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Martin Jander:
Berlin (DDR).
Ein politischer Spaziergang

Ch. Links Verlag 2003
Euro 12,90

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Genau wie von der Mauer ist von den politischen Machtzentren der DDR im Berliner Straßenbild kaum noch etwas zu entdecken. Die meisten Gebäude sind inzwischen umgestaltet und werden anders genutzt, manch neuer Eigentümer möchte auch nicht an die früheren Hausherren erinnert werden.
Der politische Reiseführer "Berlin (DDR)" will dem entgegenwirken und bietet einen Kurzeinstieg in die Geschichte des untergegangenen ostdeutschen Staates anhand seiner markantesten Bauten. An jedem der 20 vorgestellten Orte wird ein Kapitel aus dem politischen Leben der DDR knapp und anschaulich erzählt. Hinzu kommen Literaturverweise und Servicedaten zur Erreichbarkeit, den Öffnungszeiten und den Verkehrs-anbindungen. Zwei Übersichtskarten erleichtern das Auffinden dieser interessanten Orte ostdeutscher Geschichte.

 

 

Politische Spaziergänge in Berlin:
unwrapping history

Berlin (DDR):
Ein politischer Spaziergang

Von Martin Jander

Aufbau-Verlag
1956: Zerschlagene Hoffnung auf ein "Tauwetter"

Direkt am S-Bahnhof Hackescher Markt findet sich mit der Adresse Neue Promenade 6 der "Aufbau-Verlag". Es ist einer der Denkorte zur DDR-Geschichte, der sich nicht unbedingt als solcher zu erkennen gibt. Buchstäblich nichts deutet auf die wichtige Geschichte hin, die es hier zu bedenken gibt. Der neue Standort dieses Verlages - ursprünglich residierte er in der Nähe des Gendarmenmarktes in der Französischen Straße 32 - liegt jedoch für den Berlintouristen ganz ausgezeichnet. Man erreicht viele andere Sehenswürdigkeiten in der Umgebung - z. B. die Synagoge in der Oranienburger Straße 28-30 - von hier aus sehr schnell. Nur ein paar Schritte entfernt, in den Hackeschen Höfen Rosenthaler Straße 40/41, findet man die auf Berlin-Literatur spezialisierte Buchhandlung und Galerie "artificium". Darüber hinaus sind der Platz vor dem S-Bahnhof Hackescher Markt und seine Umgebung sehr beliebt, die Cafes, Restaurants, Bars, Kinos und viele angenehme Dinge mehr bietet.


Das neue Gebäude des Aufbau-Verlages in der Neuen Promenade 6, direkt am S-Bahnhof Hackescher Markt. Die Fassade wurde in den 90er Jahren denkmalsgerecht saniert.

Der Verlag wurde am 16. August 1945 vom Dichter und späteren Kulturminister der DDR Johannes R. Becher im Auftrag des "Kulturbundes zur Demokratischen Erneuerung Deutschlands" gegründet. Hier erschien Anna Seghers' berühmter Roman "Das siebte Kreuz" und Theodor Pliviers "Stalingrad". Ernst Bloch, Lion Feuchtwanger, Egon Erwin Kisch, Hans Fallada, Victor Klemperer, Arnold Zweig und Georg Lukäcs gehörten zu den frühen Autoren des Verlages, der ein vergleichsweise offenes Programm hatte.


Das Signet des Verlages über dem Eingangstor.

Am 6. Dezember 1956 wurde der damalige Leiter Walter Janka in den Räumen des Verlages verhaftet. Bereits einige Tage vorher war der Philosophiedozent und Lektor des Verlages Wolfgang Harich inhaftiert worden. Außerdem verhaftete man: Manfred Hertig (Redaktionssekretär der "Deutschen Zeitschrift für Philosophie"), Heinz Zöger, Gustav Just (Redakteure der Kulturzeitschrift "Sonntag"), den Ökonom Bernhard Steinberger und den Rundfunkkommentator Richard Wolf. Alle zusammen wurden in zwei getrennten Prozessen vor dem Obersten Gericht der DDR im März und im Juli 1957 der konspirativen Verschwörung gegen die DDR angeklagt. Im Urteil gegen Walter Janka hieß es, dass die Gruppe eine Veränderung der gesetzlich geschützten gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR angestrebt habe. Es sei beabsichtigt gewesen, die Wirtschaftsplanung und die gesellschaftliche Struktur der Deutschen Demokratischen Republik zu ändern.

