Im Zentrum eines alten Rituals:
Die Klarinette in der Klezmer-Musik
Von Joel Rubin
Seit der Entstehung der zeitgenössischen
Klezmer-Bewegung in den USA Mitte der 70er Jahre ist der Klang der
Klezmer-Klarinette sinnbildlich geworden für jüdische Instrumentalmusik,
vielfach kennzeichnet er jüdische Musiktraditionen insgesamt. Dies trifft
insbesondere auf die Klezmer-Rezeption in Deutschland zu, wo der israelische
Klarinettist Giora Feidman (*1937) seit seinen ersten Bühnenauftritten in
Ghetto (1984) als Verkörperung von 'jüdischer Musik' und als Quintessenz
'des Juden' gilt. Im deutschen Fernsehen ist es "der Klang der
Klezmer-Klarinette, der sowohl Bilder von Auschwitz-Opfern begleitet als
auch Porträts von so unterschiedlichen jüdischen Persönlichkeiten wie die
Wissenschaftler der Frankfurter Schule, ... des Malers Chaim Soutine ... und
sogar Paul Spiegel ... - um sie als Juden zu kennzeichnen".(1)
Die Geschichte der Klarinette in der Klezmer-Musik begann
jedoch viel früher. Klezmer-Musik selbst hat ihre Wurzeln in den
musikalischen Traditionen der Juden im deutschen Mittelalter und gelangte
seit Mitte des 14. Jahrhunderts mit den Fluchtbewegungen von den
Siedlungsgebieten in Ashkenaz (2) nach Osteuropa,
wo sich die instrumentale Hochzeits- und Festmusik im Verlauf der
Jahrhunderte zu einer eigenständigen Form entwickelte. Mit den jüdischen
Auswanderungswellen von Osteuropa in die USA während der Zeit von 1881 bis
1924 entstand eine moderne Klezmer-Tradition in den urbanen Zentren
Nordamerikas.

Szpilman-Kapelye, Ostrowiec, Polen, 1887
Das jiddische Wort für Musiker, Klezmer (Plural:
Klezmorim), entstand aus dem biblischen Hebräisch und bezeichnete
ursprünglich Musikinstrumente. Heutzutage wird der Begriff Klezmer-Musik zur
Umschreibung des Repertoires und Stils der von Klezmorim aufgeführten Musik
verwendet. Klezmorim waren historisch Mitglieder einer professionellen
Gruppe urbaner FamilienEnsembles (Kapelyes), die eine spezifisch
religiös-rituelle Funktion im osteuropäisch-jüdischen Lebenszyklus ausübten.
Shloimke Beckerman (1883-1974), Naftule Brandwein (1884-1963) und Dave
Tarras (geb. Tarrasiuk, 1895-1989), die drei bekanntesten
Klezmer-Klarinettisten der Immigranten-Ära in New York, wuchsen in
Klezmer-Familien auf: Brandwein stammte aus Ostgalizien, und Beckerman und
Tarras kamen aus der Ukraine. Klezmorim traten vor allem bei der
traditionellen Hochzeit auf, dem bedeutendsten Ereignis im jüdischen Leben,
und strukturierten mit ihrer Musik eine Abfolge von Ritualen, Zeremonien und
Festlichkeiten, die bis zu einem Monat dauern konnten.
Die Klarinette hielt erst spät ihren Einzug in das
umfangreiche Arsenal der von Klezmorim verwendeten Instrumente: Der Vater
des berühmten Flötisten und Xylophonisten Michael Joseph Gusikow (1806-1837)
soll Klarinette gespielt haben; der Eintritt des Instruments in die
osteuropäischen Kapelyes wäre demnach um die Wende zum 19. Jahrhundert
anzusetzen, und von da an begann es sich zunehmender Beliebtheit zu
erfreuen. Zuvor war die Geige das vorherrschende Melodieinstrument gewesen,
neben Tsimbi (Hackbrett) und der hölzernen Querflöte. Die von
osteuropäischen Klezmorim und der ersten Einwanderergeneration in der Neuen
Welt verwendeten Klarinetten basierten auf dem Müller- oder deutschen
System, das erst von Oskar Oehler (1858-1936) systematisiert wurde. Noch bis
in das 20. Jahrhundert hinein wurden deutsche Klarinetten mit
unterschiedlichen Kombinationen von Klappen und Ringen verwendet.
