antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil

Newsletter abonnieren
 
 
 

 


Stephan Braun, Daniel Hörsch (Hrsg.):
Rechte Netzwerke - eine Gefahr
VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004
Euro 19,90

Bestellen?

"Neue Rechte":
Rechte Netzwerke - eine Gefahr

Von Ralph Kummer
IDGR, Informationsdienst gegen Rechtsextremismus

In der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte spielten rechtsextreme Parteien - abgesehen von punktuellen Erfolgen bei Bundes-, Landtags- oder Europawahlen - eine eher untergeordnete Rolle. Zudem ist in den letzten Jahren ein immer größer werdender Bedeutungsverlust des parteiförmig organisierten Rechtsextremismus zu beobachten. Und das, obwohl laut Richard Stöss "in der Bundesrepublik ein erhebliches Potenzial an latentem Rechtsextremismus ... [existiert]" (S.73).

Dieses Potenzial bildet aber zumindest den Nährboden für die Herausbildung immer stärker verzweigter rechter Netzwerke. Sie versuchen, dem stigmatisierten "rechten Ghetto" zu entkommen, den vorpolitischen Raum nach ihrem Gusto ideologisch zu besetzen und wollen Einfluss im politischen wie gesellschaftlichen Mainstream gewinnen. Vernetzung triumphiert über formale Hierarchien. Gerade seit dem Mauerfall 1989 haben informelle Projekte, eine Fülle von Medien mit unterschiedlichen Profilen und Zielgruppen sowie flexible Aktionsbündnisse Boden gegenüber starren, undynamischen Organisationen gut gemacht.

Diese derart beschaffene neue soziale Bewegung von rechts, vielfach "Neue Rechte" genannt, ist im Ganzen geprägt von relativ losen Strukturen, informationeller Vernetzung und weist ein ziemlich heterogenes Erscheinungsbild auf. Sie verfügt über ein modernisiertes Auftreten, bemüht sich um eine Intellektualisierung der rechten Szene. Darüber hinaus wird mit "politischer Mimikry" operiert, einem scheinbar gemäßigten Duktus, wozu verbale Tarnung, sprachliche Codes, Andeutungen und Unterschwelligkeiten gehören. Das Ziel der Neuen Rechten ist es, die "kulturelle Hegemonie", die Meinungsführerschaft in Deutschland zu erlangen. "Ihr Aktionsfeld ist weder die Straße noch sind es die Parlamente, sondern die Diskurse, in die die Neue Rechte eingreifen möchte, um einen politischen Klimawandel vorzubereiten" (Thomas Pfeiffer, S.27). Neben fortwährender Angriffe auf eine angeblich zu brechende Hegemonie der 68er bzw. der Linken generell, präsentiert man sich als Nonkonformist, Tabubrecher oder Rebell gegen Denkverbote, die angeblich aus der von der Linken forcierten, fast schon staatsreligionsähnlichen Charakter innehabenden "Political Correctness" resultierten.

Der vorliegende Sammelband will diesen rechten Netzwerken näher auf den Grund gehen.

Der erste der drei Hauptteile befasst sich mit den ideologischen Fundamenten und der Arbeitsweise der Neuen Rechten. Ferner wird aufgedeckt, wie und wo diese Unterstützung findet. Wolfgang Gessenharter macht mit einer Untersuchung über "Die Neue intellektuelle Rechte und ihre Unterstützung durch Politik und Medien" den Anfang. Er beschreibt vor allem die vier Hauptwege, über die es in den letzten Jahrzehnten zu einer "Erosion der Abgrenzung" zwischen dem Konservatismus der Mitte und der Neuen Rechten kam. Thomas Pfeiffer analysiert die Neue Rechte als "Avantgarde und Ideologieschmiede des Rechtsextremismus", geht dabei kurz auf historische Wurzeln, Strategie, Mediennetz und ideologische Inhalte ein. Nach den Artikeln von Anton Maegerle über das "Autorengeflecht in der Grauzone" - es wird die "Scharnierfunktion" von fünf Periodika zwischen Rechtskonservatismus und -extremismus herausgearbeitet - und von Margarete Jäger - sie verdeutlicht, wie die Rechte die Sprache, die Diskurse und auch das Denken von Teilen der politischen Mitte geprägt hat und somit zu einer "Verschiebung der Sagbarkeitsfelder" (S.46) beitrug - folgen zwei weitere Beiträge: Oskar Niedermayer wirft einen Blick auf die "Wahlerfolge ethnozentristisch-autoritärer Parteien in Deutschland", Richard Stöss behandelt "Rechtsextreme Einstellungen und ihre Ursachen", die den "Nährboden für rechte Netzwerke" bilden. Diese beiden Aufsätze hätte man jedoch besser an den Anfang des ersten Hauptteils stellen sollen. Zum einen, weil die Betrachtung der Wahlerfolge durchaus sinnvoll erscheint, im Folgenden der Fokus aber gerade auf den nicht in Parteien organisierten Rechtsextremismus gerichtet ist; zum anderen, weil das Wissen über rechtsextreme Einstellungen und Ursachen zu den Basics im Forschungsfeld "Rechtsextremismus" gehört und mithin nicht an das Ende eines Kapitels platziert werden sollte, in dem vorher schon auf viel speziellere Problemkreise eingegangen worden ist.

