Rabbiner Nehemias Anton Nobel:
Die jüdische Renaissance in Frankfurt am MainVon Gabriel Miller
Im Leben einer jeden Gemeinschaft, wie auch im Leben
eines Menschen, gibt es Vergangenheit und Zukunft. Die Gegenwart kann nicht
isoliert betrachtet werden, sie ist Teil der Vergangenheit wie auch der
Zukunft. Dies schien die jüdische Gemeinschaft in Deutschland der
Nachkriegszeit nicht verstehen zu können oder zu wollen.
Die Gründe hierfür sind verständlich und waren
möglicherweise auch berechtigt. Allein hier geht es um die Feststellung
eines Zustands. Der Spruch, man sitze auf gepackten Koffern, war vielleicht
scherzhaft oder ironisch gesagt, ist aber bis in unsere Tage bitterer Ernst
geblieben. Der letzte Wunsch des verstorbenen Ignaz Bubis, Vorsteher und
anerkannter Sprecher der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, in Israel
beerdigt zu werden, mag als Beweis herhalten.
Rachel Heuberger:
Rabbiner Nehemias Anton Nobel
Die jüdische Renaissance in Frankfurt am Main
Societäts-Verlag 2005
ISBN 3-7973-0926-0
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Allmählich, da schon die dritte Nachkriegsgeneration in
Deutschland lebt, gibt es Anzeichen dafür, dass die Juden sich hier
einleben. Ob man diese Entwicklung wohlwollend oder missbilligend
beobachtet, es liegt in der Natur des Menschen - auch wenn er kein Baum ist
-, da wo er lebt, Wurzeln zu schlagen.
Der Boden für diese Wurzeln ist die Vergangenheit, die
Verbindung zu den Juden, die vor dem Krieg in Deutschland gelebt haben, die
Träger ihrer Kultur waren und an der deutschen Kultur entscheidend
mitgewirkt haben und ein Teil derselben waren. Manche Juden in Deutschland
haben in ihren Familien diese Glieder, die sie mit der deutsch-jüdischen
Kultur verbinden. Andere wiederum bemühen sich, nach solchen Kulturträgern
in Wissenschaft und Kunst zu suchen, sie zu erkunden und in lebendiger
Präsentation den Interessierten darzustellen.
Solche Bemühungen sind, wenn man von denen um sehr
bekannte Persönlichkeiten (wie z.B. Einstein) absieht, leider wenn auch
verständlicher weise, selten zu beobachten. Eine dieser Ausnahmen bildet das
Buch über den Rabbiner Nobel von Rachel Heuberger. Was ist das Besondere an
diesem Rabbiner, der relativ jung, nur einundfünfzig Jahre alt, kurz nach
dem ersten Weltkrieg gestorben ist? Was kann ein heutiger Leser von diesem
Menschen lernen?
Ein frommer Jude, in bester konservativer Tradition
aufgewachsen wie so viele andere, wird uns hier in scheinbarer
Widersprüchlichkeit präsentiert - als orthodoxer Rabbiner in Deutschland und
überzeugter Zionist. Wie ist das möglich? Tatsächlich musste er zeitweise
seine zionistische Tätigkeit und Überzeugung verleugnen, um seinen Posten
bei der Gemeinde nicht zu verlieren. An seiner Überzeugung hielt er aber bis
zuletzt fest.
Aus heutiger Sicht, in einer jüdischen Welt, in der der
Zionismus eine Selbstverständlichkeit im Mainstream der Orthodoxie
darstellt, verwundern die Konflikte und die Schwierigkeiten, mit denen
Rabbiner Nobel sich konfrontiert sah. Liest man jedoch die einfühlsame
Beschreibung der Autorin, entsteht vor den Augen des Lesers ein Bild, das
zum Verständnis und zu eigenen Reflexionen anregen kann.
Erstaunlicher für heutige Leser ist die Tatsache, dass
Nobel, der orthodoxe Rabbiner und Zionist, ein deutscher Patriot war. In
Predigten und Schriften hat er sich für den Einsatz von jüdischen Männern im
ersten Weltkrieg eingesetzt. Er sah in Deutschland das Vaterland, für das
man mit dem Leben einstehen musste. Heute kaum verständlich und sicherlich
von vielen Lesern als Hurra-Patriotismus abgetan, sollte man die Haltung des
Rabbiners Nobel in seiner Komplexität und in der damaligen Situation zu
verstehen versuchen. Die klare und unparteiische Darstellung der Autorin
hilft dem Leser dabei, besonders da ihre sehr sachliche Beschreibung
gleichwohl Spannung erzeugt.
Wir haben es hier nicht mit einem Spinner zu tun, wie
mancher vielleicht geringschätzig meinen würde. Der orthodoxe Rabbiner war
ein rational denkender Mensch, in der Philosophie Kants gebildet. In
Religion und Vernunft sah er wie Hermann Cohen keine Gegensätze. Ein
Widersprüchlicher Mensch? Vielleicht, aber so dachten damals viele Juden.
Auch wenn die Welt sich in den letzten hundert Jahren so
schnell wie noch nie verändert hat, auch wenn es seit dem Tod Nobels
ungeheure Katastrophen gegeben hat, auch wenn es jetzt einen Judenstaat
gibt, die Wurzeln der deutschen Juden heutzutage sind die gleichen wie
diejenigen des Nehemias Anton Nobel und seiner jüdischen Zeitgenossen, es
sind die jüdische Tradition und die jüdisch-deutsche Geschichte.
hagalil.com
04-03-08 |