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Rita Ottens, Joel Rubin:
Jüdische Musik-
traditionen

mit Audio-CD
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Klezmer-Musik

Das Geheimnis der jüdischen Geige

Im Zentrum eines alten Rituals - Die Klarinette in der Klezmer-Musik

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"The Sounds of the Vanishing World": The German Klezmer Movement as a Racial Discourse
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(A shorter version of this article was originally presented at the conference, “Sounds of Two Worlds: Music as a Mirror of Migration to and from Germany,” in September 2002 at the Max Kade Institute for German-American Studies at the University of Wisconsin in Madison. See also:
Rita Ottens with Joel E. Rubin
Web Based Conference Proceedings University of Wisconsin, Madison Max Kade Institute for German-American Studies, 2004)

"Fassade des Stimmigen":
Jüdische Musik in Deutschland

Von Rita Ottens
Aus dem Vorwort zum Buch "Jüdische Musiktraditionen", S. 7-19

"In der Welt, in der wir leben, geht es nicht länger bloß um den Verfall des kollektiven Gedächtnisses und des verminderten Bewußtseins der Vergangenheit, sondern um aggressive Vergewaltigung der Restbestände von Gedächtnis, die bewußte Verzerrung des historischen Zeugnisses, die Erfindung von mythologischen Vergangenheiten im Dienst der Mächte der Dunkelheit. Gegen die Agenten des Vergessens, die Zerkleinerer von Dokumenten, die Mörder des Gedächtnisses, die Überarbeiter von Enzyklopädien, die Verschwörer des Schweigens... - nur der Historiker, mit der strengen Leidenschaft für Tatsachen, Beweise, Anhaltspunkte, die im Mittelpunkt seines Berufes stehen, kann wirksam dagegen auf der Hut sein". (Yosef Hayim Yerushalmi, Zakhor. Jewish History and Jewish Memory.)

Wäre heute eine Etikettierung als "klebrigste Geschmacklosigkeit", wie sie Der Spiegel (28/1996) dem Tenor José Carreras anheftete, auch für einen Interpreten jiddischer Lieder denkbar? Von den Musiktraditionen der jiddischsprachigen Juden Osteuropas heißt es gemeinhin, sie seien mit der Schoah "untergegangen", und jiddische Lieder und Klezmer-Musik sind infolgedessen populärer Ausdruck der "Gedächtnisgeschichte von Auschwitz" (Jan Assmann) geworden. Gewöhnlich im negativen Kontext und mit Adjektiven wie "verschwunden", "gemordet" und "versunken" behaftet, scheint "jüdische" Musik ohne den Anschluß an die Reanimationsmaschinerie des Kultur- und Gedenkbetriebes kaum überlebensfähig. Und so gilt heute offiziell die schweigende Übereinkunft, über jüdische Musik öffentlich nur Gutes oder besser gar nichts zu sagen.

Zunehmend begegnen uns Juden und Judentum unter den Klängen des "Klezmer", nicht selten begleitet von Bildern religiöser Chassidim, mit ihren Kaftanen, pelzumrandeten Hüten, Bart und "Pejes", visuelle Verkörperungen des Judentums. Die gesamte Vielfalt jüdischer Lebensformen und kultureller Ausdrucksweisen über die geschichtlichen Epochen hinweg scheint auf diese visuellen und akustischen Reduktionsformen jüdischer Existenz zusammengeschrumpft, ohne die keine Gedenkfeier und kein Festival mit jüdischer und jiddischer Kultur auszukommen meint. Fernsehberichte über Holocaust-Kongresse oder die Einweihung der Großen Synagoge in Berlin - einst Hochburg der gegen die jiddischsprachigen "Ostjuden" gerichteten Anhänger der jüdischen Aufklärung - die Klezmer-Klarinette dieser geschundenen und als antisemitische Bildvorlage benutzten Population ist zum Piktogramm geworden. Damit werden im Fernsehen bekannte Persönlichkeiten unterschiedslos als Juden gekennzeichnet: der Psychoanalytiker Erich Fromm, der Maler Chaim Soutine, der klassische Cellist Misha Maisky. Ja sogar Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, blieb es nicht erspart, kurz nach seiner Wahl "verklezmert" zu werden.

