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Tobias Winstel:
Verhandelte Gerechtigkeit
Rückerstattung und Entschädigung für jüdische NS-Opfer in Bayern und Westdeutschland
Oldenbourg Verlag 2006
Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 72
Euro 59,80

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Leseprobe - Verhandelte Gerechtigkeit:
Wiedergutmachung und Remigration

Von Tobias Winstel

Für die Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland brauchten die jüdischen Verfolgten nicht nach Gründen zu suchen - sie waren evident; Emigration und Exil waren ja zwangsweise erfolgt. Völlig anders verhielt es sich bei der Frage nach der Rückkehr in das frühere Heimatland: Diese Entscheidung war (im Prinzip) eine freiwillige, und es mussten gute Begründungen, Anlässe, mitunter sogar Entschuldigungen dafür gefunden werden, zur "verfluchten Erde" zurückzukehren.(93)

Es war die Zeit, als der Jüdische Weltkongress bei seiner ersten Tagung nach dem Krieg 1948 in einer Resolution die Juden in aller Welt ermahnte, sich "nie wieder auf dem blutgetränkten deutschen Boden anzusiedeln".(94) Im Unterschied zu politisch motivierten Emigranten, die in ihrer Selbstwahrnehmung eher auf Zeit Verbannte, Exilierte waren, empfanden Juden ihre Flucht in der Regel als endgültige Auswanderung.(95) Dieser Umstand wirkte sich stark auf den Grad der prinzipiellen Remigrationsbereitschaft der jeweiligen Gruppe aus und erklärt, warum die Diskussion über die Rückkehr nach Deutschland unter politischen Emigranten wesentlich konkreter und "positiver" geführt wurde als unter jüdischen.(96)

Über den tatsächlichen Umfang der Remigration sind nach wie vor kaum verlässliche Aussagen zu treffen;(97) dennoch steht fest, dass auch eine größere Zahl jüdischer NS-Opfer im Lauf der Zeit wieder in ihre alte Heimat zurückkehrte.(98)

Es wird häufig übersehen, dass schon unmittelbar nach Kriegsende zunächst nicht die politisch Exilierten, sondern emigrierte deutsche Juden, die insbesondere in der amerikanischen Besatzungsarmee Dienst taten, nach Deutschland kamen. Zwar hatten die meisten von ihnen nicht vor, im Land ihrer Verfolgung auf Dauer zu bleiben. Doch einige fanden gerade im Prozess der Aufarbeitung ihrer NS-Verfolgung, etwa in der Gerichtsbarkeit, eine Aufgabe, die sie für längere Zeit und nicht selten für immer an Deutschland band. Auf die zahlreichen, in der Wiedergutmachung tätigen deutschen jüdischen Juristen wird später noch genauer eingegangen. Zudem kamen in den 1950er Jahren jüdische Auswanderer nach Deutschland, viele davon auch nach Bayern, deren Remigrationsmotive häufig finanzieller Art waren. Nicht zuletzt machte es auch die oben erwähnte symbolische Dimension der Wiedergutmachung manchen Überlebenden des Holocaust überhaupt erst möglich, sich in Deutschland (wieder) niederzulassen.(99)

Der jüdische Wiedergutmachungs-Anwalt Edward Kossoy meint, es sei nicht zu unterschätzen, "dass durch die Wiedergutmachung bei vielen ehemaligen Verfolgten, die ja über die ganze Welt verstreut lebten, das Verhältnis zu Deutschland, seinen Menschen und seiner Kultur wieder besser wurde".(100) Zahlreiche deutsche jüdische Emigranten, so seine Erfahrung der 1950er und 1960er Jahre, kehrten "wegen der Wiedergutmachung nach Deutschland zurück".

