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Der Historiker, Herausgeber und Publizist Julius H. Schoeps stellte in München seine gerade erschienene Autobiographie vor.

Mein Weg als deutscher Jude

1921 erschienen Jakob Wassermanns autobiographische Bekenntnisse unter dem Titel Mein Weg als Deutscher und Jude. 1996 griff Micha Brumlik diese Worte für seinen bundesrepublikanischen Erfahrungsbericht auf und wandelte sie ab zu: Kein Weg als Deutscher und Jude. Nun also der deutsch-jüdische Historiker Julius H. Schoeps, der seine "autobiographischen Notizen" in bewußter Anspielung auf die Vorgenannten überschrieb mit: Mein Weg als deutscher Jude.

"Mit diesem Titel", so Schoeps in seiner Vorbemerkung, "wird der Leser darauf verwiesen, daß es zum einen um die Selbstbefindlichkeiten des Verfassers, zum anderen um die Beschreibung einer bestimmten Zeit geht, in diesem Fall der Jahrzehnte nach dem Ende der NS-Herrschaft, in der es für Juden nicht einfach war, in Deuschland Fuß zu fassen."

Und so wechseln in diesem Buch sehr persönliche Reflexionen mit distanzierten Betrachtungen eines jüdischen Intellektuellen auf die deutsche Zeitgeschichte. Daß diese beiden Perspektiven immer wieder auf’s engste verwoben sind, hängt nicht zuletzt mit dem Umstand zusammen, daß Schoeps‘ eigene Familiengeschichte unmittelbar mit deutscher Historie verbunden ist: Väterlicherseits durch die Familien Frank und Schoeps, mütterlicherseits durch die Familien Friedländer und Mendelssohn. Schoeps zählt sowohl David Friedländer, der 1809 als erster Jude in den Berliner Stadtrat gewählt wurde, wie auch den Philosophen und Schriftsteller Moses Mendelssohn zu seinen Vorfahren. Den weitverzweigten Stammbaum der Mendelssohn-Familie skizziert er in knappen Auszügen von Moses Mendelssohn über Paul von Mendelssohn-Bartholdy (den Bruder des Komponisten Felix) den Bankier Ernst von Mendelssohn-Bartholdy bis zu seiner Großmutter mütterlicherseits, Marie von Mendelssohn-Bartholdy.

Der Großvater väterlicherseits, Julius Schoeps, war Arzt, hatte während des ersten Weltkriegs ein Lazarett geleitet und war besonders stolz darauf, seine Militärzeit als ‚Einjährig Freiwilliger‘ abgeschlossen zu haben. Als die Nationalsozialisten ihm nach 1933 erst die Mitgliedschaft im Verein der ehemaligen Regimentsmitglieder verboten, dann die Approbation als Arzt entzogen, traf es ihn tief, doch wie viele andere deutschnational eingestellte Juden dachte er keineswegs an Auswanderung. Im Gegenteil: In der festen Überzeugung, seinen staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen zu müssen, meldete sich der 75jährige im September 1939 freiwillig zum Militär!

Drei Jahre später wurde er zusammen mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert, wo er bald darauf starb. Die Großmutter, Käthe Schoeps, wurde 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz geschickt und ermordet.

Vergeblich hatte sich der Sohn Hans-Joachim bis zuletzt bemüht, seine Eltern nach Schweden zu holen, wohin er selbst bereits Ende der 30er Jahre geflohen war.

Eben dort, in einem Vorort von Stockholm, wurde 1942 Julius H. Schoeps geboren. Die frühen Kinderjahre verlebten er und sein zwei Jahre jüngerer Bruder zeitweise bei schwedischen Bauern, wo sie aus Sicherheitsgründen untergebracht wurden, da man einen Einmarsch der deutschen Wehrmacht aus Norwegen nicht ausschließen konnte. Es war trotz allem eine vergleichsweise heile Welt für das Kind, das zunächst noch ‚Hänschen‘ genannt wurde.

