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Susan Arndt:
Weißsein und Kritische Weißseinsforschung

Bis ins 17. Jahrhundert hinein war der Begriff 'Rasse' allein gebräuchlich zur Klassifizierung von Tier- und Pflanzenarten. Dabei bezeichnete er Gruppen, die sich von anderen derselben Art durch konstante und vererbbare Merkmale unterschieden. 1684 wurde dieses Prinzip von dem französischen Arzt François Bernier erstmals auf Menschen übertragen. Entgegen einer oft vertretenen Auffassung vollzog sich diese Klassifizierung von Menschen nach 'Rassen' von Beginn an wertend.

Dabei ist es gerade kein Zufall, dass sich diese Rassentheorien in dem Moment zu formieren begannen, in dem Europa seine globalen Eroberungszüge und auch den Transatlantischen Sklavenhandel zu legitimieren suchte. Bedingt durch den offensichtlichen Widerspruch zwischen dem Gleichheits- und Freiheitsanspruch der Aufklärung und der dem Kolonialismus immanenten Ungleichheitspolitik, Freiheitsverweigerung und Gewalt erfuhren diese Rassentheorien im 19. und 20. Jahrhundert dann eine weiterführende folgenschwere Popularisierung.

Angesichts seiner bis heute andauernden Wirkmacht mutet das Verfahren ziemlich simpel an: Aus einer Vielzahl von zumeist visuell sichtbaren körperlichen Merkmalen haben weiße Natur- (aber auch Geisteswissenschaftler) einzelne (wie etwa die 'Hautfarbe') selektiert, dichotomisiert und zu einem 'natürlich gegebenen' und relevanten Kriterium der Unterscheidung erklärt. Dazu wurden Körperteile vermessen und Blutuntersuchungen vorgenommen. Man hoffte, 'Rassen' so auch genetisch nachweisen zu können. Noch heute lagern Tausende von Schädeln als Relikte dieser biologistischen Forschungen in ethnologischen Museen und einigen deutschen Krankenhäusern, wie etwa der Berliner Charité.

Mit Albert Memmi ist nachzuvollziehen, wie den vermeintlich gegebenen, statischen und objektiven 'Rassenmerkmalen' dabei zugleich auch bestimmte soziale, kulturelle und religiöse Eigenschaften und Verhaltensmuster zugeschrieben und die so hergestellten Unterschiede verallgemeinert, verabsolutiert und gewertet wurden. Die vielen Rassentheorien mögen – abhängig von den jeweiligen Interessen in Europa und einzelner Autoren – uneinig darüber gewesen sein, wie viele 'Rassen' nun zu klassifizieren oder wie sie im Einzelnen zu bewerten wären. Doch im Kern trugen die vielen Abhandlungen, Vorträge, populären Schriften und literarischen Texte allesamt die gleiche Botschaft: "Die weiße 'Rasse' ist eine 'natur'gegebene Norm und allen anderen 'Rassen' überlegen." Ausgehend von einer solchen Normsetzung des 'Eigenen' (von Weißsein) wurde das 'Andere' – oder wurden die 'Anderen' – erfunden.

In diesen rassialisierenden Herstellungsprozessen wurden Anleihen aus der jahrhundertealten Tradition des europäischen Antisemitismus bezogen und dieser dabei ausdifferenziert. Zudem wurde auch auf Ideologeme von 'Hautfarbe', 'Heidentum' und Orientalismus zurückgriffen, die bereits seit dem klassischen Athen und Rom die europäische Geistes- und Kulturgeschichte begleiten. Der moderne Prozess der Herausbildung von Rassentheorien, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben, wird heute gemeinhin als Formierung des Rassismus angesehen, auch wenn der Begriff Rassismus erst in den 1930er Jahren und zwar im Zuge des Protestes gegen die Theorie und Praxis des Nationalsozialismus entstanden ist. In den deutschen intellektuellen Diskurs der Aufklärung wurde der Begriff 'Race' 1775 ("Von den verschiedenen Racen der Menschen") durch Immanuel Kant eingeführt. Wie später auch Hegel versuchte er, ›Rasse‹ in sein philosophisches System einzubinden, indem er eine Rassenhierarchie konstruierte, die zentral auf 'Rationalität', 'Moral', 'Mündigkeit' und 'Erziehbarkeit' als Differenzierungsmerkmalen aufbaut und den weißen Mann zum Zentrum und zur Norm (des Fortschritts) erhebt. Kants 'Rassentheorien' und Hegels 'Geschichtsphilosophie' wirken letztlich nicht nur als Legitimationsboden für Transatlantischen Sklavenhandel und Kolonialismus. Zudem lassen sich diskursiv auch erste Theoreme erkennen, die im Kolonialismus und später im Nationalsozialismus zu aggressiven Rassentheorien, Rassengesetzgebungen und Praktiken der Rassenpolitik führten. Schon 1855 trat Arthur de Gobineau in seinem Buch Versuch über die Ungleichheit der menschlichen Rassen für die Überzeugung ein, dass sich 'höhere Rassen' der 'niederen' erwehren sollten. Mit diesem Ansatz, der in Deutschland auf starke Resonanz stieß, war den 'Rassenkriegen' und der 'Rassenhygiene' von Kolonialismus und Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert der Weg bereitet. Europa bemerkte nicht, oder wollte es auch nicht merken, wie es mehr und mehr einem 'Rassenwahn' verfiel, der zunächst in einem blutigen Kolonialrausch und später im nationalsozialistischen Rassenwahn mündete.

