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Peter Conzen:
Fanatismus.
Psychoanalyse eines unheimlichen Phänomens

Kohlhammer Verlag 2005
Euro 27,00

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"Echte Propheten haben manchmal, falsche Propheten haben immer fanatische Anhänger."
Marie Ebner-Eschenbach

Fanatismus:
Psychoanalyse eines unheimlichen Phänomens

Rezension von Karl Pfeifer

Sein Unbehagen gegenüber allen Formen ideologisiert-doktrinären Denkens wurzelt – so der  deutsche Psychologe Peter Conzen – in der Kernfrage seiner Generation: "Wie war es möglich, dass eine europäische Kulturnation", das Land in das er hineingeboren wurde, "sich von dem absurden ideologischen Wahn des Nationalsozialismus derart anstecken und in unfassbare Verbrechen verstricken lassen konnte?"

Diese Frage veranlasste ihn zu versuchen, auf 300 Seiten eine Antwort zu finden. Conzen erklärt Fanatismus vom Standpunkt des Psychoanalytikers, der aber nicht versucht glauben zu machen, die Welt könne allein durch Gespräche und verstehenden Dialog geheilt werden. "Das Verhalten der Fanatiker und menschenverachtender Diktatoren ist vollkommen unentschuldbar. Sie hören nicht auf Friedensappelle, und eine gänzlich pazifistische Haltung ihnen gegenüber wäre naiv. Mehr denn je bedarf es eines entschlossenen Vorgehens der Völkergemeinschaft gegen Extremismus und Willkürherrschaft..."

Es gibt zwar eine Menge aktueller Arbeiten zum Fundamentalismus und Terrorismus, jedoch wenige, die sich mit dem  Phänomen an sich befassen. Der Autor hat den Versuch gewagt und versucht dieses Phänomen differenziert zu erklären.

Er weist auf die Denker der Aufklärung hin, die nach den Religionskriegen sich gegen Fanatismus und für Toleranz einsetzten. Tatsächlich finden wir Antworten auf die Probleme des Fanatismus bereits bei Pierre Bayle und bei Voltaire, der in seinem Philosophischem Wörterbuch dem Thema einen Artikel widmet. Mit scharfen Worten gedachte er der Kreuzritter: "Ganz Europa zieht nach Asien, und sein Weg ist getränkt vom Blut der Juden.." und definierte: "Heute versteht man unter Fanatismus einen finsteren und grausamen religiösen Wahn, eine Geisteskrankheit, die man sich zuzieht wie die Blattern. Sie wird weniger durch Bücher als durch Versammlungen und Reden verbreitet. Beim Lesen ereifert man sich selten und kann einen kühlen Kopf bewahren. Aber wenn ein phantasiebegabter Hitzkopf auf einen wenig phantasievollen Menschen einredet, glühen seine Augen, und diese Glut steckt an; sein Tonfall, seine Gesten überwältigen die Zuhörer. Gott blickt auf euch, ruft er aus, gebt alles hin, was irdisch ist, führe des Herrn Kriege! Und das geschieht denn auch. Der Fanatismus verhält sich zum Aberglauben wie der Wahn zum Fieber oder die Raserei zum Zorn.

Wer in Ekstase verfällt und Visionen hat, wer Träume für Wirklichkeit nimmt und seine Einbildungen für Prophezeiungen, ist ein angehender Fanatiker, von dem viel zu erwarten ist: Bald wird er aus Liebe zu Gott zum Mörder werden können."

Voltaires Diktum ist noch heute gültig: "Der Fanatismus macht sie blind, sie glauben, recht zu tun. Alle Fanatiker sind Schurken mit gutem Gewissen und morden in gutem Glauben an eine gute Sache."

Und er stellt noch ein Merkmal fest, an dem Fanatiker erkennbar sind: "Wenn man diese Grundsätze gelten lässt, denken sie [die Fanatiker] ganz konsequent. Die Anhänger aller möglichen Sekten wettern gegeneinander mit den raffiniertesten Argumenten; ihre Folgerungen klingen plausibel, aber an ihren Prinzipien üben sie niemals Kritik."

Der Romanist Victor Klemperer widmete dem "Fanatismus" ein Kapitel in seinem Buch LTI, der ersten profunden Kritik der Sprache während der nationalsozialistischen Herrschaft, in dem er zeigte, wie die Nazis "fanatisch" als positives Wertwort gebrauchten. Goebbels dem "sprachlich führenden Kopf des Dritten Reiches" blieb es vorbehalten, "eine Steigerung über das nicht mehr zu Steigernde hinaus zu versuchen. Im "Reich" vom 13. November 1944 schrieb er, die Lage sei "nur durch einen wilden Fanatismus" zur retten. Als sei die Wildheit nicht der notwendige Zustand des Fanatikers, als könne es einen zahmen Fanatismus geben."

Klemperer folgert aus der Tatsache, dass nach dem alliierten Sieg über den Nationalsozialismus das Wort "fanatisch" aus der Sprache verschwunden ist: "Daraus darf man mit Sicherheit schließen, daß eben doch im Volksbewusstsein oder – unterbewußtsein der wahre Sachverhalt die zwölf Jahre lebendig geblieben ist: die nämlich, daß ein umnebelter, der Krankheit und dem Verbrechen gleich nahestehender Geisteszustand durch zwölf Jahre als höchste Tugend betrachtet wurde."

