Anti-Kriegsbuch im besten Sinne des Wortes:
"Wenn es ein Paradies gibt"
Von Holger Raak und Jörg Fischer-Aharon
"...Wieso kennst Du dieses Spiel nicht? Es kann doch nicht sein, dass
du es nicht kennst. Es heißt 'Er wird nicht mehr...', und das spielen alle,
wenn ihnen ein Kamerad getötet wird. Man wirft seinen Namen in die Runde,
und jeder, der dabei ist, muss den Satz vollenden, muss sagen, was er nicht
mehr wird. Das geht manchmal über Stunden so. ... Beispiel gefällig?
Jonathan wird seinen kleinen Bruder nicht mehr ins Kino mitnehmen.
Jonathan wird den haPo'el nicht mehr den Pokal holen sehen. Jonathan wird
die neue Scheibe von Zion Golan nicht mehr hören. Er wird Shawen nicht mehr
sehen, wie der an der hässlichsten Nutte in ganz Naharija hängenbleibt, und
das, nachdem er über uns alle gelacht hat, der kleine Mongoloide. Er wird
nicht wissen, wie beschissen es ist, wenn er dir nicht steht. Wird nicht
wissen, wie gut es tut, wenn deine Mutter stolz auf dich ist, weil du an der
Uni angenommen wirst. ..."
Ron Leshem:
Wenn es ein Paradies gibt
Rowohlt Berlin 2008,
Euro 19,90
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Den
Film zum Buch
gibt's übrigens hier, über haGalil:
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Ron Leshem, ein 1976 geborener israelischer Journalist, hat mit "Wenn es ein
Paradies gibt" einen Roman vorgelegt, der auf den Berichten von israelischen
Soldaten basiert, die u.a. im Südlibanon im Einsatz waren, um die ständigen
Angriffe der Hizbullah-Terroristen auf die Orte und ihre Bewohner in
Nordisrael abzuwehren. Dass es sich hierbei nicht um einen schöngeistigen
Roman handelt, sondern um einen authentischen Einblick in das Leben und in
die Herzen und Gefühle der jungen Soldaten, kann man schon an der unverblümt
und originalgetreuen Sprache erkennen.
1999, wenige Monate vor dem Abzug der israelischen Verteidigungsarmee aus
dem Südlibanon muss der junge Offizier Eres mit einer Gruppe Soldaten in die
Festung Beaufort, mitten in eine Gegend, die von der Hizbullah kontrolliert
wird und von der aus sie unentwegt mit Granaten und Raketen angreifen. Die
gerade volljährigen Soldaten sind hin- und hergerissen zwischen ihren teils
romantisch-verklärten Phantasien und der harten Realität eines brutalen
Krieges. Sie lernen, sich aufeinander zu verlassen und auch aufeinander
aufzupassen – auch wenn es rau, mitunter ruppig zugeht. Sie müssen lernen,
damit umzugehen, dass der Kamerad, mit dem sie am Abend vielleicht noch über
Zukunftspläne nach dem Einsatz oder über die Probleme mit der Freundin
geredet haben, am nächsten Tag in einem Hinterhalt von einer Mine zerfetzt
wird. Sie müssen damit leben, sich wochenlang nicht waschen zu können, weil
die Terroristen wieder die Nachschubwege unter Dauerbeschuss nehmen und
vermint haben und deshalb die LKW´s mit den Wassertanks nicht zum Stützpunkt
durchkommen.
"Beaufort, das hieß, deine Mutter am Telefon anzulügen, damit sie sich keine
Sorgen machte. Du hast immer gesagt: 'Alles paletti, ich hab gerade geduscht
und geh jetzt schlafen.' Dabei hattest du genaugenommen seit 21 Tagen nicht
geduscht, weil das Wasser aus den Tanks aufgebraucht war, und in einer
Minute würdest du antreten zum Wachdienst. Und nicht bloß einfach so Wache
schieben, sondern rauf auf den fiesesten Posten des ganzen Stützpunkts."
Ron Leshem vermittelt sehr eindringlich nicht nur den Alltag und die
Gefahren, sondern eben auch die Gefühle und Stimmungen der Soldaten. Ihre
Angst, ihre Verzweiflung oder auch ihre Wut. Ihre Zweifel, etwa wenn sie
sich fragen, ob der Einsatz wirklich nötig ist, ob es einen Sinn hat, all
die Gefahren, die Entbehrungen, der Schmerz angesichts des grausamen Todes
eines Kameraden. Aber dann erinnern sie sich etwa an das kleine Kind, das
auf seinem Dreirad auf einem Hof in einer der Gemeinden im Norden Israels
fährt und vergnügt lacht – weil keine Granaten und Raketen der Terroristen
mehr in die Wohnhäuser, die Schulen oder Kindergärten einschlagen. Auch wenn
sie in den Nachrichten und bei den selten Heimaturlauben die Diskussionen in
Israel über die Sinnhaftigkeit des Einsatzes mitbekommen, so stehen sie doch
hinter ihrem Einsatz.
