Analysen rechter Ideologien:
Völkische Bande
Von Ralph Kummer,
redok, 29.11.2006
Faschismus ist kein epochales, für alle Zeiten
abgeschlossenes Phänomen der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts. Vielmehr ist
- trotz aller Wendungen - eine erstaunliche Kontinuität
völkisch-faschistischen Denkens zu konstatieren. Eine Analyse dieses Denkens
haben sich die Autoren des 251 Seiten umfassenden Sammelbandes zur Aufgabe
gemacht. Die einzelnen Aufsätze sind überarbeitete Fassungen von Vorträgen,
welche auf dem 17. Wissenschaftlichen Colloquium des Duisburger Instituts
für Sprach- und Sozialforschung (DISS) 2004 gehalten wurden. Hinzu kommen
ergänzende Beiträge.
Vorab erfolgt ein Blick auf Begriff und Komponenten des Faschismus:
Roger Griffin präsentiert sein generisches Faschismuskonzept, das
unter Faschismus eine ultranationalistische, auf völkische Neugeburt
abzielende Ideologie fasst. Er richtet in seiner Faschismusdefinition
den Fokus auf den ideologischen Kern statt auf konkrete historische
Erscheinungsformen und behandelt Faschismus wie andere generische
politische Ideologien (Kommunismus, Liberalismus, Konservatismus).
Demnach ist
"[...] ein politisches Phänomen auch dann als faschistisch zu
betrachten, wenn es nur im embryonalen Zustand im Kopf eines Ideologen
und ohne Ausdruck in einer politischen Partei, geschweige denn einer
Massenbewegung, existiert. Darüber hinaus mag es sinnvoll sein, eine
Form politischer Energie als faschistisch zu erkennen, selbst wenn sie
auf die Absicht verzichtet, als parteipolitische und/oder
paramilitärische Kraft zu operieren und stattdessen einem Ansatz folgt,
der eher mit politischem Quietismus denn mit revolutionärem Fanatismus
zu tun haben scheint." (S. 40)
Zentrales Moment bleibt für Griffin der von faschistischen
Fundamentalisten herbeigesehnte Umschlag von Dekadenz zu Wieder- bzw.
Neugeburt. Die deutsche völkische Bewegung möchte er in einem
weitreichenderen Rahmen und nicht mehr nur als Teilphänomen des "deutschen
Sonderweges" in die Moderne einordnen (vgl. S. 44). In der heutigen Zeit
schätzt er den "Extremismus der Mitte" als größte Gefahr in Europa, noch vor
dem Rechtsextremismus, ein.
Kurt Lenk befasst sich daraufhin mit den Topoi Dekadenz,
Apokalypse und Heroismus aus ideengeschichtlicher und
geschichtsphilosophischer Perspektive. Er deckt eine mit den genannten Topoi
in Zusammenhang stehende Faschismus-affine Krisensemantik auf. Lenk
kritisiert die Ausrufung eines permanenten Ausnahmezustands durch Autoren
wie Georges Sorel, Henri Bergson oder Ernst Jünger: "Stets geht es letztlich
um eine Entscheidung zwischen Untergang oder Rettung durch irgendwelche
heroische Taten" (S. 61).
Der zweite Teil des Sammelbandes stellt einige Protagonisten der
"Konservativen Revolution" näher vor. Hierbei steht sowohl die Frage nach
Verbindungslinien zwischen Konservativer Revolution und Nationalsozialismus
als auch nach Wiederbelebungen sowie Modifizierungen seit Ende des Zweiten
Weltkrieges im Mittelpunkt.
Helmut Kellershohn untersucht das Werk des Mentors der Neuen
Rechten, Armin Mohlers "Die Konservative Revolution in Deutschland 1918 -
1932". Bedeutsam ist hier insbesondere die Frage, was genau die Konservative
Revolution eigentlich war oder ist und wie sie zum Nationalsozialismus ins
Verhältnis gesetzt werden kann.
Der Literaturwissenschaftler Volker Weiß belegt die Einflüsse
Dostojewskijs, Mereschkowskis und Thomas Manns auf Arthur Moeller van den
Brucks Ablehnung des dekadenten, stetig im Verfall befindlichen Westens und
gleichzeitigen Festigung eines Ost-Mythos. Für die praktische Umsetzung der
Ostorientierung im Sinne Moeller van den Brucks hieße dies:
"Sollte die Sowjetunion den spezifisch deutschen nationalen Sozialismus
anerkennen, dann stünde einem gemeinsamen Vorgehen eines
deutsch-sowjetischen 'Ostblocks' gegen den Westen nichts im Weg [...]".
(S. 107)
Auch heutzutage gelangen Versatzstücke eurasischer Ideologie mit der
europäischen Öffnung nach Osten wieder auf das politische Tableau. In
Russland gibt es Tendenzen, die Sicht auf die Bolschewiki als spezifische
antiwestliche Modernisierung zu nationalisieren und mit der Zielvorstellung
"nationaler Sozialismus" faschistische und sozialistische Semantik zu
harmonisieren (vgl. S. 119). Gerade der Eurasier und Nationalrevolutionär
Alexander Dugin sticht in dieser Hinsicht unrühmlich hervor.