In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts bestanden die
Kapelyes aus drei bis fünf Instrumenten in unterschiedlicher Zusammensetzung
von Streich-, Blas- und Schlaginstrumenten, häufig mit Klarinette. Um 1870
war die Größe einer typischen Kapelye bereits auf sieben bis zwölf Musiker
angewachsen. Gewöhnlich enthielt sie Geigen, Bratsche, Cello, Kontrabass,
ein oder zwei Klarinetten, hölzerne Flöte, ein oder zwei Trompeten oder
Kornette, Posaunen und andere tiefe Blechblasinstrumente, türkische
Basstrommel mit Becken und Wirbeltrommel. Laut Aussage von Dave Tarras zog
man in der Ukraine bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Klarinette der
Geige vor, weil diese beim Spielen von Tanzmusik besser zu vernehmen war:
"Ein guter Geiger vermag alles zu spielen, ... aber [wenn] es nicht gehört
wird, geht es verloren."(3)
Obwohl die Leitung der Kapelye gewöhnlich in den Händen
des ersten Geigers lag, gab es auch Klarinettisten wie Moyshe-Abe, der in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Berditschew ein Orchester von
dreizehn Musikern anführte. Auch Kalmen-Leyb Stutschewsky, der Vater des
Cellisten Joachim Stutschewsky (1891-1982), war Klarinettist und leitete das
Familienorchester im Poltawa-Distrikt in der Ukraine. In der bessarabischen
Stadt Orgejew hatte sich der Klarinettist Nehamiah Kavadlo mit seinem
kunstvollen Spiel im Koloraturstil einen Namen gemacht. Von Kavadlo hieß es,
er habe nie eine Melodie in ihrer einfachen Version gespielt, sondern 'alles
herumgedreht' ('er dreyt a Nign'). Im späten 19. Jahrhundert besaßen die
meisten Klezmorim bereits Notenkenntnisse, obwohl die Klezmer-Musik als eine
mündlich überlieferte Tradition fortbestand. "Wir spielten jüdische
Hochzeiten. Wir brauchten keine Noten", so Tarras, der im Alter von neun
Jahren das Notenlesen erlernte, 1988 im Interview im Film A Jumpin' Night
in the Garden of Eden. Von Brandwein dagegen hieß es, er habe gänzlich
nach Gehör gespielt.
Die Mehrzahl der aus Osteuropa in die USA eingewanderten
Juden ließ sich zunächst in New York City nieder, vor allem in den
überfüllten Vierteln der Lower East Side von Manhattan. Im vielfältigen
musikalischen Leben spielten die Klezmorim eine geringe, aber unverzichtbare
Rolle, vor allem in den 'Landsmanshaftn', einer neu entstandenen Form
kommunaler Organisation, die entscheidend zur Entwicklung der amerikanischen
Klezmer-Musik beitragen sollte.(4) Bereits Ende
der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts boten zusätzlich zahllose Weinkeller,
Cafes, Restaurants, Tanzhallen und die jiddischen Theater an der East Side
den Einwanderern Zusammenhalt und Zerstreuung. Doch die schon im 19. und
frühen 20. Jahrhundert in Osteuropa begonnene Hinwendung der Klezmorim zum
musikalischen 'Mainstream' beschleunigte sich in der Neuen Welt: Den
Einwanderermusikern mit überdurchschnittlicher Ausbildung boten sich dort
Karrieren als klassische Solisten oder Orchestermitglieder, und ein
leidlicher Notenleser ohne nennenswerte Ausbildung vermochte immer noch als
Begleiter von Stummfilmen, Mitglied in einer Hoteltanzkapelle, eines
Theater- oder Vaudeville-Orchesters oder aber als Instrumentalist für
Begleitmusik zu Kinofilmen ein Auskommen zu finden: So konnte beispielsweise
Shloimke Beckerman mit seinen Notenkenntnissen und ausgeprägten technischen
Fähigkeiten, die ihm das Transponieren und Improvisieren ermöglichten, nach
seiner Ankunft um 1910 in New York als Vollzeitmusiker arbeiten - und damit
die Klezmer-Musik als Nebenberuf betreiben. Diejenigen Musiker aber, deren
Ausbildung eine solche musikalische Assimilation nicht zuließ, verblieben im
Bereich der jiddischen und anderer verwandter europäischer ethnischer
Musiktraditionen.
An der Spitze dieser Musikhierarchie stand Tarras, der von
seinen Kollegen als exzellenter Techniker und Notenleser geschätzt wurde.
Jedoch erwiesen sich weder seine Kenntnisse der amerikanischen Popularmusik
noch seine Fähigkeiten auf dem beliebten Saxophon als überzeugend, so dass
seine Karriere auf das jüdische Immigrantenmilieu und andere europäische
ethnische Gruppen beschränkt blieb, wo er auf Hochzeiten und Festen auftrat,
aber auch als Musiker in den Aufnahmestudios, im Jiddischen Theater und -
später - in den Studios der jiddischen Radiosender arbeitete. Brandweins
Karrieremöglichkeiten waren noch eingeschränkter als die von Tarras: Nach
Aussagen seiner Kollegen konnte er weder 'amerikanisch' spielen noch Noten
lesen, und das Saxophon beherrschte er schon gar nicht. Brandwein - um 1909
eingewandert - war in Europa ein professioneller Klezmer gewesen, blieb aber
in seiner neuen Heimat - im Gegensatz zu Beckerman und Tarras -
ausschließlich dem Bereich der jüdischen Hochzeiten und Feste verhaftet.
In den frühen Dekaden des 20. Jahrhunderts hielten
Saxophon (gespielt von den Klarinettisten), Schlagzeug und Piano - zu denen
später noch das Tastenakkordeon kam - im amerikanischen Klezmer-Ensemble
Einzug. Mancherorts wurden Müller-System-Klarinetten durch Klarinetten mit
Boehm-System ersetzt, und die bislang übliche C-Klarinette wurde allmählich
von der B-Klarinette abgelöst, so dass gegen Ende der 20er Jahre Brandwein
der einzige führende New Yorker Klarinettist war, der noch die C-Klarinette
spielte. Zu jener Zeit bestand eine gewöhnliche Hochzeitskapelle - einem
allmählichen Trend zu kleineren Ensembles folgend - aus einem Quartett mit
Klarinette/Saxophon, Trompete, Piano und Schlagzeug. Zeitgleich hatten die
Bandleader und Musiker bei New Yorker jüdischen Hochzeiten und Festen
begonnen, ihre Rolle neu zu definieren und sich als Showmen und Entertainer
darzustellen. Besonders Brandwein wurde bekannt für seine zirzensischen
Auftritte, wobei er unter anderem einen elektrischen Uncle-Sam-Anzug trug
oder seine Klarinettenkunststücke mit weißen Handschuhen vollführte. "Er war
ein ziemlicher Showman, wie ein Schauspieler, es war wie im Zirkus", so der
Trommler Max Goldberg (1911-2001). Max Epstein erinnerte sich, dass
Brandweins Spiel "ein Theaterstück war ... ich würde sagen, er wurde Teil
des Liedes ... Er erzählte eine Geschichte".