Und hier sieht der Autor auch einen Teil der gesellschaftlichen Fragen, die
nicht nur anhand des damaligen Libanon-Einsatzes aufgeworfen wurden und die
das Gefühl einer Spaltung der israelischen Gesellschaft vermittelten, so
jedenfalls ist das Empfinden von Ron Leshem. Die Kinder aus gutem Haus
verbringen ihre Dienstzeit nicht selten als Nachrichtendienstler oder
Netzwerktechniker weit weg von allen Kämpfen. Wenn sie sich nicht ganz vor
dem Militärdienst drücken, wie das zwischenzeitlich bis zu einem Drittel der
jungen Israelis tun. Für Ron Leshem ist die zentrale Frage eine
gesellschaftliche: Wen schicken wir los, um für uns zu sterben? Eres, der
Offizier und Hauptfigur des Buches, fühlt sich jedenfalls ziemlich
verlassen, als er den Befehl zum Abzug aus Beaufort erhält.
Das Buch gewährt dem Leser aber auch einen Einblick in die Methoden der
Terroristen, wie sie beispielsweise bei einem "Marsch" auf den Stützpunkt
Kinder, Frauen, Behinderte vorschicken um sich hinter ihnen buchstäblich zu
verschanzen und sie als lebende Schutzschilder zu missbrauchen. Ähnlich die
Methode der Terroristen der Hamas, mit der Eres nach seinem Einsatz im
Libanon dann an der Grenze zum Gazastreifen zu tun hat. Und hier wird auch
ein Schlaglicht geworfen, wie sich ein Teil insbesondere der europäischen
Medien nur zu gerne von der AgitProp-Abteilung der Terroristen
instrumentalisieren lässt: "... Samba, so heißt unser Militärstützpunkt an
der Kreuzung, bekannt auch unter der Bezeichnung Schutzschild 3. Ein dicker
Stacheldrahtzaun, rostige Wachtürme und eine Toilettenbaracke. Manchmal
kommen Laster der palästinensischen Polizei vorbei, laden vor unserem Tor
Dutzende von Kindern ab und dazu einen hübschen Vorrat an Pflastersteinen.
Gern nehmen die hiesigen Krankenwagen Jugendliche mit Brandbomben ein Stück
mit, und am Ende treffen auch noch die etwas älteren PLO-Aktivisten ein,
bewaffnet. Lassen es krachen. An harten Tagen versammeln sich vor Samba
mindestens eintausend Leutchen. Und drinnen nur ein paar Soldaten, zwanzig
plus minus, umzingelt, ..... Die Papos – so nennen wir die palästinensischen
Polizisten – fuchteln mit Seitenschneidern herum, schreien uns zu: 'Wartet
nur, wartet!', als wären sie drauf und dran, den Zaun durchzutrennen. .....
Am Horizont, auf der Uferstraße von Gaza, kriecht eine Fahrzeugkolonne
dahin. Dutzende von Lastwagen, Autos und Eselskarren, Fahnen der Hamas und
Palästinas, islamische Lieder aus Lautsprechern, arabische Großmütter mit
Megaphon. .... Plötzlich zwei Maschinengewehrsalven. Ein Aktivist des Tansim
feuert aus Richtung Osten. Wir laden durch, und ein ganzes Regiment von
ausländischen Fotografen und Kameramännern dokumentiert: Israelische
Soldaten mit geladener Waffe gegen Kinder, die nur gegen die unbarmherzige
Besatzung protestieren. Das kommt schlecht rüber. Eine Trage des Roten
Kreuzes, ein verwundeter Verletzter mit Zigarette im Mund, nimmt noch
schnell einen Zug, und drum herum kreischende Frauen, jaulend. ...."
Ron Leshem hat ein tatsächliches Anti-Kriegsbuch geschaffen, weil es
realistisch und authentisch ist, nicht wachsweich und gefühlsdusselnd. Es
ist gut und wichtig, dass sein Buch den Weg nach Deutschland gefunden hat
und von einem so renommierten Verlag, wie eben der Rowohlt-Verlag einer ist,
herausgegeben wurde.
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hagalil.com 10-02-08 |