Alfred Rosenberg:
Hitlers Chefideologe
Rezension von Karl Pfeifer
Alfred Rosenberg war vielleicht der am meisten
unterschätzte Naziführer, dessen Rolle nach 1945 oft genug
heruntergespielt wurde. So auch von Ernst Nolte, der die Bedeutung der
Ideologie für den Nationalsozialismus grundsätzlich in Frage stellte und
sich dabei ausgerechnet auf Rosenberg berief, dessen "Mythus des 20.
Jahrhunderts", trage "unverkennbar die Züge der protestantisch-liberalen
Herkunft des Verfassers." Diese Ansicht teilt Ernst Piper der Verfasser
der vorliegenden ausgezeichneten Biographie nicht.
Der 1893 in Reval geborene Alfred Rosenberg studierte
Architektur und schloss sein Studium 1917 ab. Am 30. November 1918 hielt
er in Reval einen öffentlichen Vortrag über seine lebenslange Obsession
"Marxismus und Judentum", der die Zuhörer nicht begeisterte. Noch in der
gleichen Nacht bestieg er einen Zug nach Berlin, wo er zu einem
Vorstellungsgespräch bei einem der führenden Architekten eingeladen war,
doch Rosenberg war derartig angeekelt von der Großstadt Berlin, dass er
kurz entschlossen weiterfuhr nach München. Das bestimmte seinen weiteren
Lebensweg. Er traf Adolf Hitler und wurde bereits 1919 Mitglied der
späteren NSDAP. Rosenberg beteiligte sich am 9. November 1923 am
Hitlerputsch.
Der Vielschreiber Rosenberg war u.a. auch Chefredakteur
des Völkischen Beobachter, der lieber schrieb als sprach. Es gab
vielleicht außer Rudolf Heß keinen Naziführer, mit dem er keine
Auseinandersetzungen hatte und all das wird vom Autor einem ironischen
Stil beschrieben, der leider allzu selten im deutschen Sprachraum von
Historikern gebraucht wird.
Rosenberg hatte Mitte der 20er Jahre seinen "Mythus"
abgeschlossen, doch fand zunächst keinen Verleger. 1931 brachte der vom
nazistischen Eher-Verlag übernommene Hoheneichenverlag das Buch heraus,
das bis 1942 eine Auflage von einer Million erreichte. Das schwer
lesbare Buch richtet sich nicht nur gegen Juden sondern auch gegen die
katholische Kirche. In den "Tischgesprächen" ließ Hitler eine gewisse
Distanz zum Buch erkennen, er meinte die hauptsächliche Leserschaft sei
nicht unter Altparteigenossen zu suchen, sondern in Kirchenkreisen, die
dem "Mythus" durch ihren anhaltenden Widerstand erst zu einem
Verkaufserfolg verholfen hätten. Er selbst habe das Buch nur zum
geringen Teil gelesen, da es zu schwer verständlich geschrieben sei.
In der Nazihierarchie wurde Rosenberg 1940 Leiter des
"Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg" und 1941 "Reichsminister für die
besetzten Ostgebiete". Sein Einsatzstab führte groß angelegten Kunstraub
und Plünderungen in den von der Wehrmacht besetzten Ländern durch.
Rosenberg, der russisch sprach, trat nach dem Angriff
auf die Sowjetunion für die Neuordnung Europas ein und meinte: "Bei
derartigen Auseinandersetzungen und Vorgängen können humanitäre
Grundsätze überhaupt nicht herangezogen werden, ebenso wenig wie bei
einer Desinfektion eines Körpers oder verseuchten Raumes."
Piper schildert auch was aus den Mitarbeitern Rosenbergs
– die an den Verbrechen des Nationalsozialismus teilgenommen hatten –
nach 1945 geworden ist,. Die meisten konnten ihre Karriere in der
Bundesrepublik Deutschland nahtlos fortsetzen. Am 18. Dezember 1941
schrieb zum Beispiel sein Mitarbeiter Bräutigam: " In der Judenfrage
dürfte inzwischen durch mündliche Besprechungen Klarheit geschaffen
sein. Wirtschaftliche Belange sollen bei der Regelung des Problems
grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Im übrigen wird gebeten,
auftauchende Fragen unmittelbar mit dem höheren SS- und Polizeiführer zu
regeln."
