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Rolf Rendtorff:
Kontinuität im Widerspruch
Autobiographische Reflexionen
Vandenhoeck & Ruprecht 2007
Euro 24,90

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"Kontinuität im Widerspruch":
Eine ungewöhnliche Autobiografie

Rezension von Dr. Martin Kloke

Der Heidelberger Theologe Rolf Rendtorff, Jahrgang 1925, ist in der Zeit des Nationalsozialismus und des beginnenden Kirchenkampfs großgeworden. Er wuchs in einer nicht untypischen zehnköpfigen evangelischen Pfarrersfamilie auf, die sich ebenso selbstverständlich deutsch-national wie – nach einer Weile – auch NS-kritisch positionieren sollte.

Dass sein Vater als Bischof von Mecklenburg Anfang 1934 in eine kleine unbedeutende Landgemeinde strafversetzt wurde; dass sein älterer Bruder zusammen mit einem Mitschüler Anfang 1942 neun Monate in KZ-Haft war – dieser alltägliche Wahnsinn ist für Rendtorffs weitere Lebensgeschichte prägend geworden. Als Begründung für die Verurteilung der beiden Oberschüler ließ die Gestapo verlauten: "Weil sie in ihrer Klasse die Anschauungen des Christentums für wahr erklärten und mit dieser Ansicht ihre Klasse beeinflussten."

Einerseits unliebsame Erfahrungen mit der totalitären Staatsmacht, andererseits die relative Geborgenheit von Pfarrhaus, Kirchengemeinde und praktizierter Frömmigkeit, etwa in der bündisch geprägten "Jungenwacht", schließlich eine Einberufung zum Kriegsdienst in der Marine (1942 bis 1945) – komplexe Erfahrungen dieser Art ließen im jungen Rendtorff eine christliche Identität von "Kontinuität im Widerspruch" heranreifen:

Nach dem Krieg beschloss Rendtorff, wie nicht wenige seiner kriegsheimkehrenden Altersgenossen, Theologie zu studieren – aus dem "Gefühl" heraus, dass seine Kirche "einer der wenigen festen Punkte war, an dem man sich orientieren konnte, wo sonst fast alles zusammengebrochen war." Mit Bedacht wechselte Rendtorff nacheinander an vier Studienorte, promovierte beim legendären Alttestamentler Gerhard von Rad, heiratete "zwischendurch" und wurde noch während des Studiums Vater einer Tochter. Noch die ersten Dozenten- und Professorenjahre, zunächst in Göttingen, dann in Berlin, schienen in den konventionellen Bahnen eines wissenschaftlichen "Vielschreibers" zu verlaufen.

Erst die Jahre 1963ff sollten für Rendtorff einschneidende mentale und existenzielle Umbrüche mit sich bringen: Der Theologe kam in Kontakt zu neu gegründeten "Deutsch-Israelischen Studiengruppen" und begann das wachsende Israel-Interesse insbesonderer linkschristlicher Studenten zu unterstützen. 1963 reiste er mit einer Studiengruppe erstmals nach Israel – eine zu jener Zeit fast noch exotische Unternehmung. Die für ihn überraschende Gastfreundlichkeit israelischer Kollegen und Gesprächspartner – die teilweise Überlebende der Schoah waren – überwältigten ihn. Fortan ließen ihn Israel, seine Menschen und die jüdische Religion nicht mehr los. Erstaunt entdeckte der christliche "Alttestamentler" Verbindungslinien zwischen seinem antiken Forschungsgegenstand und der quirligen Präsenz nachbiblischen jüdischen Lebens im "Heiligen Land". Eine neue jüdische Welt tat sich ihm auf, der er erst im wahren Leben – außerhalb der selbstgenügsamen Universitätstheologie – gewahr werden sollte. Insbesondere Jerusalem wurde für Rendtorff das Ziel wiederholter Studien-, Bildungs- und Forschungsreisen.

Lebenslange Freundschaften entstanden; der Bibelwissenschaftler lernte Neuhebräisch und nahm, sooft sich die Gelegenheit bot, aktiv an jüdischen Gottesdiensten teil. Zeitweise spielte Rendtorff sogar mit dem Gedanken, zu konvertieren. Vor diesem Hintergrund begann er, zusammen mit Gleichgesinnten die jüdischen Wurzeln christlicher Existenz wiederzuentdecken. Binnen weniger Jahre zählte er zu den profiliertesten Wegbereitern des christlich-jüdischen Dialogs im deutschen Protestantismus – einige offizielle Verlautbarungen der Evangelischen Kirche zum christlich-jüdischen Verhältnis tragen noch heute seine Handschrift.