Das änderte sich wenige Jahre später als die Ehe der Eltern geschieden wurde, der Vater das Sorgerecht für die Kinder übernahm und kurz nach Kriegsende nach Deutschland zurückkehrte, um eine Professur in Erlangen anzunehmen. Die Übersiedlung des Sohnes von Schweden nach Deutschland, die Begegnung des gerade sechsjährigen mit deutscher Sprache, Trümmerlandschaften und fränkischem Kleinstadtleben unter amerikanischer Besatzung schildert Schoeps einfühlsam und doch auch mit humorvoller Distanz. Larmoyanz ist seine Sache nicht. Höchst nüchtern berichtet er über das Desaster seiner Schulzeit. Um seine Noten stand es zeitweise so schlecht, daß Vater Schoeps, längst ein hochangesehener Historiker und Inhaber des Erlanger Lehrstuhls für Religions- und Geistesgeschichte, sich gezwungen sah, den Sohn vorübergehend ins Internat zu stecken - und nicht etwa in irgendeines:

"Was sich mein Vater dabei gedacht hatte, mich auf den Obersalzberg zu schicken, ist mir bis heute rätselhaft. Zweifellos hat er gewußt, in welche Umgebung ich kam. Es war geradezu paradox, daß ich, der kleine jüdische Junge, der aus dem Exil zurückgekehrt war, die Schulbank mit den Kindern einstiger Nazi-Größen drücken mußte. Zeitweilig teilte ich das Zimmer mit dem Sohn des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß und dem des umstrittenen Vertriebenen-Ministers Theodor Oberländer. Zu jener Zeit hatte ich keine Ahnung, wer Heß war und wußte auch nicht, daß Oberländer für den Mord an 5000 Lemberger Juden verantwortlich gemacht wurde. Für mich waren Wolf-Rüdiger Heß, ‚Buz‘ genannt, und die anderen Kinder einstiger Nazi-Funktionäre Internatskameraden, und zwar ganz normale wie andere auch. Der einzige Unterschied war vielleicht der, daß Buz und der Sohn Oberländers etwas älter waren und deshalb auch andere Interessen hatten als ich. Erinnere ich mich richtig, so brachte ich diesen sogar so etwas wie Bewunderung entgegen. In erster Linie wohl deshalb, weil sie auf dem ‚Berg‘, wie der Obersalzberg in Kurzform genannt wurde, entweder als hervorragende Skiläufer oder gute Kletterer galten. Jahre später, als ich bei einem Treffen einige meiner einstigen Mitschüler wiedertraf, spürten wir, daß sich etwas zwischen uns geschoben hatte. Ein Gespräch war nicht mehr möglich, die Zeit der kindlichen Unbefangenheit war vorbei."

Als Schoeps diese Begebenheit anläßlich seiner Buchpräsentation in der Münchner Israelitischen Kultusgemeinde beinahe amüsiert zum Besten gibt, geht ein Raunen durch die Reihen des Publikums. Zu ungeheuerlich erscheint den meisten diese Vorstellung, doch Schoeps erklärt gelassen: "Das war damals eben so."


Julius H. Schoeps und Ellen Presser vom Kulturzentrum der
Israelitischen Kultusgemeinde München bei der Buchpräsentation

In den Familien seiner nichtjüdischen Jugendfreunde wurde über die jüngste Vergangenheit nicht gesprochen, schon gar nicht über das Schicksal der Juden.

Abgesehen von wenigen Überlebenden, meist älteren Menschen, die nach Schoeps‘ Erinnerung nie lachten und in ihm eine gewisse Beklommenheit auslösten, hatte er in den 50er Jahren wenig Berührung mit Juden oder dem Judentum. Der Vater, der sich selbst mit den Worten ‚Preuße, Konservativer, Jude‘ definierte, sorgte zwar dafür, daß beide Söhne jüdischen Religionsunterricht erhielten, machte sie auch mit jüdischer Tradition, Gebeten und Bräuchen vertraut, doch schrieb er ihnen nie vor, wie oder was sie zu denken hätten, und Schoeps bekennt offen: "Ich bin das, was man früher einen ‚Dreitage-Juden‘ genannt hat, ein Jude also, der an den hohen Feiertagen die Synagoge besucht, dem aber ansonsten die religiöse Praxis eher gleichgültig ist."