Der zweite Hauptteil beleuchtet einige Beispiele rechter Netzwerke detaillierter: angefangen vom "Doppelspiel der Jungen Freiheit am Beispiel der Hohmann-Affäre" (Helmut Kellershohn), über einen Blick auf das Studienzentrum Weikersheim (Meinrad Heck) sowie den Rechtsintellektuellen Albrecht Jebens (Anton Maegerle/Stephan Braun), weiter über eine Auswahl von Bewegungen, Organisationen bzw. Institutionen, die der neurechten/rechtsextremen Bildungs- und Schulungsarbeit beim "Kampf um die Köpfe" dienen (Anton Maegerle/Daniel Hörsch), bis hin zum als Modernisierungsmoment fungierenden RechtsRock (Christian Dornbusch/Jan Raabe) und zu den Burschenschaften (Dietrich Heither). Abgeschlossen wird dieser breit gefächerte Abschnitt von einem Beitrag zum Thema "Gelder für die braune Szene" (Franziska Hundseder).

Besonderes Augenmerk verdient das dritte und letzte Kapitel, welches sich mit den Gegenstrategien beschäftigt. Gerade diesen Aspekt vernachlässigt die gängige Literatur häufig oder handelt ihn nur sehr verallgemeinernd ab - hier wird ihm auf 109 Seiten nachgegangen. Unter anderem stellen die Autoren die Arbeit der "Vereinigung gegen Vergessen - für Demokratie" vor (Hans-Jochen Vogel), das Modellprojekt "Team Z" zur Prävention wie Förderung von Zivilcourage (Siegfried Frech), das CIVICs-Modell zur Entwicklung von Demokratiekompetenz durch Erfahrung als Aufgabe der Schule (Anne Sliwka), schulische Handlungsansätze gegen Rechtsextremismus und Gewalt (Wilfried Schubarth), die Perspektiven schulischer und außerschulischer Bildungsarbeit (Ulrike Hormel/Albert Scherr) oder das "Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt" (Ute Vogt). Kritisch wird analysiert, inwieweit die üblichen pädagogischen Konzepte gegen Rechts ausreichen (Kurt Möller) oder ob Kommunale Kriminalprävention ein geeigneter Ansatz sein kann (Thomas Feltes).

Auch die Neuen Medien, insbesondere das Internet, finden Berücksichtigung: So wird die Frage aufgeworfen, welche Wirkung rechtsextreme Internetseiten auf Jugendliche haben und was eine medienpädagogische Projektarbeit zu leisten imstande ist (Stefan Glaser). Eines der führenden Aufklärungs- und Informationsprojekte über Rechtsextremismus im deutschsprachigen Internet - der Informationsdienst gegen Rechtsextremismus (IDGR) - bringt Albrecht Kolthoff dem Leser näher; David Gall und Andrea Livnat skizzieren Anfänge und Grundpfeiler des größten deutschsprachig-jüdischen Onlinedienstes in Europa, haGalil Online. Bemerkenswert ist der Beitrag von Klaus Parker, der dem Irrglauben entgegentritt, das Internet sei ein weit gehend rechtsfreier Raum, der kaum eine Strafverfolgung rechtsextremer Propagandatätigkeiten zulasse.

Ein Personen- und Sachregister sowie Informationen zu den Autoren und Herausgebern beschließen den Sammelband.

Alles in allem deckt diese Publikation eine ziemlich große Bandbreite an Themen ab. Vorteilhaft wäre es daher gewesen, den einzelnen Hauptteilen einen knappen, zusammenfassenden Einführungstext voranzustellen, der auf die folgenden Vertiefungsbeiträge verweist, diese inhaltlich verknüpft und somit als Klammer für das entsprechende Kapitel dient. Aufgrund des Fehlens einer solchen Klammer scheint bisweilen bei der Aneinanderreihung der einzelnen Beiträge ein "roter Faden" zu fehlen, andererseits korrespondiert die Vielschichtigkeit und thematische Reichweite der Artikel im gewissen Sinne mit dem komplexen, ausdifferenzierten (neu)rechten Netzwerk. Durch die eher kurzen, stets kompetent verfassten Texte kann der Leser sowohl einen ersten Eindruck von den jeweiligen Bereichen gewinnen als auch aktuelle Analysen studieren (z.B. zur Hohmann-Affäre) und sich mit dem neuesten Forschungsstand vertraut machen. Außerordentlich anerkennenswert ist das dritte Kapitel, welches sich mit möglichen Gegenstrategien beschäftigt. Dadurch hebt sich dieses 281 Seiten starke Buch von zahlreichen anderen, thematisch ähnlich gelagerten Veröffentlichungen wohltuend ab.

Insgesamt ist der von Stephan Braun und Daniel Hörsch herausgegebene Sammelband zu empfehlen, um sich in komprimierter Form in die vielen Facetten "Rechter Netzwerke" einzuarbeiten und um mannigfaltige Ansätze zivilgesellschaftlicher Gegenmacht kennen zu lernen.

Rechte Netzwerke:
Eine Gefahr

Viele Bücher, die das Thema Rechtsextremismus behandeln, gehen ausführlich auf die von diesem ausgehenden Gefahren ein, bieten jedoch keine Gegenstrategien an...

hagalil.com 10-11-04











 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved

ehem. IDPS (Israeli Data Presenting Services) Kirjath haJowel, Jerusalem