Auch (israel-)politisch waren die 1960er Jahre eine Zeit des persönlichen Umbruchs: Rendtorff protestierte gegen die Praktiken ehemaliger deutscher Raketeningenieure der Nazizeit, die an einem für Israel potenziell gefährlichen ägyptischen Raketenprogramm zu basteln begonnen hatten. Folgerichtig setzte er sich auch für die Aufnahme diplomatische Beziehungen zu Israel ein. 1965/66 betrieb der inzwischen in Heidelberg lehrende Theologe mit einer Handvoll weiterer Aktivisten die Gründung einer überparteilichen Deutsch-Israelischen Gesellschaft – und war jahrelang ihr Vizepräsident.

Mit seinem Eintritt in die SPD verabschiedete sich Rendtorff auch offiziell von seiner nationalprotestantischen Herkunft – damit war er zu jener Zeit ein Exot innerhalb der akademischen Zunft. Persönlich schwierige Jahre erlebte er als Rektor der Universität Heidelberg zwischen 1970 und 1972: Angefeindet von einer gekränkten und um ihre Privilegien fürchtenden Ordinarienkaste handelte sich der linksliberale Rektor zahlreiche "Dienstaufsichtsbeschwerden" und andere rechtliche Maßregelungsversuche ein. Auch Ministerpräsident Hans Filbinger machte keinen Hehl daraus, Rendtorff möglichst bald loswerden zu wollen – jeder weitere Demokratisierungsversuch der universitären Strukturen sollte ihm ausgetrieben werden. Erst mit seinem Rücktritt im November 1972 hörte die publizistische und juristische Hatz auf. Weitere hochschul- und parteipolitische Ausflüge beendete Rendtorff 1976, als der SPD-Bundestagskandidat eine Wahlniederlage hinnehmen musste.

Dunkle Wolken zogen auch auf, als nach dem Sechstagekrieg 1967 zahlreiche ehemalige linke Israelfreunde mit selbstgerechtem Getöse ins antiisraelische Lager wechselten. Unversehens wurde nun auch Israelfreund Rendtorff von ehemaligen Weggefährten des linksprotestantischen Milieus als "Rechtsabweichler" tituliert. Gleichwohl stellte er sich in den 1970er Jahren auf die Seite jener Stimmen innerhalb der DIG, die die Solidarität mit Israel mit einer "kritischen" Begleitung israelischer Politik, etwa in den besetzten Gebieten, zu vereinbaren suchten. Die daraus resultierende, letztlich ungeklärte interne Auseinandersetzung führte dazu, dass der Heidelberger "Störenfried" (so Botschafter Yohanan Meroz) 1977 aus der DIG austrat und bald darauf den "Deutsch-Israelischen Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten" (DIAK) gründete.

Doch auch im DIAK sollte Rendtorff auf lange Sicht keine israelpolitische Heimat finden können, weil die dort praktizierte "Israelkritik" die solidarischen Motive zunehmend in den Hintergrund drängen sollte. 1986 verabschiedete er sich von der aktiven Mitarbeit. In den letzten Jahren wurde ihm bewusst, dass die immer stärkere Palästina-Fixierung des DIAKs eine "sehr zugespitzte kritische Haltung gegenüber der israelischen Politik" impliziert: "Ich bin nach wie vor Ehrenvorsitzender des DIAK, aber ich kann die dort vertretenen Positionen oft nicht nachvollziehen." In einem Schreiben an den Rezensenten brachte Rendtorff noch nach Redaktionsschluss dieses Buches seine "große Beunruhigung" über die tendenziösen Entwicklungen im DIAK zum Ausdruck.

Nach seinem Ausstieg aus der aktiven Politik 1976 widmete sich der Hochschullehrer wieder stärker seinen wissenschaftlichen Neigungen, ohne seine israelpolitischen und christlich-jüdischen Interessen aufzugeben. Doch auch in den Forschungsdiskursen seiner Disziplin geriet er rasch zum "Außenseiter". In seinen Spätschriften zum Alten Testament (zwischen 1983 und 2001) verwarf er radikal das 100-jährige Konzept einer historisch-kritischen Quellenscheidungstheorie. Statt aus den biblischen Texten verschieden alte "Quellen" herauszudestillieren und diese angeblichen Fragmente zum hermeneutischen Schlüssel zu überhöhen, plädierte Rendtorff fortan, "kanonische" bzw. "holistische" Zugänge zu den biblischen Quellen in ihrer "Endgestalt" anzubahnen. Weil der Theologe diesen aus der angelsächsischen Forschung stammenden Ansatz auch in Deutschland diskussionswürdig machte, wurde seine "Einführung in das Alte Testament" von einigen deutschen Fach-"Kollegen" auf den Index gesetzt.

"So bin ich auch hier am Ende eines langen wissenschaftlichen Lebensweges, bei dem das ‚Dazugehören’ nie in Frage stand, für bestimmte Fachkreise zum Außenseiter geworden. Aber ich muss erneut hinzufügen, dass ich damit gut leben kann. So bleibt am Schluss Dankbarkeit."

Die Rezension erschien zuerst in: DIGmagazin. Zeitschrift der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (Juni, Nr. 2, 2007, S. 8f).

hagalil.com 02-07-07











 

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