Für viele stellte die Anmeldung von Wiedergutmachungsansprüchen den ersten Kontakt mit Deutschland, genauer gesagt mit der Bundesrepublik, seit ihrer Flucht dar. Entschädigungs- und Rückerstattungsangelegenheiten konnten zwar auch vom Ausland aus geregelt -werden — freilich nur, wenn man westlich des Eisernen Vorhangs lebte. Doch viele ehemalige NS-Verfolgte taten ihren ersten Schritt auf deutschen Boden wegen und dank ihrer Wiedergutmachungsangelegenheiten. So erinnert sich die in Nürnberg geborene Malka Schmuckler: "Die Beziehung zu Deutschland kam zum ersten Mal wieder ein bisschen in mein Leben, als jeder von uns fünftausend Mark bekam dafür, dass wir unsere Schulbildung unterbrechen mussten, sowohl mein Mann als auch ich. Es war ja nicht so sehr viel Geld, aber für junge Leute doch eine Summe, und da hat mein Mann gesagt: 'Dann wollen wir uns erst einmal Europa angucken!'"(101)

Die beiden aus Israel kommenden Juden besuchten also Europa, zunächst aber nicht Deutschland. Zu diesem Schritt waren sie erst zwei Jahre später bereit, und wieder spielten Entschädigungsansprüche eine Rolle. Malka Schmucklers Schwiegervater, der sich um seine Wiedergutmachung persönlich in Deutschland hätte kümmern müssen, meinte: "Also, wenn ihr da hinfahrt, dann unterstütze ich euch, dass ihr da bleiben könnt mit der Familie, und ihr kümmert euch um meine Wiedergutmachung!" Dies führte zur ersten Wiederbegegnung mit Deutschland für die beiden; erst 1967 jedoch ließen sie sich dort wieder ganz nieder, wo die Familie bis heute lebt.

Dieses Zögern der jüdischen Remigranten, diese Rückkehr auf Raten war durchaus typisch. Der Großteil von ihnen plante nicht, wieder in Deutschland ansässig zu werden. Unterstützend mag vor allem in den ersten Jahren nach dem Krieg gewirkt haben, dass Philipp Auerbach die Rückkehrer nicht nur bei der Verfolgung ihrer Ansprüche unterstützte; vielmehr half er gerade auch mittellosen und bedürftigen Berechtigten mit kleinen und mittleren Beträgen, damit sie die Reise und ihren Unterhalt in München für diese Zeit finanzieren konnten.(102)

Häufig ging ein erster besuchsweiser Aufenthalt in der alten Heimat mit der Klärung der Restitutionsfragen einher, insbesondere wenn eine Rückerstattung in natura angestrebt wurde. Aus verschiedenen Gründen blieben die Berechtigten mit ihren Familien dann manchmal in Bayern hängen. Oft hinderte eine Krankheit die jüdischen Antragsteller, sogleich nach Abwicklung ihrer Wiedergutmachungsangelegenheit wieder in ihre neue Heimat Israel, USA etc. zurückzugehen; diese meist plötzlich auftretenden Krankheiten während des Aufenthalts mögen mitunter auch psychosomatisch bedingt gewesen sein und den Berechtigten mehr oder minder unterbewusst einen Vorwand geliefert haben, in Deutschland zu bleiben.(103)

Andere wiederum fanden in den wieder entstehenden jüdischen Gemeinden eine Aufgabe und ließen sich von dem Gefühl binden, für den Wiederaufbau jüdischen Lebens gebraucht zu werden. Die Rückerstattungsakten in Bayern berichten von zahlreichen Fällen wie dem David Schusters, des langjährigen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Würzburg, dessen Vater Mitte der 1950er Jahre nach Franken zurückkehrte, um sich um den verlorenen Grundbesitz zu kümmern. Für ihn war es "ein Prinzip, dass niemand derjenigen, die sich unseren Besitz mit Gewalt angeeignet hatten, in diesem Besitz blieb".(104) Ganz offensichtlich fiel wie im Falle Schuster bei vielen die immaterielle, symbolische Wirkung der Wiedergutmachung besonders ins Gewicht.

Die Rückkehr in das frühere Lebensumfeld war somit an die - zumindest teilweise - Wiederherstellung der verloren gegangenen vormaligen Lebenssituation geknüpft; und das beschränkte sich nicht nur auf die Rückerstattung, etwa von Grundstücken, Häusern oder Geschäften, sondern galt auch für den Bereich der Entschädigung.