Klezmer-Musik ist somit ein realer Bestandteil bundesrepublikanischer Kultur geworden und weist - mehr als ein Jahrzehnt nach dem Fall der Mauer - bereits eine eigene Geschichte, einen spezifischen Gebrauch des jiddischen Repertoires und einen bisher noch nicht theoretisch definierten Stil auf. Es wird immer offensichtlicher, daß sich zunehmend ein ästhetisches Erleben und Wohlgefallen an der Darstellung des Judentums in symbolischen Präsentationen herausbildet. Dabei ist die musikalische vorherrschend und hat als "Klezmer" in weiten Kreisen der Bevölkerung Aufmerksamkeit gefunden. Diese Entwicklung legt nahe, daß die Beschäftigung mit jüdischer Musik im heutigen Deutschland keine musikalische und kulturelle Angelegenheit ist, sondern politisch-ideologischer Natur, unweigerlich verbunden mit der gleichzeitigen Historisierung der Schoah und der Neudefinition deutscher Geschichte.

(...)

Dies erklärt, warum eine kritische Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Ausdrucksformen jüdischer Kultur schwer durchzusetzen ist. Die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung benennt die Gründe für das öffentliche Interesse an jüdischer Kultur: Nach ihrer Meinung zeugen die Beliebtheit des Musicals Anatevka, der Romane von Isaak Baschevis Singer und der Klezmer-Konzerte "von einer Sentimentalität, die doch bekanntermaßen nur die Kehrseite der Brutalität ist".[1] Aber die Ausbrüche gelegentlichen Unmuts verlieren sich im Schutze der Hochsicherheitstrakte, hinter denen sich jüdisches Leben abspielt. Der Hilferuf "Schweig, Klezmer, schweig!" in der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung gibt dennoch einen Hinweis darauf, dass die Reduzierung des Judentums auf "Klezmer" zumindest unter jüdischen Intellektuellen im Lande mit Unbehagen beobachtet wird. [2] Jedoch wird mehrheitlich die Musik dafür verantwortlich gemacht, anstatt die an ihr Handelnden; vor allem wird versäumt, ihren historischen und musikalischen Hintergrund genauer zu analysieren und die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verankerungen und ihre Folgen zu benennen.

Der auffällige Anti-Intellektualismus sowohl bei Interpreten als auch bei den Rezipienten ist ein Indiz für die Funktionalisierung jüdischer Musiktraditionen und vor allem der Klezmer-Musik. Angesichts der gruppenmäßigen Breite ihrer Rezeption und der bei all ihrer quantitativen Präsenz qualitatitiv ärmlichen und uniformen Aussagen sucht man nach Erklärungen. Man wird feststellen, daß sowohl der Angehörige des akademischen Establishments als auch eine Verkäuferin bei dieser Musik in ähnlicher Weise reagieren, und der Artikel der Rheinischen Post über Klezmer-Musik liest sich nicht viel anders als ein Bericht im Spiegel. Weiterhin erstaunt die hinsichtlich der Uniformität der Spielweisen und des Repertoires fast durchweg positive, ja euphorische Reaktion, die so offenkundig nicht ästhetischen Interessen entstammen können. Man geht zunächst einmal nicht fehl, wenn man in dieser Rezeption Ideologie vermutet, deren Zweck stets die Verklärung der gesellschaftlichen Situation ist. Und wo Ideologie ist, ist auch Tabu: Es ist verboten, die Situation der jiddischen Musik und Kultur in der Bundesrepublik Deutschland als ein Faktum zu diskutieren, von dem man zunächst einmal auszugehen hat.