Mochte der Schulbesuch sich auch in die Länge gezogen haben – das Abitur machte Schoeps erst mit 21 – sein Studium in Berlin absolvierte er dafür in Rekordzeit. Bereits 1969 konnte er seine Promotionsurkunde entgegennehmen und war dabei alles andere als ein strebsamer Bücherwurm. Vom beschaulichen Erlangen kommend sog er mit Begeisterung auf, was das Berliner Großstadtleben der 60er Jahre zu bieten hatte: vom Theater über die Mitarbeit an diversen Studiobühnen, bis zu den mittlerweile legendären Protestveranstaltungen der Studentenbewegung. Der "Argwohn, daß in den späten sechziger Jahren die verschwiegene NS-Vergangenheit der Väter abgearbeitet wurde" ließ ihn allerdings trotz mancher Sympathien immer auch Distanz zur sogenannten 68er Bewegung wahren.

Nach der Promotion verließ Schoeps Berlin, um zunächst für kurze Zeit als Verlagslektor zu arbeiten. Bücher, das Vermitteln von Manuskripten, Erstellen von Gutachten, der Aufbau von Bibliotheken und vielfältige Herausgebertätigkeiten begleiteten das Berufsleben von Schoeps bis in die Gegenwart.

Zugleich setzte er seine akademische Laufbahn in einem Tempo fort, das heutigen Studenten der Geisteswissenschaften geradezu atemberaubend erscheinen dürfte: 1973 Habilitation, 1974-1991 Professor für politische Wissenschaft und Direktor des 1986 von ihm mitbegründeten Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität / Gesamthochschule Duisburg, Gastprofessuren u.a. in New York und Tel Aviv, seit 1992 Professor für Neuere Geschichte und Direktor des ebenfalls von ihm selbst mitbegründeten Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam - ... um nur die wichtigsten Eckdaten zu nennen, und als wäre das noch nicht genug, übernahm er von 1993 bis 1997 auch noch den Posten des Gründungsdirektors des Jüdischen Museums in Wien.

Was in dieser kurzen Übersicht wie ein geradliniger akademischer Durchmarsch erscheint, war in Wirklichkeit ein oft steiniger Weg mit zahlreichen Brüchen und Konflikten.

"Lange Jahre war ich nicht in der Lage, mich mit der Shoah zu beschäftigen. Allzu sehr wühlte mich das Vergegenwärtigen einstiger Geschehnisse auf. Ich vermied es, Lehrveranstaltungen zu diesem Thema anzusetzen, und habe erst relativ spät begonnen, mich wissenschaftlich und publizistisch mit der Zeit des Nationalsozialismus und dem Judenmord zu befassen."

Als Schoeps schließlich doch begann, sich mit eben diesen Themen auseinanderzusetzen, hatte er nicht selten mit Widerständen aus seinem unmittelbaren Kollegium zu kämpfen. Wollte er etwa in Duisburg den Studiengang "Jüdische Studien" etablieren, hieß es von allen Seiten, dafür gebe es kein Geld; wenn dann wider Erwarten doch eine Finanzierung in Reichweite rückte, fielen abfällige Bemerkungen nach dem Motto "Gibt es kein wichtigeres Thema als die Juden?" oder "Sollen die Juden das doch selber bezahlen!"

Schoeps gab selten klein bei, er mischte sich ein und damit war vielfach der "Ärger vorprogrammiert". Ob es um die Besetzung von Lehrstühlen ging oder Ernst Nolte und den Historikerstreit, um die Debatten über das Berliner Mahnmal oder die Thesen von Daniel Goldhagen, um fragwürdige Wiedergutmachungsurteile der deutschen Justiz, oder auch um Konflikte innerhalb der jüdischen Gemeinden – Schoeps bezog und bezieht Stellung.