Andere jüdische NS-Verfolgte hatten eher äußere Gründe, wegen Entschädigungs- oder Rückerstattungsleistungen zumindest zeit- oder "probeweise" einen Schritt auf deutschen Boden zu tun. Wirtschaftliche Motive zur Remigration wurden und werden zwar von den Betroffenen zumeist nur ungern zugegeben.(105) Aber natürlich versuchten die jüdischen Remigranten auch finanziell an ihr Vorkriegsleben wieder anzuknüpfen.(106) Denn es war ja keineswegs so, dass sich die emigrierten Juden nach ihrer Emigration ohne weiteres und rasch eine sichere wirtschaftliche Existenz aufzubauen vermochten. Häufig konnten sie auf ihrer Flucht vor den NS-Verfolgern nur ihr Leben retten, Eigentum und Wertgegenstände hatten sie zumeist zurücklassen müssen; und auch nach dem Krieg war es nur eine relativ kleine Minderheit, die sich schon bald wieder selbst helfen konnte. Gerade Juden, die in Deutschland freie Berufe ausgeübt hatten, taten sich in ihren Auswanderungsländern oftmals sehr schwer, beruflich wieder Fuß zu fassen und nutzten die materiellen Vorteile der Wiedergutmachungsleistungen dazu, von neuem eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen.(107)

War die Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland bzw. aus Europa gelungen, waren die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Fortsetzung des Berufswegs in der Regel ungünstig. Ein Neuanfang konnte am fortgeschrittenen Alter, an der mangelnden Einbindung in die so wichtigen sozialen und professionellen Netzwerke, an sprachlichen, rechtlichen und bürokratischen Hürden und dem Verlust finanzieller Mittel scheitern. Zudem war die wirtschaftliche Situation in Palästina bzw. Israel, wohin viele emigrierten, in der Nachkriegszeit bekanntermaßen sehr schlecht: Von der Staatsgründung 1948 bis zum Beginn der 1950er Jahre litt die ökonomische Entwicklung unter dem Unabhängigkeitskrieg von 1948/49 und der Masseneinwanderung, die bis etwa 1951 andauerte. Hohe Inflation und Arbeitslosigkeit waren die Folge, auf die mit Rationierungen und Sparmaßnahmen von Seiten des Staates reagiert wurde.(108)

Ökonomische Erwägungen, insbesondere die Aussicht auf bessere berufliche Chancen gaben daher in vielen Fällen den Anstoß zur Rückkehr nach Deutschland, aber auch das Interesse an sozialen und finanziellen Hilfen wie zum Beispiel Renten, Kranken- und Sozialhilfe sowie Wiedergutmachungsleistungen.(109) Allerdings galt das weniger für junge als für ältere Leute, die sich mit der sozialen und beruflichen Integration in den Auswanderungsländern schwer taten.

Entschädigungsrenten wurden in den Emigrationsländern zwar ebenfalls ausgezahlt und halfen auch dort ehemals deutschen jüdischen Familien. Doch zum einen waren etwa in Israel die Steuern für Entschädigungsleistungen sehr hoch, während sie in Deutschland steuerfrei zur Auszahlung kamen.(110) Zum anderen kamen gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit, als es noch keine bundeseinheitliche Wiedergutmachungsregelung gab und Entschädigungsansprüche zwar festgestellt, aber noch nicht ausbezahlt wurden, ausgewanderte Juden nach Deutschland, um Soforthilfeleistungen in Anspruch zu nehmen. Gerade Letzteres spielte für remigrierte Familien nicht selten eine wichtige Rolle bei der Entscheidung, sich in Deutschland wieder anzusiedeln. Später, mit der Novellierung des Bundesentschädigungsgesetzes im Jahre 1956, kam dann Unterstützung für remigrationswillige Juden ganz explizit zur Geltung. Dieses Gesetz sah eine "Rückwanderersoforthilfe" von 6.000 DM für Remigranten vor, was zu einem erheblichen Anstieg der Remigrantenzahlen führte. In den Wiedergutmachungsakten finden sich immer wieder Fälle, in denen ehemalige Verfolgte oder deren Hinterbliebene diese Regelung zum Anlass nahmen, nach Deutschland zu kommen.(111)