Otto Bräutigam war ab 1947 Osteuropa-Berater von
US-Dienststellen. Ab 1953 wieder im Außenamt, Leiter der Abt. Ost. 1959
erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz.
Im Oktober 1943 – da waren schon viereinhalb Millionen
jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordet – hielt Reichsminister
Rosenberg eine Rede und resümierte: "Wenn wir heute erklären können,
dass Deutschland die Judenfrage heute gelöst hat, so wird diese
Judenfrage für Europa erst dann gelöst sein, wenn der letzte Jude diesen
europäischen Kontinent verlassen hat. In welcher Form eine solche
biologische Säuberung vor sich zu gehen hat, das wissen Sie. Auf jeden
Fall kann man in einer solchen weltgeschichtlichen Situation nicht mit
kleinen Mitteln vorgehen."
Piper kommentiert: "Mit "kleinen Mitteln" war die
Ermordung von elf Millionen Menschen, das war die Zahl im Protokoll der
Wannsee-Konferenz, in der Tat nicht zu bewältigen."
In Nürnberg gab Rosenberg vor Philosoph gewesen zu sein,
er leugnete seine Verantwortung für seine Verbrechen und behauptete nach
der "Machtergreifung" für eine "ritterliche Behandlung" der Judenfrage
eingetreten zu sein. Der amerikanische Ankläger Thomas Dodd wollte
anderntags etwas mehr über diese ritterliche Behandlung wissen: "Haben
Sie je von der Ausrottung der Juden gesprochen?" Rosenberg geriet
gewaltig ins Stottern und machte nicht weniger als sechs Anläufe, die
Frage nicht zu beantworten. Schließlich hielt Dodd ihm seine eigene
Notiz über seine Besprechung mit Hitler am 14. Dezember 1941 vor, in der
folgender Satz stand: "Ich stände auf dem Standpunkt, von der Ausrottung
des Judentums nicht zu sprechen." Dodd ließ sich von seinen Ausflüchten
nicht beirren und fuhr fort: "Ich habe Sie eben gefragt, ob zu jenem
Zeitpunkt und später in den besetzen Ostgebieten, die unter Ihrer
Verwaltung standen, Juden tatsächlich ausgerottet wurden." Rosenberg
konnte es nicht leugnen, versuchte aber verzweifelt, die Rolle seiner
Mitarbeiter bei den Vernichtungsaktionen herunterzuspielen.
Dass Rosenberg Antisemit war, räumte sein Verteidiger
Thoma ein, verstieg sich aber zu der grotesken Behauptung: "Der
Antisemitismus stehe bei ihm jedoch nicht im Vordergrund". Schließlich
entblödete Thoma sich nicht, sich Rosenbergs Antisemitismus zu Eigen zu
machen. "Die Judenfrage ist seit Jahrtausenden das Fremdenproblem der
Welt", erklärte er dem Gericht. Das öffentliche Leben in Deutschland sei
durch das Judentum überfremdet gewesen. "Man tut aber Rosenberg unrecht,
wenn man behauptet, blinder Haß gegen das jüdische Volk habe ihn zu
dieser Polemik gegen die Juden getrieben. Er hatte tatsächlich konkrete
Tatbestände für eine zersetzende Tätigkeit von Juden vor Augen."
Piper: "Der Versuch, auch noch angesichts der
beispiellosen Leichenberge, die durch Filmmaterial und Zeugenaussagen
auch im Nürnberger Gerichtssaal präsent waren, den Antisemitismus
rechtfertigen zu wollen, zeugt von einer gespenstischen Frivolität."
Rosenberg berief sich erst in Nürnberg auf das liberale
Prinzip der Meinungsfreiheit, im Gericht jedoch wurde der Beweis
geliefert, wie aus seinen Worten verbrecherische Taten wurden, wegen
dieser wurde er zum Tod verurteilt und am 16. November 1946
hingerichtet.
Das 831 Seiten und 34 Abbildungen umfassende Buch Ernst
Pipers liest sich wie ein spannender Kriminalroman, obwohl es auch ein
wissenschaftliches Buch ist. Der Autor begnügt sich nicht mit der
Geschichte von Alfred Rosenberg, sondern zeigt auch die Hintergründe
seiner Karriere auf. An Zeitgeschichte interessierten Lesern wird das
Buch empfohlen.
hagalil.com
08-12-05 |