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Daniel Hoffmann:
Lebensspuren meines Vaters.
Eine Rekonstruktion aus dem Holocaust.

Göttingen: Wallstein Verlag, 2007,
Euro 24,00

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Meines Vaters Geschichte:
Der Nachgeborene als sekundärer Zeuge

Von Werner Renz, Fritz Bauer Institut

Überlebende des Holocaust haben erfahren und erlitten, was als Trauma und Erinnerung in ihnen fortlebt, was ihre Seele beschwert, ihren Körper beschädigt. Die Traumata und Erinnerungen – latent oder manifest, verdrängt oder präsent – zu artikulieren, für sie eine Darstellungsform zu finden, treibt nicht wenige Überlebende zeitlebens um.

"Kitschwörter" nannte Ruth Klüger die Adjektive "unvorstellbar" und "unaussprechlich", "sentimentale Fluchten vor der Realität".(1) Gerne werden sie gebraucht, wenn es darum geht, die Nichtdarstellbarkeit des Holocaust zu verkünden, sich mit seiner vorgeblichen Unsagbarkeit bequem abzufinden.

Wenige Holocaust-Überlebende haben unmittelbar nach ihrer Befreiung Zeugnis abgelegt. Viele haben, sich vor leidvollem Wiedererleben schützend, lebensnotwendig geschwiegen. Das Schweigen hatte vielfältige Gründe. Geredet wurde zum Beispiel auch nicht, weil man auf taube Ohren stieß oder weil man die eigenen Nachgeborenen nicht belasten wollte. Das Leben nach dem Überleben war oftmals so schwer, dass die Vergangenheit eskamotiert werden musste.

Die Zahl der Davongekommenen, die über die Sprachkraft und das Ausdrucksvermögen verfügten, die Zeit der Verfolgung und Vernichtung darzustellen, ist nicht groß. Viele machten den Versuch und scheiterten trotz aller Anstrengung. Zeugenschaft war aber vielen schmerzlich empfundene Pflicht, selbst gestellte Aufgabe um der beklagten Toten willen, ererbtes Vermächtnis der Ermordeten. Viele kamen ihrer Erinnerungspflicht in mündlichen Berichten nach und leisteten ein nicht geringes Maß an Aufklärung. Aufschreiben und in eine publizierbare Form bringen konnten freilich nur wenige ihre Traumata und Erinnerungen.

Paul Hoffmann, Sklavenarbeiter der IG Farbenindustrie AG in Auschwitz von Frühjahr 1943 bis Januar 1945, Überlebender der Lager Buna/Monowitz, Buchenwald und Holzen (2), hat mehrere Versuche unternommen, sein Leben zu Papier zu bringen. Eine Autobiografie wollte ihm aber nicht gelingen.

An seines Vaters statt hat deshalb Daniel Hoffmann auf der Grundlage von Aufzeichnungen, Briefen, Dokumenten und vielen mündlichen Erzählungen die väterlichen Lebensspuren nachgezeichnet und ein Buch geschaffen, das in der Tat dem "beschädigten Leben" des geliebten Vaters ein "würdiges Denkmal" (S. 26) setzt.

Der an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf lehrende Germanist weiß um die Möglichkeiten der Erzählformen und -perspektiven. Er hat sich der Geschichte seines Vaters mit bewundernswerter Hingabe, aber auch mit kritischem Verstand angenommen. Als Nachgeborener, dem Geschichtsvergessenheit, Vergangenheitsindolenz fremd sind, ist er zum sekundären Zeugen geworden. Die gründliche Kenntnis der Quellen, das emphatische Verständnis der erzählten Erinnerungen befähigen Daniel Hoffmann – was durchaus ein Wagnis ist –, als "auktorialer Erzähler" (S. 6) zu fungieren. Im Wissen um Hintergründe und Umstände wird die Geschichte des Vaters aus dessen Perspektive möglichst "objektiv" geschrieben.

Paul Hoffmann hätte seine ungeschrieben gebliebene Autobiografie wohl in der Ich-Form verfasst, die unabdingbare Subjektivität des Überlebenden hätte dem Werk seine spezifische Authentizität verliehen. Daniel Hoffmanns "Rekonstruktion aus dem Holocaust", auf der Basis der väterlichen Quellen ist naturgemäß kein Zeugnis, vielmehr ein Objektivität und Wahrheit anstrebendes Buch. Das durchaus schwierige Unterfangen ist dem Autor gelungen. Ein Mensch und seine Geschichte erschließen sich dem Leser, ein Mann nimmt Gestalt an, der in seiner Gradlinigkeit, Direktheit und Rigorosität nur Bewunderung verdient.

