Mythos Identität:
Fiktion mit Folgen
Rezension von Karl Pfeifer
Der vorliegende Sammelband präsentiert die Ergebnisse
des XVII DISS Colloquiums im Dezember 2003, knüpft daran an und diskutiert
das Thema "Identität".
Kurt Lenk setzt sich polemisch mit "Pax Americana im
Zeichen der Bush-Doktrin" auseinander. Einige seiner Behauptungen sind nur
schwach belegt. Zum Beispiel, dass sich Bush jun "Autoren aus der "Schule"
des legendenumwobenen nach Amerika emigrierten deutschen Philosophen Leo
Strauss" holte.
Lenk sieht "just durch diese amerikanisch-britische
Invasion die in diesem Land (Irak) begonnenen Säkularisierungs- und
Modernisierungsimpulse in einen aggressiv-fundamentalistischen Islamismus
umzuschlagen beginnen...". Als ob Saddam Hussein nicht dieses reiche Land
ins Elend und Regression gestürzt hätte. Die Islamisierung wurde bewusst
durch die Diktatur Saddams gefördert.
Lenk macht den USA den Vorwurf: "Um einen Krieg aus
innerer Überzeugung führen und wirklich billigen zu können, bedarf es des
Bewusstseins, einen Kampf für das Gute gegen das schlechthin Böse zu führen,
d.h. aber auf Gottes Seite zu stehen." Gibt es denn ein anderes Land oder
ein Regime, dass je Krieg geführt hätte mit der Parole "wir führen einen
Kampf für das Böse und gegen das Gute"? Und was soll man von diesem Satz
halten, der so auch in jedem Wirtshaus zu hören ist, in dem Mitglieder der
deutsch-österreichischen Volksgemeinschaft zusammenkommen: "Amerika hat alle
seine Kriege als Kampf zwischen Gut und Böse empfunden: von den Indianern
über die Spanier bis zu den Deutschen und Japanern."
Alfred Schobert beleuchtet in seinem Beitrag gründlich den
Antiamerikanismus und die Europa-Vorstellung des "neuen Rechten" Alain de
Benoists und zeigt wie sich dieser Rechte einen europäischen Jihad gegen die
USA vorstellt. Insbesondere interessant ist der letzte Abschnitt seines
Artikels über die Bildung einer kruden Allianz, die im Zeichen von
Antiamerikanismus und eines kaum maskierten Antisemitismus sehr verschiedene
politische Lager von den Neonazi über Rechtsextremisten und bis zum
antiimperialistischen Lager eint.
Gudrun Quenzel untersucht die europäische Identität vom
wissenschaftlichen Diskurs bis zum Feuilleton großer Tageszeitungen. Ivan
Golobolov unterscheidet in seinem Beitrag über die nationale Identität im
post-sowjetischen Russland fünf große Komplexe von russischem Nationalismus,
die das Russisch-Sein abhängig davon artikulieren, welcher "Feind"
identifiziert wird. Ein interessante Schilderung auch des antisemitischen
Nationalbolschewismus.
Moshe Zuckermann ist wie viele andere Linke schwer
enttäuscht: Israel ist nicht die Utopie geworden, die er sich vorgestellt
hat. "Im Grunde genommen kam der Staat Israel bzw. die Lösung des "jüdischen
Problems" als eine Kopfgeburt in die Welt... Der Zionismus bzw. die
zionistische Staatsidee entstand also als eine Kopfgeburt, nicht als eine
Reaktion auf eine bereits bestehende Realität, sondern als etwas, das sich
ex negativo entfaltete." Was immer Zuckermann schwadroniert, Zionismus war
nicht nur eine "Kopfgeburt" wie das im Grunde genommen jede nationale
Bewegung ist, sondern gründete auf den sehr realen Problemen der Millionen
Juden Osteuropas Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Auf die Welle
der antijüdischen Pogrome im Zarenreich gab es verschiedene Möglichkeiten zu
reagieren. Millionen wanderten aus und nur ein Bruchteil in das arme
Palästina. Andere setzten ihre Hoffnungen in den Sozialismus und die
Arbeiterklasse. Manche hofften das Problem durch Assimilation lösen zu
können. Doch gerade dort, wo sich die meisten Juden assimilierten,
triumphierte der Rassenwahn.
Zionismus bedeutete gefährdeten Juden Normalität und
Selbstbestimmung zu verschaffen. Dass dies nur zum Teil gelungen ist, ist
nicht ausschließlich Schuld der Zionisten. Die Zionisten können es
Zuckermann nicht Recht machen. Erwogen sie Jiddisch zur Nationalsprache zu
machen, dann verlor man "die orientalischen Juden dabei aber mehr oder
minder aus dem Blickfeld". Weil dann die Zionisten Hebräisch zur
Nationalsprache machten, bekommen sie auch ihr Fett ab, denn damit griffen
sie auf die Sprache der Religion zurück. Zuckermann lässt kein
antizionistisches Klischee aus, so dass es den Rahmen einer Rezension
sprengen würde auf alle einzugehen.
Schade nur, dass die Veranstalter, der Ausgewogenheit
halber nicht auch einen palästinensischen Wissenschaftler eingeladen haben,
der in ähnlich kritischer Weise mit der palästinensischen Geschichte
umgegangen wäre.
Jobst Paul zeigt die Bemühungen deutscher Juden auf, einen
republikanischen Entwurf einer deutschen Nation zu formulieren. Diese
Angebote eines Dialogs wurden zumeist abgelehnt. Um Deutsch zu sein, musste
man die Religion der Väter aufgeben und zu einer Religion konvertieren, die
damals beharrlich die jüdischen Wurzeln leugnete.
Siegfried Jäger befasst sich mit dem völkischen
Verständnis deutscher Identität und kommt zu einem Schluss, dessen Gegenteil
die meisten Medien nicht müde werden zu behaupten: "Das mediale Feindbild
gegenüber Moslems und anderen Einwanderern in Deutschland hat sich entgegen
den Erwartungen vieler nach dem 11.9.2001 nicht verschärft, sondern eher
etwas gemäßigt."
Semra Celik stellt anhand der Analyse von
Alltagsinterviews mit Jugendlichen mit türkischen Migrationshintergrund
"hybride Identitäten" fest. Franz Wichert beleuchtet "Moderne Männlichkeit
im hegemonialen Printmediendiskurs: Identität und Fiktion".
Die Herausgeber verstehen diesen Band als Zwischenstation
auf dem Wege weiterer kritischer Reflexion und Forschung. Tatsächlich regen
manche Beiträge zum Nachdenken, andere – quod erat demonstrandum – zum
heftigen Widerspruch an.
hagalil.com
06-06-05 |