Akkulturations- und Assimilationsprozesse blieben nicht
nur auf die Musiker und ihre Musik beschränkt, sie schufen tief greifende
Veränderungen in den sozioreligiösen Strukturen der Einwanderergemeinschaft.
So reduzierte sich die traditionsreiche osteuropäisch-jüdische Hochzeit
allmählich auf wenige Stunden, wobei der Wirkungskreis der Klezmorim
weiterhin auf die Hochzeiten und die Veranstaltungen der Landsmanshaftn
ausgerichtet blieb. Die musikalischen Vorlieben der
Landsmanshaftn-Mitglieder während dieser Jahrzehnte blieben entschieden
europäisch geprägt und bestanden vorwiegend aus den überlieferten jiddischen
und europäischen Tänzen aus der Zeit vor ihrer Auswanderung aus Osteuropa.
Diese Einwanderergenerationen bestimmten auch die Musik für die Hochzeiten
ihrer in Amerika geborenen Kinder: "[Brandwein] spielte hauptsächlich
Klezmer - das wollten sie hören", so die Erinnerungen des Trompeters Willie
Epstein (1919-1999). Aber nicht nur Hochzeiten und die in der Neuen Welt
entstandenen Festlichkeiten um die Bar-Mizwa bildeten das Wirkungsfeld für
Klezmer-Musiker, sondern auch nichtreligiöse Umgebungen wie die Hotels der
Erholungsorte der Catskills, der hügeligen Region nördlich von New York,
wurden zu wichtigen Erwerbsquellen.
Epstein
Brothers bei einer Hochzeit, 1950er Jahre; von links: Max Epstein,
unbekannter Akkordeonist, Julie Epstein, Willie Epstein
In den Sommern ab 1920 zogen der Klarinettist Abraham
Goldberg (1875-1939) und sein Sohn Max durch die Bungalowkolonien von
Fallsburg, Monticello und Woodridge und spielten Klezmer-Melodien mit
Klarinette und Wirbeltrommel für die jüdischen Sommerfrischler. Musiker wie
Brandwein und Tarras pflegten jeden Sommer in den Catskill-Hotels
aufzutreten, Dave Tarras noch bis in die Mitte der 70er Jahre. Zur
Kundschaft der Klezmer-Musiker gehörte jedoch auch die New Yorker jüdische
Unterwelt: Während der Prohibition in den späten 20er und 30er Jahren
engagierte Brandwein den jungen Max Epstein für Auftritte bei privaten
Partys und in Gangsterclubs wie Joe the Greaser's an der Second Avenue.
Indem sie für Ukrainer, Polen, Russen, Ungarn, Ronia, Griechen, sephardische
Juden, türkische, deutsche und italienische Gemeinden in und um New York
spielten, führten Klarinettisten wie Beckerman, Brandwein, Tarras und
Epstein die weit gespannten musikalischen Aktivitäten der europäischen
Klezmer-Tradition fort, obwohl der bereits in New York geborene Epstein
nicht aus einer Klezmer-Familie stammte. Dieser spielte beispielsweise mit
dem ungarischen Roma-Geiger Karoly 'Charlie' Bencze, dem
griechischmazedonischen Klarinettisten Kostas 'Gus' Gadinis und dem
Rom-Akkordeonisten Mishka Ziganoff.
Die früheste Aufnahme eines Klezmer-Klarinettensolos ist
Platch Yevreia (Weint, Juden) von Belfs Rumänischem Orchester in der
Besetzung Klarinette, zwei Violinen und Piano aus dem Jahre 1913. (5)
In New York waren es Brandwein und Tarras, die die bedeutendste Anzahl von
Aufnahmen mit Klarinettensoli einspielten: 43 der Soli, die Brandwein von
1922 bis 1927 aufnahm, wurden veröffentlicht, 35 davon unter seinem eigenen
Namen als Bandleader. Tarras spielte von 1925 bis 1929 15 Soloaufnahmen ein,
hinzu kommt eine Reihe von Aufnahmen aus den Jahren 1927 bis 1930 mit dem
Abe Schwartz Orchestra.
