Von Elisa Klapheck
Erschienen in: Die Welt,
16.04.2005
Das hebräische Wort "Isha" bedeutet "Frau". Mit Pauline Bebes
Enzyklopädie erhält die jüdische Gender-Debatte in Europa einen weiteren
Anstoß. Schon vor zehn Jahren ist der französischen Rabbinerin angeboten
worden, ein Buch über Frauen im Judentum zu schreiben. Das war
unmittelbar nach ihrer Ordination am liberalen Leo Baeck College in
London. Damals hat Bebe abgelehnt. Es wäre möglicherweise ein vollkommen
anderes Buch dabei herauskommen - ein apologetisches Plädoyer für Frauen
in einer bis dato so gut wie ausschließlichen Männerdomäne: dem
Rabbinat.
Ein Jahrzehnt später fühlt sich Bebe dem Auftrag jedoch gewachsen. Die
zehn dazwischen liegenden Jahre an Erfahrungen haben sich gelohnt. Bebes
Buch ist aus einer Souveränität heraus geschrieben, die Kampf,
Verteidigung oder gar Polemik nicht braucht. Statt dessen bietet Bebe
eine vielschichtige Analyse vom Bild und Status der Frau in der
biblischen, talmudischen und religionsgesetzlichen jüdischen Literatur.
Von "Abigail" bis "Zippora" behandelt die Autorin anhand von 103
Schlagworten Heldinnen in der Bibel und im Talmud ebenso wie thematische
Gebiete zu Rechtsfragen und zur Religionspraxis in Bezug auf jüdische
Frauen, das Ehe- und Erbrecht, die Bat Mitzwa, Familienplanung,
lesbische Beziehungen, Matrilinearität oder Rabbiner und Rabbinerinnen.
Bebe distanziert sich dabei von manchen unter Juden liebgewonnenen
Klischees: "So beruft man sich auf Texte, die das Lob der Frau singen,
sie als den besseren Menschen, geradezu als über den Mann erhaben
darstellen. Folglich, so wird argumentiert, werden Frauen von der
Erfüllung einer Vielzahl von Geboten selbstverständlich nur deshalb
ausgeschlossen, weil sie ihrer nicht bedürfen, oder auch, weil sie eine
naturgegebene Kenntnis des Göttlichen besitzen. Patriarchalisch geprägte
gesellschaftliche Vorurteile werden damit entweder durch Gottes
unabänderlichen Ratschluß oder durch biologische Unterschiede
gerechtfertigt. In diesem Buch versuche ich auch aufzuzeigen, daß diese
Apologetik eine neue Form von Sexismus ist - nur eine raffiniertere und
verfänglichere, da sie als Lob verkleidet und nicht als offene
Herabwürdigung daherkommt."
Die sexistischen Anklänge im biblischen und rabbinischen Schrifttum
nicht verdrängend, arbeitet Bebe dennoch auch die dem Judentum
innewohnender revolutionären Kräfte heraus, die von Frauen in eigene
Handlungsprinzipien umgewandelt wurden - etwa der gesetzlich
vorgeschriebene Ehevertrag, der Frau absichert, oder das Recht der Frau
auf Sexualität.
Bebes Nachschlagwerk fügt sich ausgezeichnet in ein post-feministisches
Verständnis, das richtig verstanden, nicht in alte Rollen zurückfällt,
sondern weitergeht - nicht mehr monolithisch auf "die Frau" fokussiert,
sondern eine Bandbreite verschiedener jüdischer Perspektiven auf
weibliche Erfahrungen aufzeigt.
In Frankreich gehört der Begriff "Enzyklopädie" zur Tradition der
Aufklärung. Wenngleich Bebes Schlagworte das Thema "Frau im Judentum"
nicht allumfassend abdecken, hat sich der Verlag entschieden, das Werk
als "Enzyklopädie" zu bezeichnen. "Die Enzyklopädisten beeinflußten
herausragende moralische, gesellschaftliche sowie politische
Entwicklungen. Sie waren diejenigen, die auf die Idee der Toleranz
aufbauend eine kritische Haltung gegenüber der Auffassung von Staat und
Religion einnahmen." Für die jüdische Gender-Debatte im europäischen
Raum ist "Isha" tatsächlich ein aufklärerischer Meilenstein und ein Muß
für alle Zeitgenossen, die sich vom Thema "Frau und Judentum" gern
herausfordern lassen.