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Karl Heinz Roth, Angelika Ebbinghaus (Hg.):
Rote Kapellen – Kreisauer Kreise – Schwarze Kapellen
Neue Sichtweisen auf den Widerstand gegen die NS-Diktatur 1938-1945
296 Seiten, mit einem Fototeil
VSA Verlag 2004
Euro 19,80

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Rote Kapellen – Kreisauer Kreise – Schwarze Kapellen:
Neue Sichtweisen auf den Widerstand gegen die NS-Diktatur

Von Max Brym

Karl Heinz Roth und Angelika Ebbinghaus sind die Herausgeber des Buches "Rote Kapellen – Kreisauer Kreise – Schwarze Kapellen", das im Hamburger VSA-Verlag erschien. Das Buch will neue Sichtweisen auf den Widerstand gegen die NS-Diktatur zwischen 1938 und 1945 geben. Dieses Vorhaben ist den Autoren auch weitgehend geglückt.

In dem Buch wird unterschieden zwischen systemimmanenter und systemfeindlicher Opposition. Für die systemimmanente Opposition steht signifikant Carl Friedrich Goerdeler. Die systemimmanente Opposition teilte zwischen 1933 und 1938 im wesentlichen die Politik des Hitlerregimes. Die "Schwarzen Kapellen" kamen aus der Oberschicht der Gesellschaft und waren mit der Zerschlagung der Arbeiterbewegung, der Entrechtung der Juden und der Politik der Hochrüstung einverstanden. Ganz wesentlich waren viele "Zivilisten" um den preußischen Finanzminister Popitz und den Reichsbankpräsidenten Schacht an der finanziellen Vorbereitung des Krieges beteiligt.

Allerdings wollten einige Vertreter aus Armee und preußischem Junkertum die Risikopolitik Hitlers ab 1938 nicht mittragen. Sie befürchteten, dass ein übereilter Krieg zu einer für Deutschland katastrophalen 2-Fronten-Situation führen könnte. Aus diesem Grund trat Generaloberst Beck von seinem Posten zurück. Der militärische Geheimdienst unter dem Chef der Abwehr, Admiral Canaris, betrieb Geheimdiplomatie und suchte eine Verständigung mit den Westmächten. Doch der Blitzkrieg Hitlers zerschlug alle systemimmanenten Zielsetzungen und führte die Opposition in tiefe Lethargie.

Der Angriff auf die Sowjetunion, der Vernichtungskrieg in Rußland, fand bei den meisten "Oppositionellen und späteren Oppositionellen" begeisterte Zustimmung. Viele Gestalten, die uns in dem Buch am 20. Juli als "Widerstandskämpfer" begegnen werden, waren tief in Verbrechen auf russischem Territorium verwickelt. So z.B. der langjährige Chef des Stabes der Heeresgruppe Mitte, Henning von Tresckow. Am 20. Juli versuchten auch Massenmörder wie Arthur Nebe (1941 Chef einer Einsatzgruppe zur Judenvernichtung) und der Berliner Polizeipräsident Graf Helldorff, ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Die Konzeption der Kreise um Goerdeler und Hassell war, am 20. Juli den 2-Fronten-Krieg zu beenden, um im Bündnis mit den Westmächten gemeinsam gegen die Sowjetunion weiter zu kämpfen. Die Denkschriften dieser Kreise sind genuin antidemokratische Produkte, in denen auch kein Bruch mit dem Antisemitismus vorgesehen war. Hierfür liefert das vorliegende Buch ausgezeichnete Belege und Zitate.

Die Offiziersopposition

Bekanntlich wurde das gescheiterte Attentat auf Hitler von Claus Schenk von Stauffenberg durchgeführt. Stauffenberg war Repräsentant der Opposition der "jungen" Generalstabsoffiziere. Stauffenberg und sein Kreis nahmen im Gegensatz zu den Zivilisten Goerdeler und Popitz sowie den Feldmarschällen Kluge oder Rommel eine progressive Entwicklung. Zuerst begrüßte Stauffenberg den Machtantritt Hitlers und auch den Kriegsbeginn. Nach kurzer Zeit sprach er sich für eine Ethnisierung des Krieges in Rußland aus, unter dem Motto: "Russen können nur von Russen geschlagen werden." Ab Ende 1942/43 brach Stauffenberg mit seinen bisherigen Auffassungen. Er näherte sich mit seinen Leuten dem "Kreisauer Kreis" Helmuth von Moltkes.