Eine von Harich ausgearbeitete politische Plattform über einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus, verschiedene Treffen Harichs mit Vertretern des SPD-Ostbüros in Westberlin, seine Vorsprachen beim sowjetischen Botschafter in Deutschland und bei Ulbricht selbst sowie eine Zusammenkunft der ganzen Gruppe am 21. November 1956 mit dem 1952 inhaftierten, im Juli 1956 aber wieder rehabilitierten ehemaligen Politbüromitglied Paul Merker, bei der auch über eine Absetzung Ulbrichts gesprochen worden war, bildeten den Gegenstand der Anklage. Harich galt der Staatssicherheit als Kopf, Janka als Organisator der vom Gericht unterstellten Verschwörung.

Strafrechtlich war die Anklage verfehlt, denn das Vorhaben war nicht konspirativ vorangetrieben worden. Die Angeklagten strebten eine öffentliche Auseinandersetzung in der SED und der DDR zur Überwindung des Stalinismus an und erwarteten (vergeblich) Unterstützung sogar von Kulturminister Johannes R. Becher. Jankas Verteidiger Friedrich Woiff forderte deshalb auch konsequent den Freispruch seines Mandanten.

Politisch allerdings konnte es keinen Zweifel daran geben, dass die Angeklagten eine Revision der Politik der SED angestrebt hatten. In der DDR wollten sie eine Reform mit und durch die SED; ein neuer 17. Juni sollte vermieden werden. Außenpolitisch war langfristig an eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands auf der Grundlage von Demokratie, Sozialismus und nationaler Souveränität gedacht, nach Zwangsvereinigung und Verfolgung von Sozialdemokraten in der DDR sollte ein neuer Anfang in der Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten und Gewerkschaftern der Bundesrepublik gemacht werden. Der Plan der Harich-Janka-Gruppe bildete deshalb, neben der Stalin-Note von 1952, die eine Vereinigung beider deutscher Staaten unter der Bedingung ihrer Neutralität vorschlug, nicht umsonst bis heute Material für Kontroversen über die "verpassten" Chancen deutscher Einheit vor dem Mauerfall 1989.


Von 1945 bis 1992 hatte der Aufbau-Verlag sein Domizil in der Französischen Straße 32. Hier wurde Verlagsleiter Walter Janka im Dezember 1956 an seinem Schreibtisch verhaftet.

Die von Harich verfasste Plattform der Gruppe enthielt folgende Punkte: "Umstellung der Produktion auf die Erhöhung des Lebensstandards nach dem Vorbild des neuen Kurses", "Gründung von Arbeiterräten, Gleichstellung und Förderung der mittelständischen Industrie". Außerdem wollte man eine "Auflösung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und die Entwicklung eines gesunden Klein- und Mittelbauerntums". Ohne alle Schnörkel wurde die "Wiederherstellung der Geistesfreiheit und der Autonomie der Universitäten, die Beendigung des Kirchenkampfes, eine Auflösung des Staatssicherheitsdienstes und die Garantierung der Rechtssicherheit" gefordert. Darüber hinaus verlangte man die Erweiterung des Parteienspektrums unter der Führung einer reformierten SED, Aufstellung von Wahllisten mit mehreren Kandidaten, die Wiederherstellung der Souveränität des Parlaments und eine durchgreifende Entbürokratisierung des gesamten Verwaltungsapparates.


Der Intendant des Deutschen Theaters, Dieter Mann, organisierte im Oktober 1989 eine öffentliche Lesung mit Walter Janka (links), die eine Debatte über die stalinistischen Praktiken der SED auslöste.

Eine reformierte SED sollte dann mit der westdeutschen SPD zusammenarbeiten: "Uns trennt von der SPD gegenwärtig zwar vieles (bürgerlich-demokratische Illusionen, Tendenzen zum Opportunismus usw.), aber vor allem trennt uns von der SPD der Stalinismus. Darum muss sich die SED vom Stalinismus trennen, bevor eine Zusammenarbeit mit der SPD wirklich ehrlich möglich werden kann." Außerdem wurde die "Entwicklung einer Außenpolitik" angestrebt, "die an dem Bündnis mit dem sozialistischen Lager bei Wahrung der völligen Unabhängigkeit und Gleichberechtigung festhält."

Den Hintergrund der Überlegungen der Gruppe bildete der Beginn des so genannten Tauwetters in Osteuropa. Nach Stalins Tod, im März 1953, und nach dem XX. Parteitag der KPdSU, im Februar 1956, auf dem Chruschtschow in einer Geheimrede viele Verbrechen der Stalin-Ära benannt hatte, war in ganz Osteuropa ein Prozess von Rehabilitierungen und politischer Liberalisierung zu erkennen. Der Text der Rede wurde in der Sowjetunion auf Parteiversammlungen nur laut vorgelesen, ist jedoch wenige Wochen später im Westen publiziert worden. Während in Polen am 20. Oktober 1956 der lange Jahre inhaftiert gewesene Nationalkommunist Gomulka zum Chef der Kommunistischen Partei gewählt wurde und am 23. Oktober desselben Jahres in Ungarn ein Aufstand gegen die bisherigen Machthaber begann, der von Truppen der Sowjetunion am 11. November brutal niedergeschlagen wurde, blieb es in der DDR nach den Erfahrungen des 17. Juni 1953 eher ruhig, zumal es einige Zugeständnisse der Führung, wie die Entlassung von 25 000 Häftlingen, gab. Lediglich Intellektuelle forderten offen eine Veränderung der Verhältnisse.

