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Matthias N. Lorenz,
'Auschwitz drängt uns auf einen Fleck'. Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser
Metzler Verlag 2005
Euro 49,95

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Antisemitismus bei Walser:
In Gefühlsgewittern

Matthias N. Lorenz hat Martin Walsers Werk auf antisemitische Spuren hin durchpflügt - und seine Kritiker stählen ihren Patriotismus.

Von Micha Brumlik
Frankfurter Rundschau, 08.09.2005

Eine geisteswissenschaftliche Dissertation gehört üblicherweise nicht eben zu dem Stoff, der die öffentliche Erregung befördert. Dass dies nun einer umfassenden, in einem angesehenen wissenschaftlichen Verlag erschienenen Arbeit gelungen ist, kann nicht lediglich am Thema liegen: Die Judendarstellung und der Auschwitzdiskurs im Werk Martin Walsers.

Es liegt vielmehr daran, wie der junge Lüneburger Kulturwissenschaftler Matthias Lorenz sein Thema unter dem Titel Auschwitz drängt uns auf einen Fleck behandelt. Er hat in seiner von stupender Gründlichkeit und hermeneutischer Delikatesse zeugenden Arbeit zeigen, nein beweisen können, dass Martin Walsers literarisches und essayistisches Werk tatsächlich, und zwar von allem Anfang an, von antisemitischem Ressentiment durchzogen ist; woran der Umstand nichts ändert, dass dieser jüdischen Autoren wie Victor Klemperer oder Ruth Klüger mit zum Durchbruch verhelfen konnte.

Das an Belegstellen und Quellenverweisen reiche, gut lesbare Werk, das es sich gerade beim Verwenden des Begriffs "Antisemitismus" alles andere als leicht macht, enthüllt die Persönlichkeit eines Autors, der seit Beginn seiner Karriere verbissen an der Aufwertung der deutschen Opfer und, damit verbunden, an der Abwertung und Vernachlässigung jüdischer Leidenserfahrung arbeitet, eine Tendenz, die endlich mit einer gewissen Notwendigkeit in den von antisemitischen Klischees durchzogenen Roman Tod eines Kritikers (2002) mündete.

Wie brisant diese Erkenntnisse sind, erwies sich an dem ungewöhnlich massiven publizistischen Sperrfeuer, das sie auslösten. Dieter Borchmeyer, hochmögender und gewandt formulierender Germanist an der Universität Heidelberg, seit Jahren für seine ebenso erfolg- wie sinnlosen Versuche bekannt, das Werk Wagners vom Antisemitismus zu befreien, beschimpfte am 23. August wenig kollegial in der Süddeutschen Zeitung die Lüneburger Germanistik: Lorenz' Arbeit stelle der "universitären Institution, die für sie die Verantwortung übernommen hat, kein gutes Zeugnis aus. Das in Aufbau und Umfang monströse, im Gehalt denunziatorische Buch argumentiert in weiten Teilen auf wissenschaftlich indiskutable Weise. Als abschreckendes Beispiel der ideologischen und moralischen Hinrichtung eines bedeutenden Schriftstellers diene es" - so Borchmeyers pathetischer Schlussappell - zur Warnung vor einer vermeintlichen Wissenschaft, die Literatur nicht erhellt und erhält, sondern vernichtet".

Und sehen betroffen...

Während Borchmeyer eine hoch bewertete Qualifikationsarbeit im Rahmen eines pluralistischen Wissenschaftssystems in assoziative Nähe zur nationalsozialistischen Bücherverbrennung bringt, gibt Hellmut Karasek in der Welt vom 30. Juli den Betroffenen. Karasek kann gar nicht anders als die "philologische Akribie und nötige Vorsicht" von Lorenz zu registrieren, bevor er zu einer Gedächtnisreise in die frühen sechziger Jahre aufbricht, als er im Zuge der Uraufführung von Eiche und Angora mit Walser gesprochen hatte, zu einer Zeit, als sich Walsers Stolz und Scham noch nicht so massiv artikuliert hätten, wie Jahre später in der berüchtigten Paulskirchenrede. Widerwillig ringt sich Karasek in Erinnerung an Äußerungen Walsers über Victor Klemperer zu dem Schluss durch, dass nach Meinung Walsers Auschwitz nicht hätte geschehen müssen, hätten sich die Juden vollständig assimiliert. Ein wie Karasek erschreckt einräumt "ungeheuerlicher Gedanke".

