Neu-alter Judenhass:
Israel als "kollektiver Jude"
"Die Weisen von Zion" sind noch immer
unter uns: 31 Autoren analysieren den alten und den neuen Antisemitismus
Von Ralf Balke
Der Tagesspiegel vom
15.01.2007
Wenn wir sehen, wie israelische Panzer durch
palästinensische Dörfer fahren und sich die verzweifelten Menschen mit
Steinen wehren, dann müssen wir im Blick auf Warschau und im Blick auf den
Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto auch fragen dürfen, war das dann
nicht auch Terror?"
Mit diesen Worten sorgte im Januar 2003 Udo Steinbach,
Direktor des Deutschen Orient-Institutes, einem vom Auswärtigen Amt
alimentierten Thinktank, für reichlich Aufsehen. Denn mit seinen Äußerungen
rückte er die Israelis nicht nur in die Nähe der Nazis, sondern banalisierte
darüber hinaus den Terror der Palästinenser, die bekanntlich nicht nur
Steine werfen.
Der Politikwissenschaftler Yves Pallade greift den Fall
Steinbach deshalb auf, weil er seiner Meinung nach exemplarisch für das
stehe, was in der Forschung mittlerweile unter dem Begriff "sekundärer
Antisemitismus" Einzug in die Debatte gehalten hat. "Letztlich dient der
Nahe Osten Steinbach als Projektionsfläche zur Entlastung der eigenen
deutschen Vergangenheit durch die Verharmlosung der Naziverbrechen und die
Schuldprojektion auf die Opfer und ihre Nachkommen", umreißt Pallade dieses
Phänomen und attestiert den gesellschaftlichen Eliten in Deutschland
zugleich ein eklatantes Versagen, auf derartige Tendenzen angemessen zu
reagieren.
Während Steinbach Applaus vom rechtsextremen
Störtebecker-Netz erhielt und auch die radikal-islamistische Onlineplattform
Muslim-Markt immer voll des Lobes für ihn ist, zuckte das Kuratorium des
Orient-Institutes auf Rücktrittsforderungen nur mit den Schultern.
Natürlich ist Steinbach kein Einzelfall. Norbert Blüm
schlägt in dieselbe Bresche. Der langjährige Arbeitsminister und selbst
ernannte Nahostexperte schwadronierte gerne schon mal vom "hemmungslosen
Vernichtungskrieg", den Israel führe. Für den Journalisten Tobias Kaufmann
stellen jedoch nicht nur diese verbalen Bezüge Blüms zum "Dritten Reich" ein
Problem dar, sondern ganz besonders die Nachlässigkeit, mit der die deutsche
Presse solche Äußerungen einfach übernimmt. So druckte der "Stern" ungeprüft
ein Interview Blüms ab, in dem er den Besuch Ariel Scharons auf dem
Tempelberg kritisierte und von 30 Palästinensern sprach, die bei einer
"friedlichen Gegendemonstration" noch am selben Tag von Israelis getötet
worden seien. Pech für Blüm nur, dass diese Protestkundgebung einen Tag nach
dem Scharon-Besuch stattfand und alles andere als friedlich war, und bei dem
es - schlimm genug - sieben Tote gegeben hatte.
Es ist die mangelnde Sorgfältigkeit bei der
Nahostberichterstattung, die Kaufmann kritisiert, und die ein mehr als
schiefes Bild von den Ereignissen im Nahen Osten vermittelt. Ein
Musterbeispiel, laut Kaufmann, war die Geschichte vom "Massaker von Jenin",
die im Frühjahr 2002 Schlagzeilen machte. Bei Kämpfen in der
palästinensischen Stadt seien mindestens 500 tote Zivilisten zu beklagen,
hieß es in vielen Berichten. Als dann die Vereinten Nationen Wochen später
ihren Untersuchungsbericht vorlegten, reduzierte sich die Zahl schnell auf
52, mehr als die Hälfte davon bewaffnete Kämpfer. Dies war den Medien aber
nur eine kurze Meldung wert.
Und so darf es kaum verwundern, dass heute laut diverser
Umfragen das Israel-Bild in der öffentlichen Meinung katastrophal ausfällt.
Wenn über 60 Prozent der Befragten den jüdischen Staat als Gefahr für den
Weltfrieden betrachten und ihn damit auf eine Stufe mit Nordkorea stellen,
oder mehr als 50 Prozent die israelische Politik gegenüber den
Palästinensern mit der Behandlung der Juden durch die Nazis im "Dritten
Reich" vergleichen, dann ist dies auch das Resultat einer Berichterstattung,
die mehr als nur tendenziös ist.
Einen Eindruck davon, wie diese aussehen kann, vermittelt
der Kommunikationswissenschaftler Rolf Behrens in seiner Analyse der
Israelberichterstattung im "Spiegel". Das Nachrichtenmagazin stellt "den
Staat Israel stereotyp als brutalen, expansiven und gar rassistischen Staat
voller Missstände dar, dessen Gesellschaft innerlich zerrissen sei und sich
im Niedergang befinde". Der ehemalige Ministerpräsident Scharon wird als
"Schlächter" etikettiert und die israelische Armee als eine Kinder mordende
Soldateska.
Alle Autoren stellen in ihren Beiträgen eines fest: Der
neue Antisemitismus kommt nicht ohne den Nahostkonflikt aus. Während der
"alte" Antisemitismus, wie beispielsweise die Bewertung von Juden als eine
minderwertige Rasse, nach Auschwitz in Europa gesellschaftlich weitestgehend
geächtet ist und sich allenfalls in kleinen neonazistischen Zirkeln finden
lässt, so funktioniert der "neue" Antisemitismus auf einer ganz anderen
Ebene. Israel nimmt darin die Rolle eines "kollektiven Juden" ein, wie es
der Politikwissenschaftler Lars Rensmann auf den Punkt bringt, dessen
Existenzrecht von der extremen Rechten, aber auch der sich "antizionistisch"
oder "antiimperialistisch" definierenden extremen Linken sowie
islamistischen Gruppen negiert wird.
Bemerkenswerterweise wird dabei das gesamte Sortiment
traditioneller negativer Stereotype zum Leben erweckt. Angefangen von der
zaristischen Hetzschrift "Die Protokolle der Weisen von Zion" bis hin zum
Märchen vom Juden als Brunnenvergifter, tauchen adaptiert an die aktuellen
Ereignisse vor allem im radikalen Islam alle Antisemitismen wieder auf und
stoßen ebenfalls unter islamischen Migranten in Europa auf breite
Zustimmung.
Der Sozialwissenschaftler Bassam Tibi weist in seinem
Beitrag auf die Mechanismen hin, die diesen Ideologietransfer möglich machen
und nennt die Verschwörungstheorien rund um die Ereignisse des 11.
September, die Israel und den Mossad als Verantwortliche für die Anschläge
auf das World Trade Center zum Kern haben, als symptomatisch dafür.
"Neuer-alter Judenhass" liefert hervorragende Analysen zu
einem Phänomen, das in seinen Ausdrucksformen nicht nur für Juden eine
Bedrohung darstellt, sondern letztendlich die westlichen Werte in ihrer
Gesamtheit attackiert. Genau darauf macht das Buch aufmerksam und verdient
deshalb große Beachtung.
Sozialdemokratischer
Antisemitismus:
Die Neue
Gesellschaft/Frankfurter Hefte im Jahr 2007
Im folgenden
wird eine antisemitische Rezension in einer der bekannten
sozialdemokratischen Theoriezeitschriften untersucht und jenes abgewehrte
Buch neu gelesen und besprochen...
hagalil.com
15-03-07 |