antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil

Newsletter abonnieren
 
 
 

 


Vladimir Vertlib:
Spiegel im fremden Wort
Die Erfindung des Lebens als Literatur
Mit einem Nachwort von Annette Teufel und Walter Schmitz sowie einer Bibliographie
Thelem Verlag 2007
Euro 14,80

Bestellen?

 

Leseproben:

"Ein deutsch schreibender jüdischer Russe, der zur Zeit in Österreich lebt"

Literatur als Zwiegespräch:
"Hat Schreiben einen Sinn?"

Vladimir Vertlib:
Spiegel im fremden Wort

Von Andrea Livnat

Der vorliegende Band enthält jene fünf Vorlesungen, die Vladimir Vertlib im Januar 2006 im Rahmen der Dresdner Chamisso-Poetikdozentur hielt. "Die Erfindung des Lebens als Literatur", so der Untertitel, ist dabei der rote Faden, der sich durch diese Vorlesungen zieht, die Vertlibs Thesen jeweils durch Texte aus seinen Romanen und Essays verdeutlichen. Vertlib erhielt im Jahre 2001 den Förderpreis zum Adelbert-von-Chamisso-Preis, der deutschsprachige AutorInnen nicht deutscher Muttersprache auszeichnet.

Thema der ersten Vorlesung, dem wir auch in den übrigen immer wieder begegnen, ist dem vermeintlich "autobiographischen" Schreiben gewidmet. Vladimir Vertlibs erste Erzählung "Abschiebung" von 1995, sowie sein erster Roman "Zwischenstationen" von 1999 sind immer wieder als Autobiographien missverstanden worden. Dennoch ist die Biographie des Autors eine Prämisse seines Erzählens, woraus er selbstverständlich keinen Hehl macht: "Das Wesentliche daran ist für mich, (...) ob bzw. wie sich die Mischung aus Erlebtem, Hinzugedachtem und Assoziierten zu einem exemplarischen Fall verdichtet und somit für den Leser zu einem Spiegel - auch einem Zerrspiegel - der eigenen Gefühle, Erfahrungen, Ängste und Sehnsüchte wird."

Den Romanen und Erzählungen Vertlibs liegen jene Erfahrungen zugrunde, die er selbst als Kind machen musste. 1966 in Leningrad geboren, machte Vladimir Verlib die zahlreichen Stationen der Emigration seiner Eltern mit, die 1971 die UdSSR verließen: "Israel - Österreich - Italien - Österreich - Niederlande - wieder Israel - wieder Italien - wieder Österreich - USA - und schließlich endgültig Österreich."

Vertlib stellt jedoch auch Fragen zur Authenzität einer tatsächlich Autobiographie, die, so Vertlib, auch immer nur Fiktion sei, da das "eigene Leben nachträglich neu "erfunden" wird". Für den Leser sei es egal, ob ein Text einen autobiographischen Hintergrund habe.

Die zweite Vorlesung dreht sich um "Chancen, Möglichkeiten und Grenzen von Literatur in einer Fremdsprache". Vladimir Vertlib beschreibt hier auch seinen eigenen Weg von den ersten Schreibversuchen in Russisch hin zu einem deutschsprachigen Schriftsteller.

Daneben widmet er sich allgemein jenen Frage, denen sich Menschen gegenüber sehen, die eine Emigration durchmachen. Mehrsprachigkeit wird dabei nicht nur als Gewinn, sondern auch als Reduktion und Verlust beschrieben, "weil es - wenn man sich Sprachen als Kreise vorstellt - neben einem Überlappungsbereich, in dem eine tatsächlich Sprachkompetenz in zwei oder mehreren Sprachen besteht, immer Außenbereiche gibt, in denen man monoglott oder fast monoglott bleibt."

Die dritte Vorlesung wendet sich dem Prozess des Schreibens von "historischen Romanen" aus Emigrationserfahrung und Familienlegenden zu. Im Mittelpunkt steht dabei Vertlibs Roman "Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur", der auf Aufnahmen basiert, die Vertlib von Gesprächen mit seiner Großmutter machte und die schließlich 15 Jahre später als Vorlage für den Roman dienten.