Während Brandwein nach 1927 nur noch vier weitere Soli
(alle im Jahre 1941) einspielte, konnte Tarras seine Aufnahmekarriere als
Solist und Ensemblemitglied bis in die späten 50er und frühen 60er Jahre
fortsetzen, und noch als Pensionär nahm er 1978 eine letzte LP auf. Neben
Brandwein und Tarras spielten weitere New Yorker Klarinettisten in den 20er
Jahren Soloaufnahmen mit Klezmer-Musik ein, so Shloimke Beckerman (acht Soli
mit Abe Schwartz), Philip Greenberg (drei Aufnahmen als Solist 1922/23) und
Max Weissman (eine Aufnahme im Jahre 1920). Zwei weitere Aufnahmen, darunter
eine mit einem bislang nicht identifizierten Klarinettisten, wurden vom Abe
Schwartz Orchestra im März 1924 eingespielt. 1929 leitete der Klarinettist
Itzikl Kramtweiss in Philadelphia eine Aufnahmesitzung der Broder Kapelle.(6)
Als Ensemble-Instrument ist die Klarinette in allen in Europa eingespielten
Orchesteraufnahmen mit jüdischer Instrumentalmusik gegenwärtig, ebenso wie
auf den meisten US-Aufnahmen mit Klezmer-Musik, angefangen von den
Einspielungen von Abe Elenkrig's Orchestra von 1915 und einschließlich der
Orchester Abe Schwartz, Harry Kandel, Lt. Joseph Frankel, I.J. Hochman, Max
Leibowitz, Art Shryer und anderen. Auf vielen davon sind Beckerman,
Brandwein, Tarras und Epstein zu hören, obwohl ihre Namen nicht genannt
werden. Brandwein, zum Beispiel, spielte nicht nur eine Aufnahme mit Joseph
Cherniavsky ein (1924), sondern konnte in einigen Aufnahmen des Komikers Gus
Goldstein auch als der Solist mit Klezmer-Melodien identifiziert werden.
Tarras wiederum ist sogar als Ensemblemitglied bei Joseph Cherniavsky (1925)
und später bei Al Glaser (1939), Abe Ellstein (1940) und Harry Lubin nicht
zu überhören, und in zahlreichen Aufnahmen erklingt sein unverkennbares
Spiel als Begleitung von Sängern des Jiddischen Theaters und Vaudevilles wie
Aaron Lebedeff, die Barry Sisters, Seymour Rexsite und Miriam Kressyn.

Joseph Cherniavsky and His Yiddish-American Jazz Band in
Kosakenkostümen, Anfang der 20er Jahre: Cherniavsky (Mitte) mit Taktstock;
Lara Cherniavsky, Klavier; Naftule Brandwein (Dritter von rechts) mit
Saxophon; Shloimke Beckerman (Zweiter von rechts)
mit Saxophon; Jack Levitt, Posaune; die anderen Musiker sind unbekannt
Der Niedergang der New Yorker Klezmer-Tradition begann in
den 30er Jahren, als das kulturelle Leben der Landsmanshaftn immer weniger
Anreize für die in Amerika geborenen Nachkommen ihrer Mitglieder bot: "Die
Kinder wollten mich ums Verrecken nicht mehr holen. Es waren die Eltern, die
uns wollten", so Max Epstein. Obschon die meisten der in Amerika geborenen
Kinder der New Yorker Klezmer-Familien Musiker wurden und die
Familientraditionen fortsetzten, waren doch alle multimusikalisch, das heißt
gleichermaßen versiert in der Klezmer-Musik und verschiedenen amerikanischen
Popularstilen. Die Angehörigen der zweiten amerikanischen Generation
hingegen wählten 'Mainstream'-Musik oder entschieden sich überhaupt gegen
den Musikerberuf.
Gleichzeitig mit dem allgemeinen Niedergang der jiddischen
Kultur erlebte in den 30er und 40er Jahren eine neue Art von amerikanischer
Klezmer-Musik eine kurzfristige Blütezeit, gefördert durch die Popularität
des jiddischen Radios und des Revivals ethnischer Musikaufnahmen in New
York. Dieser neue Stil von griechisch und rumänisch beeinflussten
Tanzmelodien war entscheidend von der Ästhetik Dave Tarras' geprägt, wie
seine RCA-Victor-Aufnahmen mit Abe Ellstein von 1939 bis 1941 und seine
Einspielungen für das Labet Standard im Jahre 1945 dokumentieren. Nun sah
sich sogar Naftule Brandwein genötigt, die neuen Bulgars von Tarras zu
lernen. Der Klarinettist Marty Levitt (*1930) erinnert sich, wie sein Vater
Anfang der 40er Jahre, als Tarras eine neue Aufnahme veröffentlicht hatte,
"diese [von] der Schallplatte notierte. Und er hatte in jener Nacht einen
Auftritt mit Naftule Brandwein. Und Naftule kannte sie nicht, er versuchte
sie zu lernen, konnte jedoch nicht lesen. So brachte mein Vater ihm die
Melodie bei, weißt du, während des Auftritts, nach Gehör." In den späten
3oer Jahren sahen sich Brandwein und Tarras einer jüngeren Generation von
konkurrierenden Klarinettisten gegenüber, die als bereits von ihrem
amerikanischen Umfeld geprägte Musiker mit dem amerikanischen Repertoire
aufgewachsen waren, vor allem Max Epstein und Sam Musiker (1916-1964). Der
jüngste Bruder von Max, Julie (*1926), erinnert sich: "Alle diese alten
Jungs ... fielen aus allen Wolken, dass ein junger Kerl, in Amerika geboren,
mit der Begeisterung und dem Tonfall spielen konnte, mit denen sie
aufgewachsen waren ... Und dann spielte er amerikanische Tanzmusik ... und
... populäre Musik, die zu der Zeit hochaktuell war. ... Und sie konnten das
nicht. So war es unfassbar für sie, dass ein Kerl sowohl amerikanische Musik
und so genannte jüdische Musik spielen konnte und gleichermaßen gut in
beiden war."
