Ch. Dornbusch/J. Raabe (Hrg.):
"RechtsRock. Bestands-aufnahme und Gegen-strategien"
Unrast, 544 S.
24 Euro
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A. Speit (Hrg.):
"Ästhetische Mobilmachung. Dark Wave, Neofolk und Industrial im
Spannungsfeld rechter Ideologien"
Unrast, 282 S.
16 Euro
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Als kürzlich im Rahmen der
"Transmediale" in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Verhältnis von
Politik und elektronischer Musik stattfand, da brachte Ted Gaier von den
Goldenen Zitronen - nach einer langen Phase des argumentativen
Herumeierns auf dem Podium - eines der zentralen Probleme der Debatte
auf den Punkt. Er stellte die Frage, ob denn wirklich so
selbstverständlich sei, dass jeder in der Runde unter "Politisierung"
dasselbe verstehe. Nämlich solche Issues wie offene Grenzen für alle,
Antirassismus und die ganze linke Agenda.
Indirekt machte Ted Gaier auf die
grassierende Mode aufmerksam, dass - ob auf Panels, in Popblättern oder
von alten Grateful-Dead-Veteranen am Tresen - immer wieder eine
Politisierung von Popmusik eingefordert wird und damit automatisch eine
Politisierung von links gemeint ist. Weil Pop eben immer noch - selbst
nach den Böhsen Onkelz und Rammstein - als traditionell widerständiger
und subversiver, als "linker" Sound wahrgenommen wird, der aber in
Zeiten, wo Deutschland den Superstar sucht, leider, leider nicht mehr so
richtig gegenkulturell daherkomme wie früher.
Während die Linke also vergeblich nach der
Erneuerung verblühter Popvisionen Ausschau hält, war der wahre Poptrend
des letzten Jahres nicht etwa türkisch-deutscher Postrock, sondern
Nazi-Pop, oder zumindest: Nazi-Pop-Alarmismus. Einmal entfachte die
deutsche Ausgabe des Buchs "Lords of Chaos" von Michael Moynihan und
Didrik Soderlind noch einmal eine Debatte darüber, was von Black-Metal
zu halten ist, wenn, wie das Buch ausführlichst beschreibt, führende
norwegische Black-Metal-Musiker unter Berufung auf Odin, Wotan und "Mein
Kampf" Kirchen anzünden und sich gegenseitig abmurksen. Zumal zu allem
Überfluss Moynihan auch noch Mitglied der Band Blood Axis - benannt nach
den faschistischen Achsenmächten -, Verleger faschistischer Lektüre und
bekennender Holocaustleugner ist.
Zudem tauchte ziemlich unerwartet das
Szenario "Nazi-Rap" auf, das die beiden Autoren Hannes Loh und Murat
Güngür zum Anlass nahmen und gleichzeitig mit entwarfen, um ihr Buch
"Fear of a Kanak Planet" zu schreiben. Die These ihres Buchs lautet: Mit
den Fantastischen Vier begann die Deutschtümmelei der hiesigen
HipHop-Szene, und demnächst müssen wir mindestens so etwas
Gespenstisches wie den Wotan-Clan unter der Ägide der NPD befürchten.
Nachdem das Neonazi-Magazin Rocknord einen Artikel
unter der Überschrift "HipHop wird schneller weiß, als man denkt" auf
ihre Internetseite stellte, ging in einschlägigen Nazi-Foren förmlich
die Post ab. "Der Nationalsozialismus basierte immer auf der Masse, und
wenn die Masse halt nationalen HipHop anhört - warum nicht?" oder "Es
hat Nachteile, weil mich die Negerrapper auch gehörig ankotzen, aber
beim Kampf um die Jugend muss man auch zu radikalen Mitteln greifen" -
so und so ähnlich lauteten die Statements, die sich stramme Deutsche auf
diversen Nazi-Foren bereits zugepostet haben.
Ist also selbst HipHop, dieser zutiefst in
der afroamerikanischen Kultur verwurzelte Sound, nicht mehr davor
gefeit, zumindest teilweise ins Milieu einer rechten Jugendkultur
abzudriften? Und falls es so wäre - falls wirklich, wie bereits
befürchtet, Nazi-Rapper sogar regelrechte Songs zusammenreimen könnten:
Wäre das denn wirklich so schlimm? Rock hat das Entstehen von Nazi-Rock
schließlich auch überlebt. Und wenn der Popschreiber Martin Büsser in
seinem Buch "Wie klingt die neue Mitte" anlässlich eines Massenauflaufs
von Toten-Hosen-Fans, die beim Konzert kollektiv mit gestrecktem rechtem
Arm zu sehen sind, meint, "man sollte nur noch Musik trauen, die zu
solchen Gesten erst gar keinen Anlass gibt", ist das ausgemachter
Blödsinn: Als gäbe es tatsächlich eine musikalische Unschuld, die vor
falscher Vereinnahmung sicher wäre.