Im allgemeinen werden selbst die dürftigsten Konzertdarbarbietungen mit großem Beifall und Bravo-Rufen belohnt, und für Rezensionen und sonstige Artikel über Klezmer hat sich inzwischen eine Uniformität der Ausdrucksweise herausgebildet, durch deren ideologische Versatzstücke nur noch gelegentlich Verlegenheit durchscheint. Beständige Verweise auf die Tiefe der Emotionen jüdischer Musik deuten eher auf die Neigung, sich dem Irrealen auszuliefern als die Realität jüdischer Kulturformen zur Kenntnis zu nehmen. Wie die Musik der Synagoge schon im 19. Jahrhunderte von ungebildeten Kritikern als "pittoresk" und "exotisch" angesehen und von ihr "orientalische Wildheit" erwartet wurde, ist es heute die Klezmer-Musik, die sich als Projektionsfläche für ähnliche Vorstellungen von Juden und jüdischer Musik anbietet.

Die damit einhergehende Zurückweisung von Juden in den Bereich des Gefühls, der Natur und rassischer Merkmale läßt Rückschlüsse auf die Gesellschaft zu, die diese Bilder hervorbringt. Die Darstellung der Musik als Inkarnation von Elementarkräften impliziert die Angst vor der Zerstörung dieser Mythen durch nüchternes Denken und wissenschaftliche Untersuchungen — ein sicheres Zeichen, daß wir es mit schwer greifbaren inneren Vorgängen zu tun haben, deren Erforschung sich eine wissenschaftliche Disziplin wie die Musikethnologie angelegen sein lassen müßte.

Aber gerade die Konzepte der modernen Musikethnologie — in den anglo-amerikanischen Ländern in Verbindung mit Lingustik, Soziologie, Psychologie, Ethnologie, Musikologie und vor allem Anthropologie gelehrt — haben sich im Nachkriegsdeutschland kaum etablieren können. So bleiben sie bei der Beschäftigung mit jüdischen Musiktraditionen weitgehend außer Kraft gesetzt und belassen diese als Spielball populistischer Interessen und Vorstellungen. Auch im Bereich der deutschen Klezmer-Musik herrscht, ähnlich dem Berührungstabu vor der deutschen Heimatmusik, die Angst vor, sich mit den Ausdrucksformen der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Zwar ist es nicht die Aufgabe der Wissenschaft, Werturteile abzugeben, aber es gehört zu ihrem Mandat, herauszufinden, was wahr und was unwahr und was echt oder unecht ist. Denn "Wo Musik in sich brüchig, antinomisch geartet ist, aber das durch die Fassade des Stimmingen überdeckt, anstatt die Antinomien auszutragen, ist sie allemal ideologisch: selbst im falschen Bewußtsein befangen".[3]

(...)

Lange unbemerkt vom bundesrepublikanischen Establishment, konnte sich eine regelrechte Industrie herausbilden, die "jüdische" Musik produziert, vertreibt, rezensiert und konsumiert, zunächst getragen von Laien und den unteren Rängen der Massenmedien und Bildungsinstitutionen — in erster Linie Nichtjuden. Seit einigen Jahren nimmt sich auch die Hochkultur des Themas "Klezmer" an: Mit einer schief konstruierten Beziehung von Jazz und Klezmer überraschte auch das Berliner Jazz-Festival 1999, das einen überproportionalen Anteil von Klezmer-Musik aufwies. Sowohl die Programmauswahl als auch die fehlerhaften Einführungen durch namhafte Jazz-Experten waren ein Beispiel für das intellektuelle Zwielicht, das sich auch in den Regionen der E-Kultur um jüdische Musik und Kultur ausbreitet. Zumindest eine der Gruppen befand sich musikalisch auf einem Niveau, das man in den USA als "garage band" als ausreichend beschrieben ansehen würde.

Beispiele wie dieses sind keine Seltenheit, und man darf wohl auch in diesem Falle annehmen, daß das Auffüllen mit "jüdischen" Inhalten gerade stagnierenden Kulturunternehmungen öffentliche Aufmerksamkeit und wohl auch finanzielle und politische Unterstützung verspricht. Der offiziell-politische Charakter wurde durch die Tatsache, daß die Veranstaltungsreihe mit Geldern vom Berliner Senat für Wissenschaft, Forschung und Kultur ermöglicht wurde, noch unterstrichen. Daß die mit dem Mythos Klezmer verbundenen Hoffnungen keineswegs zu unterschätzen sind, zeigt auch der preisgekrönte Spielfilm "Jenseits der Stille". [4] Wie kein anderes Werk der Popularkultur enthüllt er die Tiefenstrukturen der Gesellschaft Ende der neunziger Jahre: Die Klarinette spielende Teenager-Tochter eines taubstummen Ehepaares (!) findet ihren Weg durch die Musik von Giora Feidman und entschließt sich, "jüdische" Musik an einer deutschen Musikhochschule zu studieren.