Freilich waren sich Borchmeyers hysterische Wut und Karaseks an der Grenze zum Stammeln operierende Erinnerung durchaus steigerungsfähig. Ulrich Greiner nahm Matthias Lorenz Buch in der Zeit vom 1. September zum Anlass, ein als Buchkritik getarntes politisches Manifest zu publizieren. Greiner hält Lorenz vor, in eine angebliche "Antisemitismusfalle" zu geraten: "Wenn also Walser einem Juden negative Eigenschaften zuordnet, so ist er Antisemit. Wenn er eine Romanperson mit jenen negativen Eigenschaften ausstattet, die Antisemiten üblicherweise den Juden zusprechen, ist er ebenfalls Antisemit, selbst dann und gerade dann, wenn er zu verbergen trachtet, dass die gemeinte Person ein Jude ist." Warum Greiner sein literatur- und kulturwissenschaftliches Wissen über Wirkung und Funktion von Klischees und Stereotypen hier entweder vergisst oder entwertet, wird deutlich, als er sich in einem Anfall von Selbsthass zum durchschnittlichen deutschen Selbstverständnis äußert, das, wenn seine Vermutung denn zuträfe, Anlass zu höchster Besorgnis böte.

Diese Besorgnis teilt Greiner jedoch keineswegs, im Gegenteil. Er dürfte zu den ersten gehören, die einen Antisemitismus, der nicht in Gewalt mündet, für salonfähig erklären. Der bahnbrechenden Ehrlichkeit Greiners wegen lässt sich auf ein ausführliches Zitat nicht verzichten: "Wer lang genug an der Oberfläche eines durchschnittlichen Deutschen kratzt, muss sich nicht wundern, wenn er irgendwann eine braune Stelle findet. Das bedeutet aber nicht viel. Walser hat an keiner Stelle seines Werks getrennte Parkbänke gefordert. Er ist Deutscher und legt Wert darauf, es zu sein. Das schließt gemischte und heikle Empfindungen naturgemäß ein. Wer sich aber vor Augen hält, was der wirkliche, der aggressive Antisemitismus, wie man ihn bei den radikalen Muslimen oder auf der äußersten Rechten findet, zu bewirken vermag, der kann das Antisemitismusspiel nur erbärmlich finden."

... die aufgekratzten Stellen

Greiners Kritik hat den Autor, den er verteidigen wollte, nämlich Martin Walser, ebenso beschädigt ("ein durchschnittlicher Deutscher") wie er jenem Volk, um das es doch Walser geht, ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellt. Dass Greiner bei seinem Gegenangriff darüber hinaus so tief sinken würde, Walser und sein Werk mit Al Quaida, Hamas und der NPD zu vergleichen, um dann erleichtert festzustellen, der Schriftsteller habe wenigstens keine Apartheid für Juden gefordert, war wirklich nicht zu vermuten. Wider seinen Willen gibt Greiner mit derlei Einlassungen Lorenz in der Sache recht, und kann die "bedrückende Beweislast", so Elke Schmitter im Spiegel vom 5. September, offensichtlich nur dadurch neutralisieren, dass er den Befund bagatellisiert.

In Person und Werk Martin Walsers, das haben sowohl Lorenz fulminante Dissertation als auch die gereizte Kritik an seiner Arbeit gezeigt, finden offenbar jene - so wiederum Schmitter - ihr Sprachrohr, die sich übergangen und des Nationalsozialismus' wegen für mitschuldig erklärt sehen. Dass sich der Kreis dieser Vernachlässigten, Übergangenen und von Ressentiment Getriebenen bis in den Kreis liberaler Professoren und Feuilletonredakteure erstreckt, überrascht denn doch.

hagalil.com 12-09-05











 

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