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Lars Rensmann: Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland
Verlag für Sozialwissenschaften 2004
Euro 42,90

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Tief in der Mitte der Gesellschaft:
"Sekundärer" Antisemitismus

Lars Rensmanns Studie "Demokratie und Judenbild" schärft den Blick für den "Schuldabwehr-Antisemitismus" und erweitert das Instrumentarium seiner Analyse

Von Martin Jander
Tagesspiegel v. 28.06.2004

Diese Untersuchung erscheint zur rechten Zeit. Sie lenkt den Blick auf ein heftig umstrittenes Phänomen: den Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik. Lars Rensmann (FU-Berlin) demonstriert in einer dicken, aber leicht lesbaren Untersuchung, dass Antisemitismus in Deutschland keineswegs verschwunden ist. Er existiert nicht nur an den politischen Rändern der Gesellschaft.

Den Kern der Untersuchung bilden fünf detaillierte Studien zu zentralen Kontroversen der Bundesrepublik seit 1989. Der Sozialwissenschaftler analysiert die politischen Debatten, die sich um das Buch "Hitlers willige Vollstrecker" von Jonathan Goldhagen, die Friedenspreisrede des Schriftstellers Martin Walser, das "Denkmal für die ermordeten Juden Europas", die Zwangsarbeiter-Entschädigung und die "Möllemann-Affäre" drehten. Er belegt hierbei nicht nur antisemitische Ausfälle prominenter Schriftsteller und Politiker. Seine sehr differenzierte Recherche in Bundestagsprotokollen, Pressemeldungen gesellschaftlicher Organisationen und Leserbriefspalten von Tageszeitungen zeigt darüber hinaus, dass antisemitische Äußerungen politischer und intellektueller Autoritäten, die unwidersprochen bleiben, einen tief in der Mitte der Gesellschaft verankerten Antisemitismus aufrufen können.

Der moderne, oft auch "sekundär" genannte Antisemitismus, unterscheidet sich zwar – wie der Autor einleuchtend schildert - vom christlichen Antijudaismus des Mittelalters und dem politischen Antisemitismus seit der Aufklärung. Er speist sich in Deutschland vornehmlich aus dem Wunsch nach Schuldabwehr. "Die Deutschen" – so hat Henryk Broder einmal treffend das Fazit der Studie Rensmanns vorweggenommen – "werden den Juden Auschwitz nicht verzeihen." Die Erinnerung an Auschwitz stört eine positive deutsche Identitätskonstruktion, nach der in allen politischen Lagern der Bundesrepublik gesucht wird.

Trotz dieser Unterschiede des modernen Antisemitismus zu seinen vorangegangenen Erscheinungsformen werden jedoch Juden von vielen Deutschen weiterhin als "rachsüchtige", "geldgierige" und einer internationalen "Verschwörung" angehörende Störenfriede wahrgenommen und angegriffen. Der Sozialwissenschaftler von der FU-Berlin zeigt, das fast alle judenfeindlichen Stereotype vergangener Jahrhunderte im "modernen" Antisemitismus wiederkehren. Oft scheint es, als wäre der "moderne" Antisemitismus noch ganz der alte.

Die hohe Zahl offen antisemitischer Äußerungen, körperlicher Angriffe und Grabschändungen, die seit 1989 Debatten über die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands begleiten, veranlassen Rensmann zur Skepsis gegenüber gängigen Antisemitismus-Analysen. Antisemitismus sei in der Bundesrepublik zwar geächtet und könne verfolgt werden. Aber immer dann, wenn sich nach einem öffentlichen "Tabubruch" die Chance zeige, Vorurteile unwidersprochen zu artikulieren, werde diese Chance auch von Menschen aus der Mitte der Gesellschaft wahrgenommen. Das politisch mobilisierbare antisemitische Potential gehe dabei weit über den gewöhnlich mit etwa 20 Prozent angegebenen Umfang hinaus.

Der "moderne" Antisemitismus ist – wie "Demokratie und Judenbild" zeigt - keine einfache Reaktion auf die unterschiedlichen sozialen und politischen Umbrüche, denen die Gesellschaft der Bundesrepublik durch die deutsche Einheit, die europäische Einigung und den Prozess der Globalisierung ausgesetzt ist. Der moderne antisemitische Wahn ist – wie seine Vorgänger – eine Projektion, eine Zuschreibung, die mit Juden in der Bundesrepublik gar nichts zu tun hat. Er speist sich aus nationalistischen, autoritären, antimodernen und antisemitischen Unterströmungen traditioneller politischer Kultur in Deutschland, die auch nach dem weitgehenden Aussterben der NS-Tätergenerationen nicht verschwunden sind.

Dass dieser neue Antisemitismus lange Zeit nicht recht beachtet wurde, hat auch mit verdrängten Ansätzen in der sozialwissenschaftlichen Forschung zu tun. Obwohl das Thema des "Schuldabwehrantisemitismus" bereits in Untersuchungen der aus dem Exil nach Deutschland zurückgekehrten Mitglieder des "Frankfurter Instituts für Sozialforschung" eine bedeutende Rolle spielte, hat die sozialwissenschaftliche Forschung seine Brisanz erst spät entdeckt. Sie hat darüber hinaus – wie Rensmann in seiner Untersuchung zeigt - die linke Traditionslinie des Antisemitismus sträflich unterschätzt. Die antisemitischen Konnotationen des "Antizionismus" der SED und vieler sich "links" gerierender Gruppen der Bundesrepublik wurden oft erst gar nicht untersucht.

Die Studie Lars Rensmanns sensibilisiert nicht nur den Blick ihrer Leser für den "Schuldabwehrantisemitismus". Der Autor erweitert das politikwissenschaftliche Instrumentarium der Antisemitismus-Analyse. "Demokratie und Judenbild" ist eine ausgezeichnete Studie voller beunruhigender Ergebnisse und Überlegungen.

Dr. Martin Jander, geb. 21.1.1955, Historiker, studierte Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Heute arbeitet er als freier Autor, forscht, lehrt und publiziert zu den Themen Politische Theorien, Nationalsozialismus, Shoah und Deutsche Nachkriegsgeschichte. Darüber hinaus ist er Mitarbeiter der Redaktion der Zeitschrift „Horch und Guck“ und betreibt in Berlin die Stadtführungsagentur "Unwrapping History".

hagalil.com 02-07-04











 

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