Ein Klarinettenkasten birgt auch in einem anderen Werk die Erlösung von der Last des deutschen Alltags: In einem Roman, der Jugendlichen den Umgang mit Geld vermitteln soll, führt ein darin verborgener Goldschatz zu dem Juden Friedmann. Dieser war vor dem Krieg aus Deutschland nach Amerika geflohen und hatte es dort zu Reichtum gebracht. Der gütige Friedman kommt schließlich den durch Mißmanagement und Arbeitslosigkeit gebeutelten Romanprotagonisten in Deutschland zu Hilfe — und fährt wieder nach Amerika zurück. (Nikolaus Piper: Felix und das liebe Geld. Weinheim 1998). Diese Entwicklungen verdeutlichen die Rolle der jiddischen Musik im Dienst der politischen Interessen und heben vor allem die jiddische Klarinette als Ursprungsmythos und Legitimation für die Geburt des wiedervereinigten Deutschlands als neue, gereinigte Nation hervor.

Als letztes haben sich mittlerweile auch die politischen und akademischen Institutionen angeschlossen, nachdem sie erkannt hatten, daß mit der Förderung jüdischer Musik und Kultur internationale Akzeptanz und politische Aufwertung verbunden ist. So unterstützte die Bundeszentrale für Politische Bildung beispielsweise das kommerzielle Filmprojekt über die amerikanische Revivalgruppe Klezmatics mit knapp 100.000 DM, wobei die Berliner Neue Synagoge als Kulisse für Interpreten aus Israel und den USA fungierte. Aber ähnlich den Festivals und Gedenkveranstaltungen blieb die Musik nur Mittel zum Zweck — nach innen, als langfristige Investition in die Bildung der nächsten Generationen, wirkt das nicht. Für eine gründlich edierte Publikation für den Schulunterricht fehlt das Geld, und engagierte Lehrer suchen verzweifelt nach Geldmitteln, um kompetente Referenten für Unterricht in jüdischer Musik zu bezahlen.

Im gewissen Sinne gälte es auch hier, wie es die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich für den deutschen Geschichtsunterricht einfordern, über jüdische Musik "von der Schule, und zwar dort vom historischen Fachmann informiert zu werden", so daß sie einseitige und verzerrte Darstellungen selbst korrigieren können. Denn es sind nicht nur die Walsers und Co., die versuchen, die Geschichte umzuschreiben, sondern auch diejenigen, die sich als Nachfahren jüdischer Klezmorim in Deutschland begreifen. Wer die über das Internet verbreiteten Versionen der Klezmer-Geschichtsschreibung dieser Klezmer-Fans ernstnimmt, stolpert über die allgegenwärtige Verknüpfung jüdischer Musik mit der Schoah und dem Antisemitismus und die fantasievollen Ausblendungen der Wirklichkeit. Damit einher gehen Legitimierungsversuche und der Wunsch, sich in die jüdische Kultur einzugliedern und diese zu bereichern.

Denn so wie die "Nazi-Geschichte nur verzerrter Form dargestellt werden" kann, wie die Mitscherlichs es konstatieren, unterliegt auch die Geschichte der Klezmer-Musik mächtigen Verschiebungen der Wirklichkeit. Daß sich diese jiddische Musikszene in Deutschland zuweilen rabiat bis wehleidig gegen Kritik an ihren musikalischen Fähigkeiten zur Wehr setzt, gehört zu ihren Merkmalen, ebenso wie ihr Minderwertigkeitsgefühl gerade gegenüber denjenigen, die an den Musiktraditionen derjenigen Juden festhalten, die zu Hunderttausenden in der Schoah ermordet wurden. Dieser von Außenstehenden schnell als "traditionalistisch" und "historisierend" empfundene Ansatz verläuft jedoch parallel mit Entwicklungen in den chassidischen Gemeinden und ist eine jüdische Art, die Schrecken der eigenen Geschichte zu verarbeiten.