Damit ist die von Historikern wie Enzo Traverso vertretene These angesprochen, wonach Kolonialismus und Nationalsozialismus als diskursiv, politisch und strukturell miteinander verschränkt zu beschreiben sind – eine These, die sich insbesondere auch über die "Schattenseiten der Aufklärung" (Gudrun Hentges) und über den Begriff der 'Rasse' grundlegend stützen lässt. Lenkt dieser Zugang doch den Blick auf mindestens drei zentrale Aspekte. Zunächst einmal kam es im Nationalsozialismus freilich nicht zur Herausbildung neuer Rassentheorien. Vielmehr wurden auf der Grundlage der jahrhundertealten Theorie und Praxis des europäischen Antijudaismus und Antisemitismus sowie der kolonialistisch geprägten Rassentheorien, die in der Aufklärung ihre Blüte erlangten, modifizierende Ideologeme entworfen und rekonturiert. Zweitens stellt die kolonialistische Praxis von Vertreibung, Verschleppung, Rassengesetzgebung, Konzentrationslagern, Massenmord und Genozid – die auf die 'Rassentheorien' als entscheidendem Legitimationsrahmen zurückgriffen – eine unverkennbare Antizipation und Grundlage für die Praxis des Nationalsozialismus dar. Drittens schließlich ist entscheidend, dass der Zweite Weltkrieg ein von Deutschland ausgehender Krieg war, der nicht nur global geführt wurde, sondern in dem es eben nachgerade darum ging, die Welt noch einmal neu aufzuteilen. So beschreibt dann auch der US-amerikanische Historiker Robert Young den Nationalsozialismus zutreffend als "European colonialism brought home to Europe by a country that had been deprived of its overseas empire after World War II."

Doch selbst als der Nationalsozialismus zerschlagen und – nicht zuletzt dadurch katalysatorisch beeinflusst – auch die koloniale Welt Europas endgültig unter den sich selbst befreienden kolonisierten Gesellschaften zusammenbrach, zauberte die weiße westliche Moderne eine neue Theorie hervor – die Modernisierungstheorie, die vorgab, die Welt könne nicht anders, als sich nach ihrem Ebenbild zu organisieren und zu strukturieren. Obwohl der weiße Ostblock und die weiße Westallianz andere Begrifflichkeiten verwendeten und sie scheinbar antagonistische Theoreme bedienten, unterschieden sie sich letztlich in diesen Annahmen nicht merklich voneinander. Gerade deshalb mündete der 'Kalte Krieg' in Europa bis 1989 in Teilen Afrikas, Asiens sowie Mittel- und Südamerikas immer wieder auch in 'Heiße Kriege'.

Auch in den politischen Suchprozessen, die sich mit der Frage verbinden 'Was ist Europa?' ist der Begriff 'Rasse' strukturell und diskursiv präsent, wenn auch weitgehend unmarkiert und entnannt. Europa ist stets ein dem Wandel der Zeit unterworfener unscharfer Begriff geblieben, letztlich eine Metapher wie 'Westen', 'Okzident', 'Orient' und viele andere. Europa ist kein religiös und kulturell homogenes 'natur'gegebenes Gebilde, sondern vielmehr ein historisches und politisches Konstrukt, das sich vor allem in seiner Abgrenzung nach Außen Form und Inhalt zu geben suchte. Dabei bildeten sich das Römische Recht, das Christentum und die Aufklärung als zentrale Requisiten des europäischen 'Selbst' heraus – Axiome, die historisch, diskursiv und strukturell mit Kolonialismus und Nationalsozialismus verbunden sind und sich zentral auch über die Kategorien ' Rasse ' und Weißsein herstellen.