Um konkurrenzfähig zu bleiben, pflegte Brandwein
kompetente 'Amerikaner' zu engagieren, die das amerikanische Tanzrepertoire
beherrschten, so wie Max Epstein am Saxophon. Einige dieser Musiker
experimentierten mit Mischformen von Klezmer und Jazz, wie Sam Musikers
Arrangements für Dave Tarras zeigen. Musiker, ehemaliger Solist in der Gene
Krupa Big Band, begann Mitte der 40er Jahre, traditionelle und neu
komponierte Klezmer-Melodien mit einer Swing-Band-Asthetik zu kombinieren.
Aber zur Zeit dieser ersten Experimente steuerte die Jazz-Avantgarde auf
einen schöpferischen Höhepunkt zu: Im November 1945 machte Charlie Parker
seine revolutionären Bebop-Einspielungen mit dem jungen Miles Davis, und
Musikers amerikanische Version der Klezmer-Musik hat keine nennenswerten
Spuren hinterlassen.
Nach dem Holocaust brachte die durch die Gründung des
Staates Israel 1948 bedingte neue Ausrichtung der amerikanisch-jüdischen
Gemeinschaft einen dramatischen Wechsel im Repertoire der Hochzeitsmusik mit
sich: "Vor der Staatsgründung spielte ich wenig israelische Musik ... aber
danach hörte die neue Generation nichts als das. Sie hörten nicht mehr die
alte Klezmer-Musik, sie hörten israelische Musik", berichtet Epstein.
Dennoch spielte die alte Garde der Klezmer-Klarinettisten nach 1948 weiter
für ihr alterndes und rapide schwindendes Publikum: Brandwein blieb ihm bis
zuletzt treu und starb 1963, Tarras trat regelmäßig bis in die 70erJahre
auf, und Beckerman war bereits seit Ende der 50er Jahre in Pension gegangen
und nach Kalifornien gezogen. Brandwein, Beckerman und Tarras entstammten
orthodoxen Familien und standen für die erste Generation von nichtorthodoxen
Klezmorim. Dennoch ist es mehr als wahrscheinlich, dass sie ihre Musik nur
mit dem traditionellen Judentum als Bezugspunkt schaffen konnten, denn es
war dieses Milieu - und, im Falle von Brandwein und Tarras, das chassidische
Umfeld - und die damit verbundenen Musiktraditionen, die sie während der
ersten Jahrzehnte ihres Lebens geformt hatten.(7)
Tarras wurde von jüngeren Kollegen für seinen
Perfektionismus, seine Professionalität und seine zukunftsweisende
musikalische Meisterschaft gerühmt, Brandwein galt dagegen als
bodenständiger und altmodischer Musiker, wurde aber für seine Beherrschung
des traditionellen Repertoires und Stils geschätzt. Unter dem Zustrom von
Holocaust-Überlebenden nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA befanden sich
zahlreiche Chassidim, die sich vorwiegend in Brooklyn ansiedelten. Mit ihrem
traditionellen Judentum und den hohen Geburtenraten schufen diese Zuwanderer
einen neuen Markt für Klezmer-Musiker. Klarinettisten wie RudyTepel (*ca.
1917), Max Epstein und Isidore 'Chi' Epstein (1913-1986), Paul Pincus
(*1917), Howie Leess (1920-2003) und Danny Rubinstein (*1924) lernten nach
Gehör Nigunim (Melodien zur geistigen Erbauung) von den Chassidim - ein für
sie gänzlich neues Repertoire, da ihnen diese Melodien durch den
Säkularisierungsprozess der vergangenen Jahrzehnte nicht mehr geläufig
waren. Neben den ultraorthodoxen Musiktraditionen gab es jedoch auch
säkulare Musikrichtungen, die viele der jungen, nichtorthodoxen
Neuzuwanderer aus Osteuropa - bekannt als 'di Griner', Greenhorns - hören
wollten. Die Veränderungen in Osteuropa in den Jahrzehnten zwischen den
Kriegen hatten ihren Niederschlag auch in der Musik gefunden: Während dieser
Zeit dominierten jüdische Musiker, viele davon aus Klezmer-Familien, die
polnische Popularmusik mit ihren Salon- und Jazzorchestern und machten sich
einen Namen als Tangokomponisten. Es war diese Musik, zu der das
junge jüdische Publikum von Warschau und Lodz einst getanzt hatte und die es
nun, nach dem Holocaust, wieder zu hören wünschte. Marty Levitt erkannte
früh die Bedeutung dieses Repertoires für die Überlebenden aus Polen und
wurde auf diese Weise zum 'Tango-König' von New York.
In Israel entwickelte sich ab dem späten 18. Jahrhundert
eine eigenständige Klezmer-Tradition, seit sich chassidische Pilger aus
Osteuropa in Nordgaliläa und Jerusalem niedergelassen hatten. Dort war im
Verlauf des 19. Jahrhunderts die Klarinette das wichtigste Instrument
geworden, und die Ensembles bestanden aus Klarinette und Trommel mit
möglicherweise Geige oder Trompete. Ihr Stil und Repertoire blieben stark
von lokalen Musiktraditionen geprägt, so von denen der arabischen Drusen und
der osmanisch-türkischen Militärkapellen.
Als Gründer der modernen israelischen Tradition, die fast
ausschließlich innerhalb des ultraorthodoxen Milieus besteht, gilt der
Klarinettist Avrom Segal (1908-1993), dessen Stellung nach seiner
Pensionierung zu Beginn der 70er Jahre sein Protegé
Moshe 'Musa' Berlin (*1938) übernahm. Die heutigen typischen israelischen
Klezmer-Ensembles bestehen aus Klarinette (Saxophon), elektrischer Gitarre,
Synthesizer und Schlagzeug. Zu den bekanntesten Klezmorim der jüngsten
Generation gehört Yechiel Frank in Jerusalem, der wie Berlin und Segal
Autodidakt ist.
