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Jens Fabian Pyper (Hrsg.), Uns hat keiner gefragt. Positionen der dritten Generation zur Bedeutung des Holocaust.
Philo Verlag, Berlin 2002
Euro 19,90

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Buchpräsentation:
"Uns hat keiner gefragt"

"Die herausragende Bedeutung des Holocaust für die dritte Generation in seiner identitäts- und geschichtsstiftenden Rolle" war der Titel eines Projekttutoriums, das Jens Fabian Pyper 1999/2000 an der Humboldt-Universität Berlin leitete. Daraus entstand im folgenden Jahr ein Buch, das Positionen der dritten Generation zur Bedeutung des Holocausts aus unterschiedlichen Blickwinkeln und aus verschiedenen Disziplinen befragt. In Zusammenarbeit mit der Stiftung "Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum", der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und der Stiftung ZURÜCKGEBEN wird der Band nun erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

"Ich bin 1972 geboren und in der Bundesrepublik aufgewachsen. Als ich sieben war, sah ich im Fernsehen eine Serie über den Judenmord. Mein Lieblingsbuch war Als Hitler das rosa Kaninchen stahl. In meiner ganzen Jugend kannte ich nur Helmut Kohl als Kanzler. Im Urlaub im Ausland fand ich es immer ein bißchen peinlich, deutsch zu sein. Als ich siebzehn war, fiel die Mauer. Mit neunzehn protestierte ich gegen den Golfkrieg und fing an zu studieren. Immer wieder nahm ich an Demonstrationen gegen Neonazis teil; inmitten der Lichterketten fühlte ich mich wütend und hilflos, aber auch zuhause. Als sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum fünfzigsten Mal jährte, fing ich an, mich mit dem Holocaust zu beschäftigen. Ich bin in Israel gewesen und habe mich mit Gleichaltrigen unterhalten. Als ich Martin Walsers Friedenspreisrede hörte, wußte ich, daß ich anders denke als er. Aber ich denke auch anders als die anderen. Man schaut auf mich. Ich bin Mitglied der Generation X, der Generation Golf, ich bin Kind der 68er, manche glauben deshalb, ich gehöre zu den 89ern. Meine Großväter waren im Krieg. Meine Großmütter haben meine Eltern aufgezogen. Meine Eltern haben ein Haus gebaut. In dieser Familie und in diesem Land bin ich Angehörige der dritten Generation."

Mit diesem Ausschnitt aus einer Biographie beginnt der Band, eine Biographie, die eine ganze Generation beschreiben kann, mit deren Eckdaten sich viele Leser identifizieren werden und die auch für einen Teil der Autorinnen und Autoren, die "persönlich und wissenschaftlich Stellung zu Fragen und Debatten aus der Rezeptionsgeschichte des Holocaust" beziehen, charakteristisch ist.

Die Autorinnen und Autoren, geboren zwischen 1967 und 1977, verstehen sich nicht nur durch eine äußere, quasi künstliche Definition als Angehörige der dritten Generation. Sie teilen trotz der unterschiedlichen Orte, an denen sie aufwuchsen, die Erfahrung eines bestimmten Zeitgeistes und bestimmter prägender Ereignisse. "Schindlers Liste oder die Auseinandersetzung um das Berliner Mahnmal lassen sich in diesem Sinne als generationsbildend verstehen", betont Meike Herrmann im Vorwort.

Ihnen gelingt dabei ein vielseitiger Blick auf die Rezeption des Holocausts, der aus den unterschiedlichsten Disziplinen, von der Geschichtswissenschaft bis zur Psychologie, schöpft. Die ersten Beiträge widmen sich der Holocaust-Rezeption in der Bundesrepublik und der besonderen Situation von Juden in der DDR. Nina Leonhard fasst in ihrem Beitrag die Ergebnisse einer qualitativen Studie im Rahmen ihrer Dissertation zusammen, die den Wandel der Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust in Ost- und Westdeutschland untersucht. Den Abschluss des ersten Teils der Aufsatzsammlung bildet eine polemische Skizze über das nationale Identitätsempfinden.

Ein zweiter Teil befasst sich mit der jüdisch-israelischen Perspektive der Holocaust-Rezeption. Meike Herrmann geht Grundformen jüdischer Erinnerung nach und folgt dabei den Begriffen Geschichte, Gedächtnis und Erzählung. Leider geht ihre Analyse im interessanten Teil, dem Verhältnis der dritten Generation, zu wenig in die Tiefe. Auch der Beitrag von Johannes Valentin Schwarz über sakralisierten Formen des öffentlichen Gedenkens an den Holocaust in Israel und Deutschland birgt keine neue Perspektiven in sich.

Die zwei folgenden Beiträge beschäftigen sich mit den prominentesten Beispielen der Holocaust-Debatte der vergangenen Jahre, Martin Walsers Friedenspreisrede und dem Bau des Berliner Mahnmals.

Den Abschluss des Bandes bilden zwei Beiträge, die eine innere Perspektive vorstellen. Gesine Grossmann stellt aus psychologischer Perspektive zwei unterschiedliche Umgangsweisen mit der Holocaust-Vergangenheit in der dritten Generation dar. Catarina Klusemann gibt schließlich Einblick in ihre eigene Geschichte und das dadurch geprägte Bild des Holocausts, plädiert dabei aber für einen allgemein menschlichen Umgang mit der Erinnerung.

Der Wechsel zwischen rein wissenschaftlichen und persönlich geprägten, teils auch autobiographischen Beiträgen ist gleichzeitig Stärke und Schwäche des Buches. Die Konzeption der Aufsatzsammlung stellt die notwendige Freiheit für die Autorinnen und Autoren sicher und ermöglicht die erfreuliche Vielfalt der Beiträge. Andererseits wirkt der Gegensatz zwischen beiden Formen der Aufsätze oft schroff und an manchen Stellen auch störend.

Vielleicht ist es aber tatsächlich nicht anders möglich, die unterschiedlichen Zugänge und Auffassungen wiederzugeben. Denn trotz ähnlicher Alters-, Bildungs- und Betroffenheitsgrade sind in der Gruppe der Autorinnen und Autoren so viele Auffassungen aufeinandergeprallt, "daß wir streckenweise unfähig waren, uns über den Holocaust zu verständigen", wie Catarina Klusemann schreibt. Umso entscheidender tönt ihr Schlusscredo: "Ich glaube, daß alles, was mit dem Holocaust zusammenhängt, noch nicht zuende gedacht ist, daß meine Erinnerung weder die einer Opferenkelin noch die einer Täterenkelin allein sein kann. Ich kann nicht die Selbstverständlichkeiten, die die eine oder andere Gruppe weitergibt, übernehmen. Ich kann meine Moral nicht nur auf einer deutschen oder jüdischen Erinnerung aufbauen. Ich möchte als Mensch mit dem Holocaust umgehen. Bedeutungen, die nur für Gruppen gelten, reichen in unserer Welt nicht aus."

Buchpräsentation:

Donnerstag, 12. Dezember 2002, 19:30 Uhr
Ort: Centrum Judaicum, Oranienburger Straße 28–30, 10117 Berlin

Anschließend stellen sich die jungen Autorinnen und Autoren den Fragen des Publikums (mit kurzer Vorstellung einzelner Beiträge).

aue / hagalil.com 09-12-02











 

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