Gunnar Schubert:
Die kollektive Unschuld
Wie der Dresden-Schwindel zum nationalen Opfermythos wurde
Konkret Verlag Hamburg 2006
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Nicht nur eine Propagandalüge von Goebbels überdauert Jahrzehnte:
The Great Dresden Swindle
Von Olaf Meyer
Dieses Werk hat Gunnar Schubert, durchaus bekannt als
KONKRET-Autor, lange umgetrieben. Es ist dem Foliant anzumerken, positiv
wohlgemerkt. Denn "was ist zu Dresden nicht schon alles geklöppelt,
gebatikt und gelyrikt worden"?, fragt Schubert unter der gewagten
Kapitel-Überschrift "Der poetische Bombenholocaust". Und nun - so im
Geleit der Publikation - "noch ein Buch über die Bombardierung im
Februar 1945 auf Dresden? Noch ein Plädoyer für oder wider die Befreiung
der Welt von den Deutschen? Noch eine Berechnung der Totenzahlen, der
Bombenabwurfmenge, des unermeßlichen Leids derer, die es nicht gewesen
sind?".
Nach der Lektüre von Schuberts Buch lautet die Antwort: Es ist keineswegs
lediglich 'noch ein Buch' zu Dresden, ein beliebiges schon gar nicht.
Denn der Autor nimmt sich detailliert und kenntnisreich vieler der
zahlreichen Legenden um die Bombardierung Dresdens an - und widerlegt
sie mit dem ihm eigenen schriftstellerischen System Stück um Stück.
Letztendlich lässt Schubert nicht viel übrig von den Mythen deutscher
Opfer der mittlerweile wieder gern so betitelten "alliierten
Terrorangriffe". Übrig bleiben allerdings historische Tatsachen, die
einige so vielleicht nicht gern zur Kenntnis nehmen werden wollen.
Bedauerlicherweise sind dem Buch indes weder ein Personen-, noch ein
Sachregister ergänzend beigefügt worden.
Über 22 Kapitel, untersetzt mit 180 Literaturverweisen und Anmerkungen,
spannt Schubert seinen mitunter sprachlich brillanten historischen
Bogen. Wobei garantiert nicht alles thematisch Relevante letztlich wohl
auch einbezogen werden konnte. Beginnend mit den "Lügen der Zeitzeugen"
führt der Autor dabei die Leserin und den Leser über die "Lüge von der
unschuldigen Stadt" hin zu den "Lügen der Aufrechner" und lässt dabei
die "Tieffliegerlüge" nicht rechts liegen. Über die "Phosphorlüge", die
"Atombombenlüge", die "Lüge von der Kunst- und Kulturstadt", die "Lüge
von den Mitwissern" sowie die "Totalitarismuslüge" findet der Verfasser
schließlich "kein gutes Ende" im "Tal der Erbarmungslosen".
Denn, so Schubert an dieser Stelle: "Wer versucht die Einzelteile des
Great Dresden Swindle zu sortieren, gerät in einen tiefen Sumpf von
Hörensagen, Behauptungen, Oral History und der Ventilierung dieses
schier undurchdringlichen Lügenkonstrukts durch Negationisten,
Revisionisten und staatsideologische Propaganda. (...) Inferno, Hölle,
der Tod von Dresden. So schreit und heult eine Volksgemeinschaft,
zusammengehalten aus der Abwehr von Realität und Argument. Denn es
mangelt ihnen, den einzigen, den wahren Opfern, nicht nur an
Schamgefühl, sondern auch an Schuldverständnis (...) Die
Bombardierungen, das kann nicht oft genug gesagt werden, waren nicht
Ursache, sondern lediglich die vorhersehbare Wirkung, dessen, was die
Deutschen wissentlich und willentlich verbrochen hatten. Mit der von der
Nazi-Propaganda in die Welt gesetzten Lüge von der 'Sinnlosigkeit der
Angriffe' verhöhnen Leute wie der Ministerpräsident Georg Milbradt oder
der Negationist Andreas Brie die wenigen, die tatsächlich unschuldig
starben".
Der Autor betreibt, dies sei keineswegs verschwiegen, in seinem Werk
darüber hinaus unter anderem auch einen kleinen Exkurs "Was vom
Antifaschismus in der DDR übrigblieb" und betrachtet den gesamtdeutschen
13. Februar in einer "Chronologie von der Wiedervereinigung bis heute" -
so zusammengefasst von aufmerksamen Beobachtern Dresdner Ereignisse
allerdings für inhaltlich noch ergänzenswert gehalten. Die Lektorin
Schuberts, Marit Hofmann - von ihm ironisch als "langjährige
Führungsoffizierin" vorgestellt - steuert dem Werk einen unbedingt nicht
zu vernachlässigenden Gastbeitrag "Der Tod ist ein Meister aus
Dunkeldeutschland - Denkmalpflege auf sächsisch" bei.
"Weder will der Autor eine neue religiöse Sonderbewegung initiieren, noch
hofft er, den Unbelehrbaren, den Menschenfeinden innerhalb und außerhalb
der Stadt, zu Einsichten zu verhelfen. Es ist in seiner
Unvollständigkeit der Versuch, 'Dresden' aus der isolationistischen
Sicht herauszuholen und für ein wenig Gedankenfreiheit zu sorgen", so
das postulierte Credo des Autoren. Bei diesem durchaus als gelungen zu
resümierenden Versuch überlässt es Schubert zudem auch keinen
Mutmaßungen, seine eigenen politischen Ambitionen betreffend: "Erst wenn
man der Lüge von der unschuldigen Stadt ein Ende bereitet, wird man
denen gerecht, die wirklich unschuldig umkamen: Verfolgte des
Naziregimes, Kriegsgefangene, Kinder".
Gunnar Schubert lebt schon viele Jahre in besagter Stadt an der Elbe -
mithin "in der weltlichen Vorhölle, dem Sendegebiet des MDR" - und
beweist sich mit diesem Werk als profunder Kenner der 'Dresden'-Materie.
Sein Buch widmet er "denen, die gegen Deutschland und diese Deutschen,
die es ihnen nie vergessen werden, gekämpft haben". Eine
Veröffentlichung, die weit über Dresden hinaus berechtigte
Aufmerksamkeit erregen dürfte.
© Diese Rezension erschien zuerst bei
IDGR
hagalil.com
30-04-06 |