Gerade auf diese "Traditionalisten" wird nun aber, wie sich anhand zahlreicher Beispiele aus dem Musikjournalismus belegen lässt, eine vermeintliche Rächerfunktion projiziert — eine zumeist unbewusste Strategie, die nichts anderes ist als die Umkehrung des Wunsches nach Bestrafung. Diese Strategie richtet sich, je nach Ausmaß der von Angst, Schuld und Machtlosigkeit geprägten psychischen Energien, mehr oder weniger aggressiv gegen diese als lebende Mahnung empfundenen "Traditionalisten" bzw. Juden und verstellt in der Folge auch den Blick insbesondere auf die jiddischen Musiktraditionen.

(...)

Der Respekt vor anderen musikalischen Systemen manifestiert sich in der Genauigkeit des Umgangs mit diesen. Nun hat sich aber mittlerweile von der Klezmer-Musik die Auffassung von der leichten Zugänglichkeit eingebürgert, vor allem wegen der vermeintlich einfachen Improvisationsart, die als viel weniger kompliziert als die der Jazzmusik dargestellt wird. Vergleiche dieser Art, bei denen das in der Klezmer-Musik angewandte archaische Verzierungssystem an einer aus gänzlich anderen Strukturen stammenden musikalischen Ausdrucksweise gemessen wird, sind ein Beleg für die Weigerung, sich auf eine andere, "fremde" Kultur einzulassen und deren Bedingungen aus dem ihr eigenen Umfeld zu begreifen. Denn das Anlegen eigener Wertmaßstäbe zieht immer Entwertung des Anderen, Fremden nach sich und stellt in diesem Zusammenhang auch die jüdische Klezmer-Musik als wenig anspruchsvoll dar.

Solche fragwürdigen Darstellungsweisen, die in die Mottenkiste des Rassismus gehören (vgl. die Studie von Anke Poenicke, Afrika in deutschen Medien und Schulbüchern. Konrad-Adenauer-Stiftung Nr. 29, 2001, insbesondere Musik, S. 46-48), weist den Musikern und Forschern einen Objektstatus zu, der nicht nur ihre Arbeit und ihre Person entwertet, sondern darüber hinaus auch ihrer Umwelt die Möglichkeit gibt, sich auf unbequeme kulturelle Ausdrucksweisen von vorneherein nicht einzulassen oder diese gar wegen ihrer Fremdheit zu stigmatisieren.

Deutlich wird eine solche Haltung anhand des folgenden Beispiels aus der Publikation eines Jazzmusikers, der bundesweit Workshops zu Klezmer-Musik und Improvisation abhält: Zur Veranschaulichung der musikalischen Strukturen der Klezmer-Musik wurde nicht etwa eine Melodie aus dem Repertoire von Klezmorim herangezogen, sondern das Lied "Fuchs Du hast die Gans gestohlen". Anhand der Transponierung der Töne d und a in des und as will der Autor dann die Verwandlung der in C-Dur stehenden Tonart in eine "Klezmer"-Melodie der Tonart Ahawa Raba demonstrieren. Das Beispiel enthält jedoch keine der typischen melodischen Wendungen der fraglichen Tonart wie Kadenzen oder Modulationen, die dann wiederum für die Klezmer-Musik charakteristische melodisch-ornamentale Einheiten hervorbringen würden. Hier wird das komplexe musikalische Geflecht von mindestens 500 Jahre alten Ausdrucksweisen, die mit der Klezmer-Musik untrennbar verwoben sind, auf die bloße Veränderung von zwei Tönen reduziert.