Über seine Motive Rechenschaft abzulegen – hauptsächlich sich selbst gegenüber – war das erklärte Ziel seiner autobiographischen Aufzeichnungen. Herausgekommen ist ein vielschichtiges oft spannend zu lesendes Zeitzeugnis, das nicht nur Auskunft gibt über jüdisches Leben in Deutschland nach 1945, sondern auch über das, was Schoeps als "Die deutsche Krankheit" bezeichnet. Unter dieser Überschrift skizziert der Autor das deutsch-jüdische Verhältnis der letzten 250 Jahre als eine Geschichte fortwährender Verformungen und Brüche, beginnend unter dem Einfluß der jahrhundertealten christlichen Judenfeindschaft über säkulare Bedrohungsszenarien bis zum völkisch-rassistischen Antisemitismus und der Antithese Deutschtum-Judentum, deren Ausläufer bis in die gegenwärtige Aufarbeitung der NS-Vergangenheit hineinreichen, zum Beispiel im fragwürdigen "Pathos mancher geradezu verlogen wirkender Gedenkansprachen. Wer kennt nicht die stereotype Rede von unseren ach so geschätzten ‚Mit-‘ bürgern, eine Bezeichnung, die in den Ohren von Juden geradezu obszön wirkt. Bei einem Katholiken oder Protestanten würde man niemals wagen, vom ‚Mit-‘ bürger zu sprechen. Oder man denke an die Äußerungen von Politikern, die von Israelis sprechen, aber Juden meinen. Wird der Betreffende darauf aufmerksam gemacht, daß das eine nichts oder nur sehr bedingt mit dem anderen zu tun habe, blickt er einen meist verständnislos an und versteht nicht, wovon die Rede ist."

Es konnte nicht ausbleiben, daß auch Schoeps sich die Frage stellt , die wohl fast alle hier lebenden Juden mal mehr, mal weniger beschäftigt: Wie hältst Du es mit Deutschland und den Deutschen?

Schoeps bekennt offen, daß es genügend Anlässe gegeben hätte, Deutschland zu verlassen, doch weder nimmt er für sich die bekannte Floskel der ‚gepackten Koffer‘ in Anspruch, noch gibt er sich zionistischen Illusionen hin. Vielmehr erklärt er, daß die Gründe zu bleiben, letztlich persönlicher Natur seien: private Bindungen, berufliche Herausforderungen und nicht zuletzt die Überzeugung, daß die Dimensionen der deutsch-jüdischen Geschichte am besten in Deutschland selbst begriffen werden können.

"Aber muß er denn dieses ‚deutscher Jude‘ unbedingt so betonen?" flüstert eine ältere Dame ihrer Nachbarin während der Lesung zu. Die Angesprochene wiegt bedenklich den Kopf. Die beiden stehen beispielhaft für nicht wenige Mitglieder der jüdischen Gemeinden, die ihm gelegentlich eine allzu deutsch-freundliche Haltung vorwerfen. Schoeps, der sich im Vorstand der Berliner Gemeinde engagiert und dort neuerdings auch für den Vorsitz kandidieren will, ficht das nicht an. Zwar räumt er selbstironisch ein, daß der ‚jüdische Intellektuelle‘, so er sich in jüdischen Gemeinden engagiert, mitunter eher als störend empfunden wird, doch ist er, was die Zukunft des Judentums in Deutschland angeht, durchaus optimistisch wie er in München betonte: "Es besteht die Chance, in einer Generation wieder ein deutsches Judentum zu haben, aber anders als vor 1933. Es wird nicht mehr in der Tradition eines Heinrich Heine oder Ludwig Boerne stehen."

Was sein eigenes Selbstverständnis angeht, schreibt er: "Es bleibt mir nur, mich als das zu begreifen, was ich vermutlich durch Herkunft, Erziehung und Prägung im Nachkriegsdeutschland geworden bin: ein Bürger der Bundesrepublik Deutschland, der eine jüdische Identität besitzt, aber, stark vom protestantischen Milieu geprägt, deutsch fühlt und denkt. Ich weiß, dass das merkwürdig klingt, doch ist es exakt die Beschreibung, die auf mich zutrifft."

Durchaus denkbar, dass mit dieser Formulierung wieder "Ärger vorprogrammiert" ist, doch das dürfte einen wie ihn wohl kaum erschüttern.

Erkältet aber sichtlich guter Stimmung:
Julius H. Schoeps beim Signieren seiner Autobiographie

Mein Weg als deutscher Jude
von Julius H. Schoeps

Weitere Lesung mit Julius H. Schoeps: Mittwoch, 09. April 2003, 20:00 Uhr, Centrum Judaicum, Oranienburger Straße 29, Berlin-Mitte. Karten über Literaturhandlung Tel.: 030 - 88 24 250.

Franziska Werners - hagalil.com - 23-03-03











 

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