Unter der Überschrift "Der subversive Mut zur Naivität" geht Vertlib in der vierten Vorlesung der Frage nach, ob Schreiben einen Sinn hat, und ob Literatur Moral haben sollte. Eine Frage, die alle Schreibenden, wie auch alle Künstler sich stellen und unterschiedlich beantworten. Für sich selbst hat Vertlib eine eindeutige Antwort gefunden. Das Schreiben sei eben kein Beruf wie jeder andere: "Die Gefahr einer solchen Haltung ist mir durchaus bewusst: Je wichtiger man sich selbst nimmt, desto unwichtiger wird man mit der Zeit, denn der Blick von oben streicht meist über die Köpfe der anderen hinweg. Da ist es günstig, immer wieder auf den Boden der eigenen Ansprüche und in den Keller der eigenen Eitelkeiten hinabzusteigen, um das Aufblicken und das mühsame Emporsteigen neu zu erlernen."

Die letzte Vorlesung widmet sich unter der Überschrift "Ein deutsch schreibender jüdischer Russe, der zur Zeit in Österreich lebt" der Rezeption von Vertlibs Literatur. Für jeden Rezensenten wird es amüsant zu lesen sein, was Vertlib hier feststellt, nämlich dass sich mit seiner Biographie und den bisherigen Themen seiner Bücher, also Emigration, Krieg, Russland, wunderbar ganze Rezensionen füllen lassen. Und so haben tatsächlich viele Rezensenten mehr über den Autor als über seine Bücher geschrieben.

Vertlib ist nicht einfach in eine Schublade zu schieben, er ist in Rezensionen bezeichnet worden als: "in Österreich lebender Russe", als "russischer Schriftsteller", "in Deutschland lebender Israeli", "jüdisch-deutscher Schriftsteller russischer Abstammung" etc.. Viele von den geschilderten Vorurteilen oder Erwartungen an Vertlib als Jude, kann ich gut nachvollziehen, wie mag das nur sein, wenn noch andere Aspekte von "Identität" hinzukommen? Vertlib begegnet dem, wie im übrigen überhaupt, mit einer angenehmen Prise von unaufdringlichem Humor, in der Vorlesung hat er dies durch Ausschnitte aus seinem Roman "Letzter Wunsch" untermalt.

Vertlib ist niemals ein Schriftsteller, der das Trauma zur Schau trägt: "Wer mag schon sein Leben lang unter einem Trauma leider, nur um ein gutes Buch zu schreiben? Ich sicherlich nicht. Aber wenn ich es unter dem Eindruck des Traumas schreiben kann, dann schreibe ich es. Anderenfalls hätte ich mir für meine Bücher andere Themen gewählt. Schriftsteller wäre ich wahrscheinlich auch dann geworden, wenn ich eine glückliche Kindheit gehabt hätte."

Der Anhang enthält eine umfassende Bibliographie zu Vladimir Vertlibs Publikationen, sowie eine Auflistung von Rezensionen und Sekundärliteratur. Ein profundes Nachwort von Annette Teufel und Walter Schmitz bietet schließlich eine Überblickseinführung in sein Werk und Schreiben, wobei im Besonderen die Universalität der jüdischen Romanfiguren Vertlibs deutlich wird, wie auch die Rolle der Literatur in der Gesellschaft: "Literatur - nicht Geschichte oder Geschichtspolitik im engeren Sinn - ist jene Instanz, die das Gedächtnis der Zeit bewahrt."

Wer Vladimir Vertlibs Romane und Erzählungen noch nicht kennt, wird nach der Lektüre seiner Vorlesungen mehr lesen wollen. Und wer bereits etwas von Vertlib gelesen hat, wird den Blick hinter die Kulissen genießen. Allen wird dieses wundervolle Buch aber vor allem eines machen: Lust auf Literatur.

hagalil.com 06-11-07











 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved

ehem. IDPS (Israeli Data Presenting Services) Kirjath haJowel, Jerusalem