Des Weiteren vertieft Ulrich Prehn Entstehung und Genese des in
der Neuen Rechten so beliebten Ethnopluralismus-Konzepts. Den Ausgangspunkt
bildet in diesem Beitrag der deutsche Volkstumstheoretiker Max Hildebert
Boehm; es fließen aber auch die Werke modernerer Theoretiker eines "Europas
der Völker" bzw. einer "Föderation ethnischer Regionen", wie Eugen Lemberg
und Guy Héraud, in Prehns Betrachtungen mit ein.
Wie sich völkisches, faschistisches Denken seinen Weg in die
gesellschaftliche Mitte bahnt, wie es dort eine Hegemonie im politischen
Denken und Handeln anstrebt, zeigt der dritte Themenschwerpunkt des Bandes
auf.
Stefanie Mayer nimmt diskursanalytisch die Benès-Dekrete in
ihrer medialen Aufbereitung in Österreich unter die Lupe. Interessant ist
hier vor allem die punktuelle Bildung geschichtspolitischer Allianzen im
österreichischen Parteienspektrum, nachdem auf breiter Ebene die Deutung der
Dekrete als "Unrecht" unhinterfragt Zustimmung fand.
Moshe Zuckermann analysiert die Ideologie der israelischen
Rechten. Er räumt dabei ein, dass die soziale Bedeutung der Begriffe
"rechts" und "links" in Israel abhanden gekommen (vgl. S. 192) und an ihre
Stelle der außenpolitische Primat getreten ist (vgl. S. 196). "Der Grund
liegt darin, dass sich das sozial orientierte Rechts-Sein und das
politisch orientierte Rechts-Sein in Israel verkehrt haben"
(S.190). Die entscheidenden Konfliktlinien bildeten die ideologisch
aufgeladene Siedlungs- bzw. Sicherheitsfrage sowie die Religion. Als extrem
rechts seien derzeit hauptsächlich die militanten, nationalreligiösen
Siedler anzusehen.
Der Mitarbeiter des DISS, Martin Dietzsch, unterteilt die
jüngste Entwicklung der NPD in fünf Phasen, ausgehend von der Zeit vor dem
Verbotsantrag Ende der 1990er Jahre bis zum Wahlerfolg in Sachsen 2004. Er
kommt zu dem Schluss:
"Durch die Verbindung von gewalttätigen Neonazis, Nazi-Subkultur, der
Logistik eines gut funktionierenden und gut finanzierten Parteiapparats
und von parlamentarischer Arbeit entsteht eine ganz neue Qualität der
Bedrohung durch rechtsextreme Gewalt." (S. 203)
In einem Nachtrag der Herausgeber zu diesem Artikel wird kurz auf die
unglückliche Rolle der deutschen Justiz bei den Einigungsbemühungen im
Rechtsaußen-Lager eingegangen, speziell im Kontext einer Rede Claus Cremers
auf einer NPD-Kundgebung in Bochum sowie der juristischen Auseinandersetzung
mit der Berliner Wochenzeitung "Junge Freiheit".
Heiko Kauffmann setzt sich mit den Änderungen der Flüchtlings-
und Menschenrechtsschutzsysteme in Folge des Anti-Terror-Krieges
auseinander. Zugleich verschärfen sich seiner Meinung nach
innergesellschaftliche Spaltungen und Ungleichheiten, wodurch die Gefahr
eines rassistisch fundierten Legitimationsdiskurses kulminiere, indem
Demokratie und Menschenrechte mit Marktfreiheiten gleichgesetzt und gegen
die Rechte der Migrantinnen und Migranten ausgespielt werden (vgl. S. 207).
Zwei Zwischenüberschriften bringen Kauffmanns Überlegungen auf den Punkt:
"Schutz von Menschen oder Schutz vor Menschen?" und "Die 'Lager-Idee' als
Symbol und Sinnbild eines postkolonialen Systems globaler Apartheid". Und
"globale Apartheid" sowie Ethnopluralismus sind nur zwei Seiten einer
Medaille. Kauffmann beendet seinen Beitrag mit einem flammenden Appell zur
Stärkung zivilgesellschaftlicher Kräfte und sozialer Bewegungen.
Die Juristin Marei Pelzer beleuchtet das seit dem 1. Januar 2005
geltende bundesdeutsche Zuwanderungsgesetz und resümiert, dass der viel
beschworene Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik nach wie vor
ausstehe. Vielmehr seien der Abwehrgedanke und Repressionen weiterhin
dominant.
Das Buch wird von einem knappen Blick Ute Kurzbeins auf eine
Dokumentation der Antirassistischen Initiative Berlin beschlossen. Die ARI
bilanzierte die schlimmen Folgen bundesdeutscher Flüchtlingspolitik von 1993
bis 2004 auf Grundlage von ungefähr 3800 Einzelfallberichten.
Der Sammelband "Völkische Bande" schlägt eine gelungene Brücke zwischen
Theorie und Praxis, angefangen bei Überlegungen zum Faschismusbegriff,
endend beim aktuellen Zuwanderungsgesetz und der bundesdeutschen
Flüchtlingspolitik. Er skizziert zudem eindrucksvoll die Virulenz völkischen
Denkens vom extrem rechten Rand bis in den gesellschaftlichen Mainstream
hinein. Gleichzeitig wird überdeutlich, dass einer weiteren Etablierung
dieses Denkens nachhaltig entgegengetreten werden muss.
© 2006 redok
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14-02-07 |