Dem Leiter des Aufbau-Verlages Walter Janka war es nicht ins Stammbuch geschrieben worden, dass er mit seiner Partei in Konflikt geraten sollte. Er war 1914 in Chemnitz in eine kommunistische Familie hineingeboren worden und sah sich bis fast bis zu seinem Tod 1994 als Kommunist. Weder seine Haft bei den Nationalsozialisten seit 1933 noch die Erfahrungen im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco, auch nicht das Exil in Mexiko und nicht die Erfahrung mit der SED-Diktatur seit 1945 ließen Janka mit seiner ursprünglichen kommunistischen Orientierung hadern.

Janka, der im Exil in Mexiko den legendären Verlag "El Libro Libre" aufgebaut und geleitet hatte, in dem weltberühmte Bücher von Heinrich Mann, Anna Seghers und Egon Erwin Kisch erschienen waren, beschreibt in seiner Autobiographie - "Schwierigkeiten mit der Wahrheit" (Hamburg 1989) -, dass es vor allem die Untersuchungshaft, der Prozess vor dem Obersten Gericht der DDR und die spätere Haft in Bautzen waren, die bei ihm tiefe Zweifel über den Sozialismus und die Richtigkeit seiner Entscheidungen auslösten. Janka wurde nicht nur aus der Partei geworfen, sondern man erkannte ihm zusätzlich auch seine Rente als Verfolgter des Naziregimes ab.

Der Kopf der Gruppe, Wolfgang Harich, bestätigte im Prozess - zur Überraschung Jankas - die Verschwörungsversion der Anklage in weiten Zügen und bedankte sich beim Ministerium für Staatssicherheit sogar ausdrücklich dafür, dass man ihn "gestoppt" habe. Er stellte sich im Prozess gegen Janka als Kronzeuge zur Verfügung. Dieser Auftritt ist ihm später nicht verziehen worden. Auch seine als Widerspruch zu Jankas Erinnerungen angelegten autobiographischen Bücher - "Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit" (Berlin 1993) und "Ahnenpass. Versuch einer Autobiographie" (Berlin 1999) - haben daran nichts geändert.

Janka kam 1960 aus dem Gefängnis in Bautzen und konnte nach Intervention von Freunden bis 1972 als Dramaturg bei der DEFA arbeiten. Die Existenz der DDR hielt er - als Alternative zur kapitalistischen Bundesrepublik - trotz allem für eine Notwendigkeit. Nur wollte er sie demokratisieren und die stalinistisch geprägten Strukturen überwinden. Davon zeugt auch seine Autobiographie, die im Sommer 1989 im Hamburger Rowohlt-Verlag erschien. Zwei Lesungen daraus, am 28. Oktober im Deutschen Theater und ihre Übertragung im Rundfunk der DDR, waren wesentliche Ereignisse des Umbruchs 1989 in der DDR. Eine öffentliche Debatte über die offen terroristische Phase der SED-Diktatur war damit unüberhörbar angestoßen.

Weiterführende Literatur:
Brigitte Hoeft (Hrsg.): Der Prozess gegen Walter Janka und andere. Eine Dokumentation. Reinbek 1990; Walter Janka: Spuren eines Lebens. Berlin 1991; Wolfgang Harich: Ahnenpass. Versuch einer Autobiographie. Berlin 1999; Carsten Wurm (Hg.): Jeden Tag ein Buch - 50 Jahre Aufbau Verlag. Berlin 1995.

Aufbau-Verlagsgruppe
Abt. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Neue Promenade 6
10178 Berlin
Tel.:28394-0
Fax:28394-100
E-Mail: presse@aufbau-verlag.de
Internet; www.aufbau-verlag.de
Verkehrsverbindung: Der Aufbau-Verlag hat seinen Sitz unmittelbar am S-Bahnhof Hackescher Markt.

artificium - Kunstbuch und Galerie
Rosenthaler Straße 40/41
(in den Hackeschen Höfen, Hof 2)
10178 Berlin
Tel.: 30 8722 80
Internet: www.artificium.com
Verkehrsverbindung: Die Hackeschen Höfe befinden sich nur einige Schritte entfernt vom S-Bahnhof Hackescher Markt.

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hagalil.com 27-06-04











 

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