In Russland setzte die Revolution der jahrhundertealten
Klezmer-Tradition ein Ende. Überlebende Mitglieder von Klezmer-Familien
wandten sich entweder der klassischen oder der Unterhaltungsmusik zu, oder
sie nahmen ihre Zweitberufe als Friseure, Schneider und anderes wieder auf.
Dennoch bildeten sich nach Stalins Tod (1953) erneut jüdische Orchester und
spielten privat auf jüdischen Hochzeiten, hauptsächlich in der Ukraine und
in Moldawien. Es ist wenig wahrscheinlich, dass sich Angehörige aus
Klezmer-Familien unter diesen Musikern befanden, und viele der spezifischen
Stilelemente der Klezmer-Musik waren im Laufe der Zeit verloren gegangen.
Einige Klarinettisten aus der Sowjetunion sind seit den 70er Jahren in die
USA ausgewandert, darunter Boris Legun (1924-1997) aus Kiew und German
Goldenshteyn (*1934) aus Mogilew-Podolsk in der Ukraine. Generell scheint
Klezmer-Musik in allen Einwanderergemeinden mit osteuropäischen Juden
gespielt worden zu sein: So siedelte der Klarinettist und Saxophonist Sam
(Shimen) Liberman, ursprüng-
lich aus Safed, Israel, nach Buenos Aires um, wo er argentinische
Tanzorchester und Klezmer-Bands leitete und ein bekannter Aufnahmesolist
wurde.
Die gegenwärtige Klezmer-Bewegung begann Mitte der 70er
Jahre als Revival in den Vereinigten Staaten, wo eine kleine Anzahl von
jungen amerikanischen Juden an Ost- und Westküste sich der Musik aus der
frühen Einwanderer-Ära zuwandte. Kaum einer von ihnen entstammte
Klezmer-Familien oder besaß Kenntnisse der Klezmer-Tradition. Gruppen wie
The Klezmorim, Andy Statman und Zev Feldman, Kapelye und die Klezmer
Conservatory Band - die alle mit der Klarinette als Hauptinstrument arbeiten
- waren nur die Vorreiter einer viel größeren Bewegung. Seitdem hat selbst
der Begriff Klezmer eine Veränderung und Erweiterung erfahren, denn er
beinhaltet heute nicht nur die instrumentalen Gattungen, die ursprünglich
von Klezmorim aufgeführt wurden, sondern auch vokale Musik und neue
Originalkompositionen. Zeitgenössische Klezmer-Musik zeichnet sich folglich
durch Eklektizismus mit einer großen Spannbreite von Auffassungen aus, die
von der Neuschöpfung eines Aufführungsstils des 19. Jahrhunderts über
Verbindungen von Klezmer mit Salsa, Flamenco, Bebop, Reggae und Bluegrass
reichen und an deren äußerstem Ende Avantgarde-Improvisationen stehen, die
oft nur noch peripher von Klezmorim inspiriert wurden. Dennoch dienen Stil
und Repertoire der Klezmorim als primäre Quelle, und die Musik der
Klarinettisten Brandwein, Tarras und Belf liefert sozusagen den
Ursprungstext für die Klezmer-Bewegung. Einige führende Klarinettisten sind
bei Traditionsträgern wie Dave Tarras (Andy Statman), Max Epstein (Joel
Rubin) und Sid Beckerman (Joel Rubin und Margot Leverett) in die Lehre
gegangen, so dass nicht von einem totalen Traditionsbruch gesprochen werden
kann. Weitere prominente Klarinettisten der vergangenen 25 Jahre sind David
Krakauer, Kurt Bjorling, Ken Maitz, Ilene Stahl, Ben Goldberg, Don Byron,
Matt Darriau und Merlin Shepherd.
Musiker der Downtown-Szene New Yorks formierten sich 1992
zu einer parallelen Bewegung, die als Radical Jewish Culture bekannt wurde
und etablierte Improvisatoren wie den Klarinettisten Marty Ehrlich anzog, um
musikalische Ausdrucksformen ihrer jüdischen Ethnizität zu erarbeiten.
Zeitgleich entstand eine neue, von Klezmer beeinflusste Kunstmusik von
Komponisten wie André Hajdu (*1932), Osvaldo
Golijov (*1960), Robert Starer (1924-2002) und Ofer Ben-Amots (*1955), wobei
in den meisten dieser Werke der Klarinette eine Solo- oder zumindest eine
herausragende Rolle eingeräumt wird.(8)
Die historischen Vorgänger für Stücke dieser Art waren die
Werke von Komponisten der so genannten Sankt Petersburger Schule, jüdische
Studenten von Rimski-Korsakow, die, beeinflusst von der im Entstehen
begriffenen jüdischen nationalistischen Bewegung um die Wende zum 20.
Jahrhundert, eine Form von nationaler jüdischer Kunstmusik auf der Basis
traditioneller Materialien von Klezmorim, Volkssängern, Kantoren und anderen
Quellen zu schaffen suchten. Die Werke dieser Gruppe wurden vom
Zimro-Ensemble aufgerührt, einem Sextett aus Klarinette, Piano und
Streichquartett. 1919 unternahm dieses Ensemble eine Welttournee, um Geld
für ein Zentrum für jüdische Musik in Palästina zu sammeln. Sein Leiter, der
Klarinettist Simeon Bellison (1881-1953), wurde später der erste
Klarinettist der New Yorker Philharmoniker und war einer der prominentesten
Klarinettenlehrer seiner Zeit. Das vermutlich bekannteste Werk 'jüdischer'
Kunstmusik ist jedoch die Ouvertüre über jüdische Themen op. 34 von Sergej
Prokofjew, die das Zimro-Ensemble 1919 in Auftrag gab.