Man sollte vor allem einem Antifa-Alarmismus
nicht trauen, der, sobald er das Gespenst des Faschismus irgendwo "Buhu"
zu machen meint, die Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten innerhalb
von Jugendkulturen nicht mehr sehen möchte. Die billige Provokation
einer Band wie Rammstein, die den Videoclip zu ihrer Single "Stripped"
mit Ausschnitten aus Leni Riefenstahls "Olympia"-Film bebilderten,
funktionierte: Weil man sie funktionieren ließ und den Clip, wie von der
Band und ihren Marketingberatern erwartet, skandalisierte. Für Klaus
Farin vom Berliner Archiv für Jugendkulturen und Burkhard Schröder, die
beide einschlägige Literatur zum Thema Nazismus und Pop publiziert
haben, steht jedenfalls fest, dass deutsche Zensurbehörden und andere
Alarmisten den Hype um Nazi-Pop nicht verhindert, sondern überhaupt erst
ausgelöst haben. Nicht jeder Skin ist gleich ein Fascho, nicht jeder an
Esoterik interessierte Gruftie gleich ein Opfer düsterer Nazi-Ideologen.
Gerade weil in der öffentlichen Wahrnehmung aber immer noch nur eine
mangelnde Bereitschaft herrscht, derartige Subkulturen differenziert
wahrzunehmen, können Standardwerke wie das von Christian Dornbusch und
Jan Raabe herausgegebene "Rechtsrock - Bestandsaufnahme und
Gegenstrategien" und "Ästhetische Mobilmachung - Dark Wave, Neofolk und
Industrial im Spannungsfeld rechter Ideologien", herausgegeben von
Andreas Speit, nur begrüßt werden. Vor allem "Rechtsrock" fasst noch
einmal ausführlich die Geschichte des Nazi-Rock und der Skinhead-Kultur
zusammen, bietet in einem umfangreichen Verzeichnis eine internationales
Liste von Rechtsrockbands und alles Wissenswerte zu Nazi-Codes, Symbolen
und Zeichen. Außerdem begnügen sich die Autoren nicht nur damit, ein
genaues Bild des Gegenübers zu zeichnen, sondern dokumentieren auch
sozialpädagogisch wertvolle "Gegenstrategien": Wo und wer sind die
Bündnisse gegen rechts? Was sind die Möglichkeiten akzeptierender
Jugendsozialarbeit bei jugendlichen Nazis?
Schlaue rechte Grufties
Während "Rechtsrock" vieles zusammenfasst
und auf den neuesten Stand bringt, was bereits aus dem von Max Annas und
Ralph Christoph herausgegebenen Reader "Neue Soundtracks für den
Volksempfänger - Nazi-Rock, Jugendkultur & Rechter Mainstram" von 1993
und aus einschlägigen Publikationen von Klaus Farin und dem Berliner
Archiv für Jugendkulturen bekannt war, bewegt sich "Ästhetische
Mobilmachung" auf weit weniger erforschtem Terrain. Neben ein paar über
die letzten Jahre hinweg erschienenen Artikeln zum Thema ist dies der
erste überblicksartige deutschsprachige Reader zur angeblichen
Unterwanderung der Gruftie-Szene durch die Neue Rechte.
"Ästhetische Mobilmachung" beschreibt sehr
ausführlich, wie sich speziell das Vorzeigeblatt der Neuen Rechten, die
Junge Freiheit, für das Gewese der schwarzen Szene
interessiert und 1996 mit einer Anzeige des Blattes im Gruftie-Magazin
Zillo die versuchte Annäherung stattfand. Die neuen
Rechten begannen sich damit für diejenigen zu interessieren, die sich
für alten Nazi-Kitsch interessieren. Denn anders als Nazi-Skins, die für
die Neue Rechte nicht mehr sind als ihr Prügelkommando, scheinen rechte
Schwarzkittel für die eigentlichen Ziele der Neuen Rechten, den
Kulturkampf, viel aufgeschlossener zu sein. Rechte Goths verstehen sich
selbst als Avantgarde, die sich daheim - natürlich im Dunkeln und bei
Kerzenschein - Klassiker der Rassentheorie reinziehen. Anders als
Nazi-Skins, hätten diese "Intellektuellen" beim gepflegten Heimatabend
und Freibier mit NPDlern aber wohl nur wenig Spaß.