Die Forschungen entlang der Kategorie 'Race'/'Rasse' haben sich lange Zeit maßgeblich als Black Studies präsentiert, die Schwarze und deren kulturelle Identitäten zum Gegenstand der Untersuchung haben. 1992 veröffentlichte Toni Morrison, die spätere Nobelpreisträgerin, mit Playing in the Dark ein Buch, das dieser Tendenz nachhaltig ein Ende bereiten sollte. Sie wies darauf hin, dass "eine Menge Zeit und Intelligenz ... investiert worden [ist], um Rassismus und seine entsetzlichen Auswirkungen auf seine Objekte aufzudecken", dass jede Analyse von Herrschaftsmustern jedoch an Grenzen geraten müsse, wenn sie sich allein auf deren Objekte konzentriert. Erst wenn man zudem die Subjekte der Herstellungsprozesse (gewissermaßen die Erfinder und Begünstigten von Rassentheorien) und ihre Mythen in die Betrachtung einbeziehe, könne sich ein komplexeres und dynamischeres Verständnis für die Mechanismen und Wirkungsformen von Herrschaftsprozessen entwickeln. Es sei also notwendig, den kritischen Blick vom rassialisierten Objekt zum rassialisierten Subjekt zu wenden – "von den Beschriebenen und Imaginierten zu den Beschreibenden und Imaginierenden". "Ich schlage ... also vor", schreibt Morrison weiter, "die Auswirkung von Ideen rassistischer Hierarchie, rassischer Ausgrenzung und rassischer Verletzbarkeit und Verfügbarkeit auf Nichtschwarze zu untersuchen, die diese Ideen vertreten haben oder ihnen widerstanden, sie erkundeten oder sie veränderten." Dabei gilt es als methodische Herausforderung, eine Rezentrierung von Weißsein zu vermeiden.

Zwar findet unter Schwarzen und People of Color seit jeher ein Austausch von 'speziellem' Wissen über Weißsein statt, der dazu dienen sollte, sich gegenseitig dabei zu unterstützen, "in der weißen herrschenden Gesellschaft den Alltag zu bewältigen und zu überleben" (bell hooks). Doch erst als Theoretikerinnen wie bell hooks und Toni Morrison in den frühen 1990er Jahren begannen, für Weißsein als kulturwissenschaftlicher Analsyekategorie zu plädieren, kam es (zunächst im angloamerikanischen Raum) zur Herausbildung der Forschungsrichtung, für die sich weithin die Bezeichnung 'Critical Whiteness Studies' durchgesetzt hat. Übertragen auf die deutschsprachige Forschungslandschaft scheint vieles dafür zu sprechen, auf den deutschsprachigen Begriff 'Kritische Weißseinsforschung' zurückzugreifen. Einerseits kann so der Relevanz dieses Forschungsansatzes für den deutschsprachigen Kontext Ausdruck verliehen werden. Andererseits ist so terminologisch aufzugreifen, dass diese wissenschaftliche Transferleistung mit inhaltlichen Transformationen und Modifikationen verbunden ist.

Mit der Hinwendung zu Weißsein wird dieses nicht ausschließlich untersucht, sondern zusätzlich zu Schwarzsein und in seinem komplexen Verhältnis zu Schwarzsein ins Blickfeld der Betrachtung gerückt. Dadurch wird beides konkretisiert und die Differenzkategorie 'Rasse' in ihrer Relationalität situiert. Die Kritische Weißseinsforschung fügt sich damit als Baustein einer gewendeten Kritischen Forschung zu Rasse bzw. Postcolonial Studies ein. Gewissermaßen vollzieht sich diese methodische Verschiebung analog zu der Bewegung der Women Studies zu den Gender Studies, die auch die Kritischen Männerstudien mit auf den Plan rief.

Die Kritische Weißseinsforschung operiert mit einem gewendeten Konzept von Weißsein, das die Annahmen der biologistischen Konstruktionen von Weißen negiert. In diesem Sinne ist Weißsein kein biologistischer oder somatisierender Begriff und wird Weißsein weder über Pigmentierung oder Komplexion erfasst noch als Natur (im Sinne Roland Barthes') angesehen. Weißsein ist ein Symbol, das über den Master-Signifier Weißsein entworfen wird. Es geht nicht um natürlich gegebene Sichtbarkeit, sondern um hergestellte, interpretierte und praktizierte Sichtbarkeit. Es geht nicht um 'Hautfarbe', sondern um die ideologische Konstruktion von 'Hautfarben'. In diesem Sinne ist Weißsein dann an Gewordensein gebunden und am ehesten über den Begriff der Position zu erfassen, die sich auch unabhängig von Selbstwahrnehmungen und jenseits offizieller Institutionen manifestiert. Zum konstitutiven Wissen über Weißsein zählt dabei sicherlich, dass Weißsein als Machtmatrix als Subjekt und Motor von Rassialisierungsprozessen zu lesen ist und zu den wichtigsten "soziopolitischen Währungen" (Ruth Frankenberg) zählt, die das Innehaben von Privilegien garantiert. Dabei verschränkt sich Weißsein mit anderen Strukturkategorien – etwa Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Bildung, Religion, Mobilität oder Gesundheit. Weißsein als interdependente Kategorie gestaltet sich damit dynamisch und komplex, ohne dabei aber einer Verhandelbarkeit zu unterliegen, die es erlaubt, einzelne Weiße off-white zu setzen.

Zusammengestellt aus: Susan Arndt: Weißsein. Die verkannte Strukturkategorie Europas und Deutschlands und Susan Arndt: Mythen des weißen Subjekts: Verleugnung und Hierarchisierung von Rassismus In: Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.) Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland . Unrast Verlag, Münster, 2005

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Vorwort zu Mythen, Masken und Subjekte

hagalil.com 05-03-06











 

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