antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil

Newsletter abonnieren
 
 
 

Vom Kolonialismus zur Globalisierung:
Religiöser Fundamentalismus

Rezension von Karl Pfeifer

In einer Zeit in der Wissenschaftler, Sachverständige und solche, die sich dafür ausgeben uns tagtäglich erklären warum nette junge Männer aus der Mittelklasse, die in Großbritannien geboren wurden und alle Vorteile der westlichen Gesellschaft genossen, sich und Dutzende andere Menschen in London sprengten, ist ein Sammelband, der sich mit dem Phänomen Fundamentalismus befasst, eine höchst spannende Lektüre.

Clemens Six, Martin Riesebrodt, Siegfried Haas (Hg.):
Religiöser Fundamentalismus
Vom Kolonialismus zur Globalisierung

Studien Verlag, Innsbruck, 2005 2. unveränderte Auflage
Euro 24,-
[Bestellen?]

Der Untertitel "Vom Kolonialismus zur Globalisierung" wird sicher die politisch korrekten linken oder linksliberalen Leser neugierig machen. Doch der christliche oder jüdische Fundamentalismus hat sehr wenig mit Kolonialismus zu tun. Die Herausgeber schreiben in ihrem Vorwort: "Wissenschaftliche Disziplin bietet die Chance, durch möglichst nüchterne und umfassende Aufklärung, durch Fremdverständnis und Skepsis gegen eigene Selbstgefälligkeit zur Überwindung von Konflikten beizutragen. Ansonsten droht man den gleichen manichäischen Kategorien zum Opfer zu fallen, auf denen der Fundamentalismus beruht, und wird lediglich sein Spiegelbild."

Martin Riesenbrodt setzt sich mit dem Begriff "religiöser Fundamentalismus" auseinander. Johann Figl befasst sich mit "Säkularisierung und Fundamentalismus". Er weist – und das wird den p.c. nicht passen – auf einen diametralen Gegensatz hin:

"In den Offenbarung des Korans sind auch explizite "politisch" relevante Vorschriften enthalten, nämlich im Hinblick auf soziale und rechtliche Fragen, z.B. wie zu bestrafen ist, auch hinsichtlich familiärer Fragen sowie anderer allgemein-gesellschaftlich relevanter Themenbereiche. Man kann also sagen: Vom Koran aus gesehen, gibt es keine Ordnung der Welt, die vollständig unabhängig wäre von der Ordnung Gottes und damit von der Religion, auch nicht die unveräußerlichen Rechte des Menschen.

Aus der Perspektive des in der Tradition der europäischen Aufklärung stehenden Verständnisses der Trennung von Religion (Kirche) und Staat ist aber eine Hinwendung zu einer theologisch begründeten Staats- und Rechtsform, insbesondere wenn sie als Theokratie in Erscheinung tritt, völlig unannehmbar. Sie würde Grundlagen eines autonomen Menschenbildes negieren, das sich in der Moderne nicht zuletzt in ideologischer Auseinandersetzung mit den Ansprüchen der vorherrschenden Religion (dem Christentum) herausgebildet hatte..." und er stellt die Frage: "Wie kann von dem beschriebenen europäischen Staats- und Religionsverständnis her auf den islamischen Fundamentalismus geantwortet werden?"

Figl meint die Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 sei unverzichtbar. "Das Problem und die Provokation des religiösen Fundamentalismus bestehen gerade darin, dass die grundlegenden Rechte nicht gewahrt sind, ja im Gegenteil, z.T. gezielt unterlaufen bzw. negiert werden – z.B. hinsichtlich der Gleichberechtigung von Frau und Mann und im Bereich der Religions- und Meinungsfreiheit. Hinter solchen Tendenzen steht of ein stark ahistorisches Bild der Religion, in dem insbesondere die Anfänge, die Ursprünge als unüberbietbarer Maßstab gelten und meist idealisiert werden...."

Kurt Remele untersucht den katholischen Fundamentalismus und stellt fest: Reduktion von Komplexität scheint eine der wichtigsten Ursachen für den Vormarsch fundamentalistischer Gruppierungen im Judentum, Christentum, Islam und anderen Religionen und Weltanschauungen zu sein."

Es gibt Fundamentalisten außerhalb der Kirche wie Marcel Levebvre (1905-1991) und Anhänger, denen u.a. missfallen hat, dass Papst Johannes Paul II die Synagoge in Rom besuchte. Levebvre pries sogar die Inquisition.

Remele zählt zahlreiche fundamentalistische Organisationen innerhalb der katholischen Kirche auf,

die meisten von diesen "Traditionalisten" sind auch implizit oder explizit antisemitisch, denn sie hängen an alten Traditionen, von denen sich die Kirche im Zweiten Konzil verabschiedet hat.

Max deen Larsen sieht den religiösen Fundamentalismus in den USA aus einer historischen Perspektive. Sein Aufsatz beleuchtet das Phänomen vom Ursprung und bis zu den bekannten Diskussionen über die Evolutionstheorie und dem heutigen Kulturkampf.

