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Der angepasste Antisemitismus

„Eindringlich möchte ich Sie bitten, Herr Paul Spiegel, Ihre verdammte Arroganz abzulegen. Sie waren und sind arrogant und oberflächlich (…)Ich bin Jahrgang 46. War in Jerusalem und habe dort einen Friedensbaum gepflanzt. Sie zerstören alles wieder. Wie soll ich Ihr Fehlverhalten meinen Kindern erklären?“ So lautet der Auszug eines Briefes, der im März 2005 beim Zentralrat der Juden einging…

Eine Rezension von Ramona Ambs

Der Absender dieser Zeilen geriert sich als wahrer Humanist, einer, der den frechen, arroganten Juden aufgrund seiner moralischen Überlegenheit wohlmeinend sagen kann, wo es lang zu gehen hat. Ein Mann, gebildet, aus der Mitte der deutschen Gesellschaft. Monika Schwarz-Friesel hat derlei Briefe unter sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten untersucht und dabei unter anderem herausgefunden, dass bestimmte Wortverknüpfungsmuster, wie z.B. „Jude-frech-arrogant“ tief im mentalen Gedächtnis von Personen, die der gesellschaftlichen Mitte zuzuordnen sind, verhaftet sind.

Vorgestellt hat Schwarz-Friesel diese Untersuchung auf einem internationalen Symposium im April 2009 an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Dort wurden verschiedene Aspekte des Phänomens „Antisemitismus der Mitte“ beleuchtet. Nun sind die Vorträge in einem Sammelband nachzulesen. „Aktueller Antisemitismus- ein Phänomen der Mitte“ heißt das von Monika Schwarz-Friesel, Evyatar Friesel und Jehuda Reinharz Schwarz-Friesel herausgegebene Werk.

Gleich zu Beginn des Buches bedauern die Autoren, dass in den Verfassungsschutzberichten Antisemitismus nur im Zusammenhang mit Extremisten und Islamisten vorkommt und keineswegs als Phänomen der Mitte. Ebenso bedauern sie die unglückliche Semantik, die mittlerweile gebräuchlich sei: wer von einem „neuen“ Antisemitismus rede, der negiere, dass es sich im Grunde um die alten Stereotypen handelt, die sich nur den aktuellen Begebenheiten angepasst hätten. Und dieser angepasste Antisemitismus macht sich immer mehr in der Mitte unserer Gesellschaft breit.

Nach einem einführenden Aufsatz von Wolfgang Benz über die alltäglichen Erscheinungsformen von Judenfeindlichkeit und den Ausführungen von Monika Schwarz-Friesel stellt Samuel Salzborn eine Untersuchung vor, die anhand von Interviewanalysen zeigt, dass eine weit verbreitete „antisemitische Angst vor der (Phantasie über die) eigene (unaufgearbeitete) Vergangenheit zu sprechen“ vorliegt, die zwar im Individualfall psychoanalytisch noch anders interpretiert werden könne, aber als Gruppenphänomen dennoch valide sei. Dafür wurde als „Coverstory“ für die Interviews der Kirchentag und die Verstrickungen Ratzingers ins NS-Regime genutzt. Alle Probanden kamen früher oder später von sich aus auf das Thema „Juden“ zu sprechen und bei allen war eine diffuse Ablehnung gegen Juden resp. Israel vorhanden.

Martin Kloke untersucht den sogenannten „ehrbaren“ Antisemitismus, der sich in überproportionaler und stigmatisierender Israelkritik und einem scheinbar moralisch begründeten Antizionismus äußert. Holger Braune nimmt verbale und schriftliche Äußerungen auf Antisemitismen unter die Lupe, während Esther Shapira und Georg M. Hafner den medialen Umgang mit dem Nahostkonflikt thematisieren. Eva Leuschner und Robert Beyer untersuchen die funktionale Konvergenz von Aktion und /oder Reaktion in Briefen und TV-Debatten.

Einem besonderem Phänomen, nämlich dem jüdischen Judenhass wendet sich Evyatar Friesel zu. Friesel begründet den jüdischen Judenhass (den er nicht als Antisemitismus bezeichnen will) als quasi internes Problem mit der eigenen jüdischen Identität, was jedoch nach außen verheerende Wirkung entfalte, da diese Personen als jüdische Kronzeugen gegen Israel und die Juden benutzt werden.

Vergleiche von Judenhass jeweils zwischen Großbritannien und Deutschland (Helga Embacher/Margit Reiter) einerseits und den USA und Deutschland (Jehuda Reinharz) andererseits zeigen anschaulich die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Gesellschaften auf. Mit einem Überblick von Andreas Zick zum Antisemitismus in Umfragen endet der Beitragsteil des Buches.

Insgesamt bietet der Band eine sehr umfassende und teilweise auch detailreiche Analyse zum aktuellen Antisemitismus, der so neu gar nicht ist, sondern wie eh und je auf den selben althergekommenen Stereotypen basiert. Dem Plädoyer der Herausgeber, bei diesem Phänomen nicht weiter von „neuem Antisemitismus“ zu sprechen, sollte unbedingt nachgekommen werden.
Wer sich also für aktuelle Erscheinungsformen des angepassten Antisemitismus interessiert, wird in diesem Buch fündig werden.

Monika Schwarz-Friesel/Evyatar Friesel/Jehuda Reinharz (Hrsg.), Aktueller Antisemitismus – ein Phänomen der Mitte, Berlin 2010 (Walter de Gruyter-Verlag), 254 S., 49,95 €, Bestellen?

2 comments to Der angepasste Antisemitismus

  • Georg Fries

    Danke für die Besprechung, ein sehr schöner Beitrag. Übrigens,  trotz ja mancher (manchmal auch blöder und selbstgerechter, a la jungle world) Streits über etwas mehr Friedensbewegungen Israels zugeneigter blogs, gibt es in vielen der guten blogs herausragende Beiträge, in denen mit viel Geduld die immergleichen dummen und dummfrechen Klischees aufgedröselt werden. So etwa bei israelblog.com „his master’s voice“ – da geht es beispielsweise in einer historischen Rückschau um solch  ewiggleiches Gerede.

  • Jochen Kissly

    Ja ja, schon wer Israel kritisiert wird in die antisemitische Ecke oder gar gleich in die braune Ecke gestellt.
    Die Grösse zuzugeben dass auch zB israelische Politiker Fehler machen hat hier niemand!
    JK