Paul Hoffmann, 1921 in Iserlohn geboren und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, ging bis 1936 zur Schule, machte bis zum November 1938 eine kaufmännische Lehre und konnte noch bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs eine Handwerkerschule besuchen und sich zum Schreiner ausbilden lassen. Ende 1939 wurde er als Erntehelfer eingesetzt und kam anschließend in das Arbeitslager Schlosshof bei Bielefeld. Bis zur Deportation nach Auschwitz im März 1943 arbeitete Hoffmann für Privatfirmen im Tief- und Straßenbau. Die Jahre der Entrechtung und Ausgrenzung hat Paul Hoffmann auch deshalb so schmerzlich erfahren, weil die nichtjüdische Seite seiner Familie den verfolgten Angehörigen alle Unterstützung und Hilfe versagte. Schmählich haben die Verwandten die bedrängten und drangsalierten jüdischen Familienmitglieder im Stich gelassen. Daniel Hoffmann erzählt die Geschichte schonungslos und kennt keine falsche, weil die historische Wahrheit verstellende Rücksichtnahme.

Nach Auschwitz verschleppt, kam Paul Hoffmann in das IG Farben-eigene, von der Auschwitzer SS verwaltete Lager Buna/Monowitz, das unmittelbar an das Werksgelände des Chemieunternehmens grenzte. Auch in der Darstellung der Lagerhaft besticht der Autor durch ungeschminkte Offenheit. Neben dem fürsorglichen und hilfsbereiten Kameraden gab es ebenso den unsolidarischen, der SS Handlangerdienste leistenden Funktionshäftling, mag er Jude oder Nichtjude gewesen sein. Neben dem Angestellten und Arbeiter der von der IG Farben beauftragten Subunternehmen, die kein Pardon für die ausgezehrten und geschwächten Arbeitssklaven kannten, gab es den menschlichen Firmenangehörigen, der für "seine" Häftlinge sorgte.

Daniel Hoffmann nennt in seinem Buch viele Namen. Namen von Opfern, von denen nichts geblieben ist, und Namen von Tätern, die teilweise für ihre Verbrechen sühnen mussten.

Auch die Jahre nach der Befreiung werden im Buch geschildert: des Vaters vergebliche Versuche, in die USA auszuwandern, die Scheinheiligkeit der nichtjüdischen Familienangehörigen, die Gefühl- und Verständnislosigkeit der nachkriegsdeutschen Behörden. Nichts lässt der Sohn aus, auch nicht die Bemerkung zu einer Kindheit, in der die "traurige Einsamkeit" der Eltern nicht ohne Auswirkung auf die beiden Kinder blieb.

Daniel Hoffmanns Buch über seinen Vater ist ein würdiges "Denkmal". Freilich keins, das die dargestellte Person heroisiert, vielmehr eins, das den Nachgeborenen der Täter und der Opfer die Vergangenheit facettenreich und differenziert vergegenwärtigt. Die Ära der Zeitgenossenschaft des Nationalsozialismus geht zu Ende, die letzte Erfahrungsgeneration stirbt aus. Welche Rolle der sekundären Zeugenschaft zuwächst, wird sich erweisen. Daniel Hoffmann hat mit seinem Buch gezeigt, dass auf einer breiten Quellenbasis und mit guten Geschichtskenntnissen sekundäre Zeugenschaft gelingen kann.

Anmerkungen:
(1) "Kitsch, Kunst und Grauen", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (2.12.1995); wieder abgedruckt in: Ruth Klüger, Gelesene Wirklichkeit. Fakten und Fiktionen in der Literatur. Göttingen: Wallstein Verlag, 2006, S. 55.
(2) Zum Lager Holzen siehe den Beitrag von Manfred Grieger in: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhausen, Buchenwald. Hrsg. von Wolfgang Benz und Barbara Distel. Redaktion: Angelika Königseder. München: C. H. Beck, 2006, S. 462–467.

hagalil.com 11-01-08











 

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