Klezmer-Ensembles waren insbesondere für einen
musikalischen Stil bekannt, den der russisch-jüdische Musikethnologe Moshe
Beregovski als "tiefe Emotionalität" beschrieb. Die vielfältige und subtile
Art und Weise, mit der die Melodien ornamentiert werden, lässt sich als
charakteristischster Aspekt der Klezmer-Musik anführen. Dieser Komplex von
Verzierung und Phrasierung - bei den meisten Klezmorim der amerikanischen
Generation unter der Bezeichnung Dreydlekh bekannt - zeichnet eine gute
Klezmer-Aufführung aus. Dazu Epstein: "Ich spiele es nicht zweimal gleich.
Ich ändere hier etwas, eine kleine Verzierung hier, ich nehme sie von da
weg, ich setze sie woanders hin. Ein kleiner Lauf hier, ein kleines
Glissando dort. Ich mache etwas damit, ich möchte nicht, dass es dasselbe
ist, ein Stereotyp. Ich möchte, dass es jedes Mal ein bisschen anders ist.
Ich spiele es zehnmal, ich spiele es zehnmal anders." Typische Dreydlekh
bestehen aus verschiedenen Verschleifungen, Portamenti, Glissandi,
Vorschlägen, Nachschlägen, Zwischenschlägen und Trillern.
Für viele der Musiker erschöpft sich die Kenntnis des
Stils nicht nur in dem Wissen, wie die Verzierungen richtig gespielt werden,
sondern auch im 'Gefühl' oder 'Geschmack' für ihre richtige Platzierung und
die Balance zwischen zu vielen und zu wenigen Verzierungen: "Das Gefühl war
immer wichtiger als der technische Aspekt des Spiels. Du kannst immer auf
einem technischen Level arbeiten. Aber wenn du das Gefühl nicht hast und du
das Gefühl nicht verstehst, dann fällt es flach. ... Es ist wie Salz und
Pfeffer. Du streust zu viel Salz und Pfeffer auf ein Steak, und schon
schmeckt es nicht. Es muss also mit sehr gutem Geschmack gemacht werden." So
Danny Rubinstein.
Musiker, die mit Brandwein und Tarras auftraten und mit
ihrem Spiel vertraut waren, beschreiben die Stile dieser beiden Musiker als
radikal unterschiedlich. So sagt beispielsweise Max Epstein: "Mein Idol war
Dave Tarras, aber er spielte wie ein kalter Fisch. Technik erstklassig.
Spielte wunderbar, aber derjenige, der mit Feuer spielte, war Naftule
Brandwein. Er riss dir das Herz aus dem Leib." Rubinstein, der Tarras gut
kannte und Brandwein bei verschiedenen Gelegenheiten gehört hatte, schreibt
die Verschiedenheit der beiden Musiker ihrem unterschiedlichen technischen
Vermögen zu: "Brandwein war kein großer Techniker, aber er hatte ein Gefühl
für die Musik. Dave kombinierte das Gefühl mit einer großen Kenntnis der
Technik und steigerte damit die Qualität des Klezmer-Spiels." Tarras'
glatter Stil könnte als eine Reflexion seiner eher technischen Annäherung an
die Klarinette angesehen werden. Gleichzeitig kontrastiert sein häufiger
Gebrauch von 'zirpenden' Verzierungen und Verschleifungen in seinen frühen
Aufnahmen mit Eindrücken von Kollegen, die sein Spiel in späteren Jahren
verfolgten. Nach Aussagen von Joe Barsh (*1915), eines Akkordeonisten und
Pianisten, der in den 40er Jahren sowohl mit Brandwein als auch Tarras
zusammenarbeitete, pflegte Naftule "einige der Noten herüberzuziehen und
auch eine Menge Zirptöne in seinem Spiel zu verwenden. Dave hielt nichts von
diesem Zirpen."(9)
Barshs Kommentar dürfte auf eines der Schlüsselelemente in
Tarras' stilistischer Entwicklung hinweisen, das sich hauptsächlich während
des Zeitraums von 1929 bis 1939 herausgebildet zu haben scheint. Levitt
behauptet: "Leute, die ihre Instrumente beherrschten, verwendeten keine
Verzierungen. Was sie nicht mit ihren Fingern machen konnten, machten sie
mit ihrem Hals und ihrer Lippe. Wenn du ein guter Klarinettenspieler sein
wolltest, dann benutztest du deine Finger." Levitts Aussage bezeichnet die
Verwendung von 'Zirpen', Verschleifungen und gebogenen Tönen als
'altmodisch', als der vorherigen, technisch weniger ausgebildeten
europäischen Generation zugehörig, im Gegensatz zu dem 'moderneren' Ansatz
der in Amerika geborenen Generation, in der saubere Technik und Artikulation
einen höheren Status besaßen. Wie Levitt zu berichten weiß, korrigierte ihn
sein Vater, der Posaunist Jack Levinsky (1901-1974), oft mit den Worten:
"Don't lip it down [das heißt, benutze nicht den Ansatz und die
Halsmuskeln, um die Töne zu ändern, sondern den Fingersatz]. Du klingst wie
ein Klezmer."