Conzen behandelt im ersten Teil seiner Arbeit Wesen und Erscheinungsformen des Fanatismus, vor allem die Verquickung von Einzel-, Gruppen- und Massenfanatismus, im zweiten Teil entwickelt er eine Theorie vom Wachstum eines radikalen Potentials in den Stadien des Lebenszyklus, wie er sich unter besonderen biographischen und historischen Bedingungen in fanatischen Haltungen verhärten kann. Im letzten Teil seines Buches geht er auf Adolf Hitler und den Nationalsozialismus, die Geschichte der Roten-Armee-Fraktion (RAF) und die Welt zu Beginn des neuen Jahrtausends ein mit ihren Strömungen von Fundamentalismus und Terrorismus. In diesem Teil seines Buches scheut er leider nicht davor zurück oft gehörte Gemeinplätze als Rezepte vorzuschlagen: "Ein bloßes Bekämpfen der Symptome reicht nicht aus. Der Sumpf des Terrorismus lässt sich nur dann allmählich trockenlegen, wenn man dessen Wurzeln, Armut, Ungerechtigkeit, Unterprivilegiertheit angeht." Freilich bemerkt er auch: "Aber selbst dann bleibt ein Stück unberechenbarer Hassbereitschaft in den Tiefen der menschlichen Psyche."

Gleich darauf widerspricht er der abgedroschenen Banalität, dass der islamistische Terror sich gegen Armut und Unterprivilegiertheit richtet, und schildert, dass die Täter des 11. September aus wohlhabenden Familien kamen. Er stützt sich bei der Schilderung des Islamismus in der Regel auf wohlbekannte Quellen. Insbesondere wenn er über den israelisch-palästinensischen Konflikt schreibt, merkt man, dass seiner Analyse Eigenständigkeit mangelt. Zum Beispiel, wenn er die Gründung Israels so beschreibt: "Vielleicht wären die Palästinenser mit der von der UNO vorgeschlagenen Zwei-Staaten-Lösung am besten gefahren. Aber man sah nicht ein, dass man für das von den Europäern zu verantwortende Unrecht des Holocausts einen Preis zahlen sollte."

Dies sagt ja auch der iranische Präsident, nur wird das durch oftmalige Wiederholung nicht wahr.

Israel ist nicht auf Kosten der Araber entstanden. Das Gebiet, das von der UNO für einen jüdischen Staat vorgesehen war, hatte eine jüdische Mehrheit, die ebenfalls ein Recht auf nationale Selbstbestimmung hatte. Das Land gehörte also zwei Völker.

Conzen schreibt weiter: "Die Ablehnung des Teilungsplanes von 1947 führte zum ersten Palästina-Krieg." Hier wäre es doch wichtig gewesen, anzumerken, wer wen angegriffen hat. Immerhin begingen fünf arabische Armeen eine Aggression gegen den jüdischen Staat.

Wenn Conzen glaubt die täglichen Demütigungen an den Abriegelungen – die ja nicht die Regel sondern die Ausnahme sind – schaukeln den Selbstmordterrorismus auf, dann wiederholt er nur die Stehsätze ahnungsloser Journalisten und Politiker, die nicht erklären, warum dann dieser Terror sich fast ausschließlich gegen Zivilisten innerhalb der Waffenstillstandslinien von 1949  richtet. Diese wirklichen oder angeblichen Demütigungen erklären auch nicht, weshalb zwei britische Muslime, die noch nie zuvor in Israel waren, Selbstmordattentate in Israel ausübten bzw. ein solches versuchten.

Die grundlegende Demütigung, die den Arabern (bzw. Muslimen) widerfahren ist, geschah in den Kriegen, in denen ein paar Millionen Juden standgehalten und gesiegt haben. Jahrhunderte waren Juden in der arabischen Welt geduldete dhimmis, zweitklassige Bürger. Die Tatsache, dass sie auf dem Boden, in dem zuvor nie ein anderer Staat als ein jüdischer existierte, den Staat Israel errichtet haben, betrachten die allermeisten Araber (und viele Muslime) als ein geschichtliches Unrecht, das nur durch die physische Liquidierung des Staates und/oder von Juden beseitigt werden kann. Wer die Menge der kruden antisemitischen Büchern und Fernsehsendungen auf dem Gebiet der palästinensischen Autonomiebehörde und in der arabischen Welt nicht zur Kenntnis nimmt, der sieht nicht die mörderische Absicht dahinter.

Unbedingte Zustimmung zu folgenden Sätzen aus dem Nachwort des Autors: "So vielfältig und unberechenbar das Fanatische in Menschen und Gemeinschaften auflodert, die Mechanismen der Vorurteilsbildung, der Diskriminierung und Verfolgung sind quer durch alle Epochen und Kulturen immer wieder erschreckend ähnlich." Und "Wer heute noch bewusst Feindbilder schürt, den Aberglauben predigt, muss wissen, was er im Ernstfall anrichtet."

Gerade weil ein hoher Prozentsatz der deutschsprachigen Bevölkerung glaubt, dass Israel mit den Palästinensern im Prinzip dasselbe tut wie Nationalsozialisten mit den Juden, darf man den mörderischen Antisemitismus, wie er heute in der arabischen Welt verbreitet ist, nicht ignorieren, nicht herunterspielen oder relativieren. Dieser dürfte das stärkste Motiv der Selbstmordattentäter im Heiligen Land sein.

hagalil.com 15-01-06











 

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