Der rechte Flügel der schwarzen Szene
beschäftigt sich mit Nazi-Kitsch, der eine Nähe zu Todesmythen
zelebriert: Der Tabubruch wird, was die Aneignung einer Nazi-Ästhetik
angeht, geradezu gesucht. Auch wenn "Ästhetische Mobilmachung" eine
höchst interessante und faktenreiche Materialsammlung über das Treiben
von "Dark Wave, Neofolk und Industrial im Spannungsfeld rechter
Ideologien" ist, wird jedoch ausschließlich über die Macher, die
namhaften Protagonisten der Szene berichtet. Anders als in "Rechtsrock",
erfährt man jedoch nichts über die Aneignungspraktiken von Käufern
dieses mit faschistischer Ästhetik hoch codierten Gruftie-Sounds. In
welchen Kreisen zirkulieren diese Platten? Wie "gefährlich" sind sie
wirklich?
Ohne auf diese Fragen Antworten nicht
wenigstens zu suchen, ist die Studie leider nur halb so viel wert.
Schließlich kursieren die Platten, das entscheidende Medium, der Träger
der inkriminierten Botschaften, sehr oft auch in dezidiert linken
Kreisen, die das Goutieren von Kontroversem als Distinktionsgewinn
verbuchen und - so falsch das von Fall zu Fall vielleicht sein mag -
über das ideologisch Eindeutige vielleicht auch hinwegsehen.
Ästhetischer Mehrwert
Anders als Nazi-Rock, ist dieser
Gruftie-Sound meist mehr als bloß Agitationsmusik. Nazi-Rock ist reiner
Inhalt, Parolendrescherei, zweckgebunden: zum Hören, Saufen,
Türken-Hassen. Dark Wave bietet dagegen einen ästhetischen Mehrwert: Es
ist oft interessante, teilweise avantgardistische Musik. Wer meint, dies
sei gerade das Perfide an dieser Form rechter Ästhetik, schreibt den
Rezipienten als mündigen Hörer ab und verwirft sämtliche Erkenntnisse
der Medienwirkungsforschung und der Cultural Studies, um es sich in
altbackenen Kulturindustriethesen und überholten
Manipulationsvorstellungen gemütlich zu machen. Oder, um es mit Stewart
Home und einem Ausschnitt aus seinem Pulp-Roman "Stellungskrieg" zu
sagen, wo die Hauptfigur auf ein Konzert von Death in June geschickt
wird - einer Band, die in "Ästhetische Mobilmachung" als eine der
schlimmsten dunklen Nazi-Bands beschrieben wird, deren Spiel mit rechter
Ästhetik aber tatsächlich viel ambivalenter ist. Da heißt es über den
Protagonisten: "Statt völlig hysterisch auf den geringsten Verdacht
rechtsradikaler Rhetorik zu reagieren, hatte Terry genügend Vertrauen in
seine nihilistische Überzeugung, die unklare und zweideutige Mythologie
von Death in June zu entdecken, ohne sich von ihr verführen zu lassen."
So kann man es eben auch machen.
Rechtsrock und Gothic mit Rechtsdrall
funktionieren jedenfalls unterschiedlich und werden als Jugendkulturen
von den reinen Polit-Nazis und der Neuen Rechten auch unterschiedlich
bewertet. Rechtsrocker hören agitatorischen Dreck, schlechten Punkrock
oder Heavy Metal mit bevorzugt antisemitischem und rassistischem Inhalt,
den zu erschließen es keiner besonderen intellektuellen Leistung bedarf.
Rechter Dark Wave kursiert dagegen auch in linken und intellektuelleren
Kreisen - oder zumindest in einer Szene, die sehr wohl differenzieren
kann. Und: So lange Demokratie und Rechtsstaat einigermaßen
funktionieren, droht diesem Land seitens bizarrer Dark-Wave-Fantasien
weit weniger Gefahr als durch die Umsetzung solcher Gewaltfantasien, wie
sie bei Nazi-Rockern zu finden sind. Man mag die S/M-Vision des
Death-in-June-Sängers Douglas Pearce erschreckend finden, der zu
Protokoll gab, er habe "Helmut K. sexuell immer attraktiv gefunden.
Dieser dicke, fette Hintern könnte meinetwegen jeden Tag auf meinem
Gesicht sitzen." Aber die selbst ernannten Türkenjäger sind doch um
einiges ekliger.
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