Der Kreis nimmt in dem Buch eine wichtige Rolle ein und das zu Recht. Der "Kreisauer Kreis" verfocht ein originär demokratisches Konzept im Widerstand gegen die NS-Diktatur. Er ging von einer Niederlage Deutschlands im Krieg aus und propagierte eine neue selbstverwaltete Demokratie im Rahmen einer europäischen Föderation. Von Moltke arbeitete direkt mit Vertretern italienischer Widerstandsgruppen sowie mit Vertretern des dänischen Untergrunds zusammen. Dem dänischen Untergrund übermittelte der "Kreisauer Kreis" das Datum der geplanten Judendeportation aus Dänemark, woraufhin die meisten dänischen Juden gerettet werden konnten.

In einem langen Gespräch das Angelika Ebbinghaus mit der Frau Helmuth Moltkes, Freya von Moltke führte, wird dieser historische Sachverhalt spannend vor Augen geführt. Der "Kreisauer Kreis" kooperierte eng mit den Sozialdemokraten Julius Leber, Adolf Reichwein und Carlo Mierendorf. Die Letzteren brachten sozialistische Zielstellungen wie die Enteignung der Großindustrie und der Nazikriegsverbrecherkonzerne in die Programmatik des "Kreisauer Kreises" ein.

Es begann die Zusammenarbeit zwischen dem "Kreisauer Kreis" und dem sich 1943 wieder stärker bemerkbar machenden kommunistischen Arbeiterwiderstand speziell um die Gruppe Saefkow, Jacob, Bästlein. Stauffenberg betrachtete gegen Ende seines Lebens Julius Leber als seinen politischen Mentor und begrüßte auch die Zusammenarbeit mit den Kommunisten. Karl Heinz Roth stellt fest, dass die Unentschlossenheit und Zerfahrenheit der "Opposition der Honorationen" etwas mit der politischen Ausrichtung des aktivistischen Kreises um Stauffenberg zu tun hatte.

Rote Kapelle

Die 1942 zerschlagene Widerstandgruppe um Harro Schulze-Boysen war von Anfang an gegen das Naziregime eingestellt. Die Mitglieder der Gruppe nutzten ihre Stellungen im Militär- und Wirtschaftsapparat der Nazis zur bewußten Sabotage. So informierte die "Rote Kapelle" Stalin vor dem beabsichtigten Angriff auf die Sowjetunion. Die "Rote Kapelle" hatte Mitglieder mit unterschiedlicher weltanschaulicher Grundhaltung. Unter ihnen gab es Kommunisten, Pazifisten und Menschen, die von humanen christlichen Werten geprägt waren. Sie kombinierten verschiedene Formen des Widerstandes, von der Flugblatt- und Klebezettelaktion bis zu dem, was man Spionage nennt. Fast sämtliche Mitglieder der "Roten Kapelle" wurden lange vor dem 20. Juli 1944 hingerichtet. Im Buch wird nochmals rekapituliert, dass die "Rote Kapelle" bis heute in der BRD als Widerstandsorganisation offiziell geächtet ist. Sowohl Helmut Kohl wie Rudolf Scharping lehnten es schriftlich ab, in ihren Reden zum 20. Juli, der "Roten Kapelle" zu gedenken. Die "Rote Kapelle" ist bis heute eine verfemte Organisation.

Massenwiderstand

Der Historiker Ludwig Eiber aus München geht in seinem Beitrag auf den Widerstand aus den Reihen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung ein. Dieser existierte nach Eiber von Anfang an, im Gegensatz zu dem Widerstand aus dem privilegierten sozialen Milieu. Obwohl nach Eiber der Widerstand von "kleinen Leuten" nicht überschätzt werden darf, so darf er auch nicht unterschätzt werden. Eiber analysiert den kommunistischen Widerstand als aktivistischen Widerstand von unten, der vom NS-Regime zwischen 1936 und 1937 weitgehend zerschlagen werden konnte.

Eiber beschreibt den sozialdemokratischen Widerstand als informellen Widerstand, weitestgehend ohne den Anspruch nach außen tätig zu sein, wodurch viele sozialdemokratische Strukturen erhalten werden konnten. Auch auf den kirchlichen Widerstand wird eingegangen, wobei hier wieder das Phänomen zu finden ist, dass nur der Widerstand aus den unteren Bereichen kirchlicher Funktionsträger eine gewisse Relevanz hatte. Eiber gedenkt aber auch der Kriegsdienstverweigerung durch die Zeugen Jehovas und er erinnert an die Zahl der deutschen Wehrmachtsdeserteure, die bei rund 100.000 liegen dürfte. Das Reichskriegsgericht sprach allein wegen Fahnenflucht 20.000 Todesurteile aus.

Insgesamt ist das Buch ein lebendiges Stück deutscher Zeitgeschichte. Das Werk liefert den Beweis, dass trotz einer großen Zahl von Büchern noch lange nicht alles über den Widerstand gegen das NS-System in seiner ganzen Widersprüchlichkeit gesagt und geschrieben wurde.

hagalil.com 03-01-04











 

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