Man geht keinesfalls zu weit, wenn man Darstellungen dieser Art kritisiert und zum Ausdruck bringt, dass derartige Simplifizierungen und Fehlinterpretationen auch einmal im Zusammenhang mit Fragen des kulturellen Eigentums diskutiert werden mögen: So beklagen beispielsweise Exil-Tibetaner die Verfälschung ihrer Musik- und Tanztraditionen durch die chinesische Besatzungsmacht und weisen diese folklorisierten Darbietungen als nicht-tibetanisch zurück. Und während der ersten Phase der Bombardierung Afghanistans wurde das Spielen von afghanischer Festmusik durch amerikanische Propagandasender keineswegs als Friedensangebot empfunden, sondern als Herrschaftsgeste, die auch mit kultureller Unwissenheit und besten Absichten nicht entschuldbar ist.

(...)

Wenn die jüdischen Festivalstars, für viel Geld aus Amerika und Israel für ein Konzert importiert, wieder abgereist sind, ist Deutschland wieder mit sich und seinen Ängsten allein. Und die eben noch weltoffen sich gebenden Kulturkonsumenten verfallen augenblicklich in die Defensive, sobald ein kritisches Wort sich erhebt. Über solchen Rekonstruktionen und Reanimationsbemühungen werden die in Deutschland lebenden jüdischen Künstler und Vertreter heutiger Traditionen beiseite gedrängt. Kaftantragende Juden und die Klezmer-Klarinette dienen zwar als Piktogramme der Jiddisch- und Klezmer-Festivals und Jüdischen Kulturtagen, aber die propagierte Multikulturalität wird jüdischen Künstlern nur insofern zugestanden, als sich ihre Ausdrucksformen mit den herrschenden Vorstellungen decken.

Meine Untersuchungen zeigen, daß der Publikumsbeifall umso heftiger wird, je mehr die Klischees des "Jüdischen" bedient werden. Dabei steht insbesondere die Darstellung des jüdischen Leids durch entsprechende musikalische Mittel wie instrumentale Rezitative und Liedtexte im Vordergrund, die dann in schnelle Rhythmen und jagende Melodiepassagen umschlagen. Diese rasende, ekstatische Fröhlichkeit der Musik symbolisiert die Überwindung der Schoah, und manche Klezmer-Gruppen manipulieren diese Bedürfnisse des Publikums (und wohl auch ihrer eigenen) in einer Weise, die an ritualistische Abläufe denken läßt, wobei am Ende die Katharsis, die gemeinsam genossene Erleichterung und Läuterung steht. Man kann in diesem Zusammenhang von einem Übersetzungs- und Deutungsversuch des Mythos Holocaust sprechen, der mit eigenen musikalischen Formen einen Bedeutungswandel eingeleitet und die Musik in den deutschen Kulturkreis überführt hat.

Diese Musik "jüdischen Ursprungs", wie der Berliner Klarinettist Harry Timmermann es in seinem Werbepostkarten bezeichnenderweise ausdrückt, hat mit der traditionellen jüdischen Klezmer-Musik und mittlerweile auch mit dem amerikanischen Revival wenig zu tun. Dessen ungeachtet hat sich mittlerweile die Auffassung eingebürgert, daß die kosackenhaften, peitschenden Rhythmen und ein "gequält intonierter Klang der Klarinette" und "gequetschte Töne", wie es sogar der Führer Jüdisches Leben nach 1945 von Hans Ulrich Dillmann (Hamburg 2001), integraler Bestandteil der jüdischen Aufführungspraxis sind.

[1] Michael Wuliger, "Rückblick einer Nachgeborenen. Neu im Kino: Yolande Zaubermans Film 'Ivan und Abraham’", Allgemeine Jüdische Wochenzeitung vom 26. Juni 1997.
[2] Allgemeine Jüdische Wochenzeitung vom 25. August 1994, S. 2.
[3] Theodor W. Adorno, Einführung in die Musiksoziologie. Zwölf theoretische Vorlesungen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1975), S. 81.
[4] Dir. Karoline Link, BRD, 1996.

Aus dem Vorwort zum Buch "Jüdische Musiktraditionen", Rita Ottens und Joel Rubin, S. 7-19.
© Rita Ottens and Joel Rubin 2001
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