Michael Ingbers Artikel über Fundamentalismus im Judentum zeigt die Problematik der Anwendbarkeit eines engen Fundamentalismusbegriffs im Judentum auf,  Immer wurden mehrere Interpretationen der Schriften zugelassen. Der Teil der sich mit Israel befasst ist im großen und ganzen ausgewogen. Allerdings wenn er mit einem Zitat aus Ezer Weizmanns Buch aus dem Jahre 1981 beweisen will, dass die fundamentalistische Ideologie eines Rabbi Mosche Levingers "von wichtigen etablierten Kreisen in Israel geteilt wird" dann ist das irreführend, denn Weizmann hat seine diesbezügliche Auffassung geändert.

Differenziert und sehr informativ ist "Islamismus und Globalismus" von Rüdiger Lohlker, der die extremistische djihadistische Strömung nicht isoliert sieht und die Übergänge zum "offiziellen Islam", der an staatlichen und quasi-staatlichen Institutionen gelehrt wird, thematisiert. "Es wäre also die Positionierung des globalisierten Djihadismus innerhalb der zeitgenössischen muslimischen umma zu bestimmen."

Wilfried Buchta beschreibt den "Fundamentalismus im Iran" und geht natürlich auf die Geschichte der Schia ein und wie diese radikalisiert wurde. Noch ist nicht ausgemacht, ob sich der schiitische Fundamentalismus iranischer Prägung auf Dauer wird halten können.

Sigrid Faath setzt sich mit "Islamismus in den Maghrebstaaten" auseinander. Gudrun Krämer schildert Geschichte und Gegenwart der islamischen Bewegung in Ägypten und kommt zu folgendem Schluß:

"Die weitere Entwicklung ist offen: Die Islamisten präsentieren sich nach wie vor als einzig authentische Alternative zum bestehenden System...Die islamische Strömung in Ägypten beschränkt sich nicht auf die marginalisierten Schichten ländlicher Neuzuwanderer und mehr oder weniger schlecht ausgebildeter jugendlicher Arbeitsloser unter denen die militanten Gruppen einen gewissen Rückhalt finden. Islamistische Denk- und Verhaltensmuster reichen weit in die gutsituierte und gebildete Mittelschicht hinein, die keineswegs konsequent regimekritisch denkt und handelt, selbst wenn sie sich in Berufsverbänden, Interessengruppen und Bürgerinitiativen als dem Inbegriff einer potenziell demokratischen Zivilgesellschaft artikuliert... Selbst wen er die politische Macht nicht errungen hat und möglicherweise nie erringen wird, kann von einem Scheitern des Islamismus [wie das einige Sachverständige voreilig behaupten K.P.] in Ägypten keine Rede sein."

Sabine Damir-Geilsdorf analysiert "Fundamentalismus und Terrorismus am Beispiel religiös-politischer Bewegungen im Nahen und Mittleren Osten". Sie sieht Schwierigkeiten in der Definition von Terrorismus und belegt dies u.a. so: "Menachim [sic!] Begin, der den Anschlag der jüdischen Terrorgruppe Irgun auf das King David Hotel in Jerusalem plante, bei dem 91 Menschen getötet wurden, galt in Folge dessen als Terrorist, später wurde er erster israelischer Premierminister."

Der Staat Israel wurde 1948 gegründet, der erste Premierminister war David Ben Gurion. Menachem Begin wurde erst 1977 Ministerpräsident, das hätte die in Gießen lehrende Islamwissenschaftlerin durch einen Blick in ein Lexikon feststellen können.

Damir-Geilsdorf fordert, die westlichen Industriennationen müssten "ihre Definitionen und Ansprüche der Moderne und Aufklärung kritisch überdenken, was vor allem Aspekte wie die asymetrische Weltordnung sowie Spielräume und Grenzen für interkulturelle Toleranz betrifft." Damit und mit einigen anderer ihrer Behauptungen sich auseinandersetzen würde den Rahmen dieser Rezension sprengen.

Sehr informativ ist der Beitrag von Michael Schied über Pakistan. Seine Schlussfolgerung: tatsächlich bildet die bürokratische und militärische Herrschaft den Hauptnährboden für die fundamentalistische Bewegung.

Wer geglaubt hat, dass es nur in den monotheistischen Religionen Fundamentalismus gibt wird von Clemens Six eines besseren belehrt. Wer weiß in unseren Breitengraden, dass im Februar 2000 im indischen Bundesstaat Gujarat nach einem wahrscheinlich muslimischen Brandanschlag auf einen Zug mit Hindu-Pilgern großflächig gewaltsame antimuslimische Unruhen ausbrachen, die binnen 72 Stunden mehr als 2000 Todesopfer verlangten, 113.000 Moslems mussten in Flüchtlingslagern Schutz suchen. Interessant, dass diejenigen, die sich darüber aufregten, dass Israel auf die zweite Intifada militärisch reagierte, in der Regel, diese krasse Menschenrechtsverletzungen nicht beanstandeten.

Das Buch ist nicht nur für Wissenschaftler und Journalisten sondern auch für politisch interessierte Menschen eine Fundgrube, das größtmöglichste Verbreitung verdient.

[Bestellen?]

hagalil.com 03-08-05











 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved

ehem. IDPS (Israeli Data Presenting Services) Kirjath haJowel, Jerusalem