber dennoch dem Patienten zugewandt ist, die sich für ihn interessiert und an seine Selbstentwicklung glaubt. Wie in einem Spiegel begegnet der Patient im Analytiker erstmals seinem fürsorglich wahrgenommenen eigenen Selbst, das er nun seinerseits internalisieren kann. Die hier vorgestellte Analyse gelangte so in ein ruhigeres Fahrwasser, und eine langwierige, schmerzhafte Trauerarbeit setzte ein. Hassgefühle und Zerstörungswünsche, zuerst gegen die Mutter und dann in der Übertragung gegen die Analytikerin gerichtet, konnten durchgearbeitet werden, was dem Patienten ermöglichte, stabilere psychische Grenzen aufzubauen. Der Druck der Vergangenheit, der die Gegenwart überwältigt hatte, liess nach, wodurch eine Trennung zwischen beiden sowie zwischen Phantasie und Realität in Gang kommen konnte.

Die Vergangenheit, mit der wir es in dieser Fallgeschichte zu tun haben, ist der Holocaust, der unermessliches Leid über die Opfer brachte, das sie nicht verarbeiten konnten. Die erlittene Gewalt und das Leid überwältigten immer wieder ihre Erinnerung und drangen auch in das Leben ihrer Kinder und Kindeskinder ein. So wurden die Nachkommen zum Container einer extremen traumatischen Erfahrung, was sowohl bewusst als auch unbewusst in eine identifikatorische Teilhabe an der vergangenen traumatischen Lebenszeit der Eltern mündete. Diese Identifizierung wird nicht nur durch die Übernahme bestimmter Eigenschaften der Eltern vollzogen, sondern durch Partizipation an ihrer traumatischen Lebensgeschichte.

Ilany Kogan hat in ihren früheren Veröffentlichungen anhand von Fallgeschichten gezeigt, dass es sich dabei um totale "primitive Identifizierungen" mit dem Elternteil handelt, die einerseits das Kind selbst vornimmt, um Vater oder Mutter nahe zu sein und ihnen zu helfen, die ihm aber andererseits auch von Seiten der Eltern aufgezwungen werden können, wenn diese ihr Kind zur Regulierung ihres prekären narzisstischen Gleichgewichts benötigen. So wiederholen diese Kinder oft das Drama, das sich in der inneren Welt der Eltern abspielt, indem sie es in der Gegenwart inszenieren. Ilany Kogan beschreibt diese spezifische generationelle Dynamik als eine Beschädigung oder Nichterrichtung von Grenzen zwischen den Generationen, und zwar in dreifacher Hinsicht:

  1. Es ist unmöglich, zeitlich klar zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu unterscheiden, so dass die Vergangenheit in die Gegenwart in einer Weise eindringt, die für die Betroffenen nicht erkennbar ist.
  2. Die Grenzen zwischen Selbst und Objekt werden durch die unbewusste Identifizierung mit dem Trauma der Eltern und durch die narzisstische Funktionalisierung von Seiten der Eltern unklar und ebenso
  3. die Grenzen zwischen Phantasie und Realität.

Ilany Kogan arbeitet mit dieser Fallgeschichte die spezifischen Probleme mit Grenzsetzungen heraus, die aus der Traumatisierung durch den Holocaust erwachsen, und stellt die individuelle Geschichte und Psychodynamik dann in einen generellen klinischen und kulturellen Zusammenhang. Dabei hilft ihr ein ausgezeichnetes Gespür für die Phantasiewelt ihrer Patienten, vor allem für deren Manifestation in Übertragungsphänomenen, wodurch sie erst einer verstehenden Bearbeitung zugänglich werden.

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