Folglich ist der von Tarras entwickelte Stil insbesondere
ab den späten 20er Jahren als Beleg für den Übergang vom osteuropäischen zu
einem amerikanischen Klarinettenstil in der Klezmer-Musik anzusehen.
Klarinettisten wie Max und Chi Epstein, Sam and Ray Musiker, Rubinstein,
Leess, Sid Beckerman, Pincus, Tepel und Levitt, allesamt bereits in Amerika
zur Welt gekommen, setzten diese Richtung fort. Ob sich die diversen Stile
der Klarinettisten der amerikanischen Klezmer-Bewegung etablieren und
fortgesetzt werden können, wird die Zukunft zeigen.
Vollständige Bibliografie (PDF)
Anmerkungen:
Teile dieses Beitrags basieren auf meiner 2001 an der City
University of London vorgelegten Dissertation The Art of the Klezmer:
Improvisation and Ornamentation in the Commercial Recordings of New York
Clarinettists Naftule Brandwein and Dave Tarras 1922-1929, Ann Arbor,
MI, 2003. Ein Großteil der Information stammt aus ethnographischen
Interviews, die ich von 1990 bis 2000 mit Musikern (geboren zwischen 1911
und 1940) aus der New Yorker Klezmer-Szene durchführte. Interview-Zitate im
Beitrag stammen von meinen eigenen Interviews, Fremdinterviews sind
entsprechend gekennzeichnet. Für eine populärwissenschaftliche Behandlung
des Themas siehe Rita Ottens und Joel Rubin,
Klezmer-Musik,
Kassel 1999, sowie dies.,
Jüdische
Musiktraditionen, Kassel 2001. Eine vollständige Bibliographie
und Diskographie ist unter
http://www.rubin-ottens.com zu
finden.
(1) Rita Ottens mit Joel E.
Rubin, "The Sounds of the Vanishing Worid": The German Klemmer Movement
as a Racial Discourse as Demonstrated by One Case of Anti-Semitism,
Vortrag auf der Konferenz 'Sounds of Two Worlds: Music as a Mirror of
Migration to and from Germany', Max Kade Institute for German-American
Studies, University of Wisconsin-Madison, September 2002; der
Konferenzbericht ist unter
http://csumc.wisc.edu/mki/Resources/Online_Papers/
MusicConfPapers/MusicConfPapers.htm im Internet zu finden. Im
vereinigten Deutschland spielt der Diskurs um die Klezmer-Musik eine
wichtige Rolle als politische Ideologie bei der Bildung einer neuen
nationalen Identität nach dem Holocaust, wie die Arbeiten von Rita Ottens
zeigen. Sie interpretiert die deutsche Klezmer-Bewegung nicht als einen
Beitrag zur jüdischen Musik oder als Teil der jüdischen Kultur, sondern als
einen Bestandteil deutscher Popularkultur. Als Unterströmung dieser
Ideologie der vornehmlich von nichtjüdischen Deutschen ausgehenden
Bestrebungen nach Versöhnung und Normalität werden, so Ottens, rassistische
Bilder und Ideologeme weitergetragen, die ihren Ursprung in einer
jahrhundertealten Kultur von Judenfeindschaft und Antisemitismus haben.
(2) Ashkenaz ist der hebräische Begriff für die
geographische Region mit den ersten konzentrierten jüdischen Gemeinden an
den Ufern des Rheins und seinen Nebenflüssen und an der Donau.
(3) Dieses Zitat von Dave Tarras stammt aus einem
Interview, das Barbara Kirshenblatt-Gimblett und Janet Elias (Cassel) am 11.
September 1975 in New York durchführten.
(4) Landsmanshaftn sind Wohltätigkeits- und Heimatvereine
von Immigranten aus derselben Stadt oder Region in Osteuropa (Landsman,
Plural: Landslayt).
(5) Neben einer großen Anzahl von Aufnahmen von Belfs
Rumänischem Orchester hat der Diskograph Jeffrey Wollock von 1912 bis 1913
in Osteuropa eingespielte Stücke von G. Tzipine, P. Gegner und einem nicht
identifizierten Klarinettisten dokumentiert. Der Diskograph Michael Aylward
entdeckte Aufnahmen eines Klarinettisten namens Titinschneider oder
Titonschneider aus Odessa aus dem Jahre 1912.
(6) Neben diesen Musikern wurden von meinen
Interviewpartnern wiederholt verschiedene Einwandererklarinettisten genannt,
aber diese scheinen keine Soloaufnahmen bzw. überhaupt keine Aufnahmen
eingespielt zu haben. Hier handelt es sich vor allem um Naftouly Schwartzer
(1880-1969) und Benny Margulies.
(7) Der Chassidismus ist eine orthodox-jüdische Bewegung,
die während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Osteuropa entstand.
Die heutigen Zentren des Chassidismus sind Brooklyn (New York), Jerusalem
und Bnei Brak in der Nähe von Tel Aviv.
(8) Zum Beispiel Hajdus Truath Melech/Shout of a King:
Rhapsody on Jewish Themes (1974), Golijovs The Dreams and Prayers of
Isaac the Blind (1994), Starers
Kli Zemer (1982) und Ben-Amots' Celestial Dialogues (1994).
(9) Das Interview mit Barsh wurde am 29. August 1988 von
Peter Sokolow durchgeführt.
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15-06-05 |