Ferner wurden Rückwanderer auch bei der Vergabe von Vorschüssen besonders berücksichtigt, die mit Blick auf die festzustellenden Wiedergutmachungsansprüche ausgezahlt wurden.(112) Zudem bewegten medizinische Heilverfahren, die auf die später zu zahlende Wiedergutmachung angerechnet wurden, manchen älteren und kranken jüdischen Emigranten zur gänzlichen Rückkehr nach Deutschland.(113) Im Übrigen beschleunigte ein persönliches Erscheinen auf den Ämtern in aller Regel erheblich das Verfahren. Wo Antragsteller sonst lange nichts von den Behörden zu hören bekamen, konnte ein Besuch in München die Vorgänge erheblich abkürzen.(114)

Auch wenn die meisten mit dem Vorhaben nach Deutschland kamen, nur zur Erledigung ihrer Wiedergutmachungsangelegenheiten und für kurze Zeit ihre alte Heimat zu besuchen, ließen sich etliche - einmal in Deutschland angekommen - wieder hier nieder.(115)

Alle bis hierher genannten Faktoren trafen nur auf deutsche bzw. bayerische Juden zu; denn nur wer vor oder während der Verfolgung in Deutschland gelebt hatte und geflohen war, konnte im engeren Sinne "zurückkehren". Doch fragt man nicht nur nach Remigration im engeren Sinne, sondern öffnet den Begriff in Richtung "Migration", so geraten in diesem Kontext auch noch andere jüdische NS-Opfer in den Blick, die über die Wiedergutmachung einen (neuen) Bezug zu Deutschland gewannen. Zu denken ist dabei in erster Linie an die Displaced Persons, genauer gesagt die bereits in ihre Herkunftsländer repatriierten oder in andere Aufnahmeländer (v.a. Israel) ausgesiedelten. Von ihnen versuchten einige, möglichst schnell wieder nach Deutschland zurückzukehren. Dort konnten sie dann Wiedergutmachungsleistungen beantragen, durch die immerhin eine gewisse wirtschaftliche Grundsicherung gewährleistet war.

Anfang der 1950er Jahre nahm man dieses Phänomen der so genannten illegals, also von DPs, die bereits die Lager verlassen hatten und nach Deutschland und dort vor allem in das Lager Föhrenwald in Bayern zurückkehrten, erstaunt zur Kenntnis. Die Gründe dieser Gruppe, die immerhin rund 3.500 Personen umfasste, freiwillig den Weg zurück in die DP-Lager zu nehmen, waren verschieden. Die meisten schreckten vor wirtschaftlicher Not und Antisemitismus in ihren osteuropäischen Heimatstaaten zurück; andere kamen beispielsweise mit den schwierigen Bedingungen in ihrer neuen Heimat Israel ebenso wenig zurecht wie die deutschen Auswanderer; manche hatten gesundheitliche Probleme aufgrund der Verfolgung, die sie in Deutschland besser behandelt wussten. Wieder andere sahen Deutschland als Brücke in ihr erwünschtes Auswanderungsland, die USA.(116)

Sowohl jüdische Migranten aus Osteuropa als auch deutsche bzw. "einheimische" bayerische Juden wurden bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche von einer Reihe jüdischer Rechtsanwälte unterstützt. Nun scheint dieser Umstand auf den ersten Blick wenig verwunderlich, da gerade jüdische Anwälte mit der Verfolgungsgeschichte ihrer Mandanten oftmals aus eigener Erfahrung vertraut waren und auch persönliche Beweggründe hatten, sich gerade auf diesem Rechtsgebiet zu betätigen. Wenn dies auch eine Rolle gespielt haben mag, so ist doch erklärungsbedürftig, warum gerade so viele jüdische Rechtsanwälte ihrerseits nach Deutschland remigrierten und zahlreiche Entschädigungs- und Rückerstattungsfälle - übrigens nicht nur im Auftrag jüdischer Mandanten - vertraten. Diese Anwälte nahmen nicht nur zahlenmäßig eine wichtige Rolle im Prozess der Wiedergutmachung in der Bundesrepublik nach 1945 ein, sie hatten auch großen Anteil an der Weiterentwicklung der Gesetze und Durchführungsregelungen.

Beispielsweise wirkten allein in München mit Siegfried Neuland, Edward Kossoy und Uri Siegel drei der wichtigsten Vertreter dieser Rechtsmaterie (117); nicht zu vergessen sind auch die vielen deutsch-jüdischen Juristen, die im Auftrag jüdischer Organisationen nach Deutschland kamen, um ehemalige NS-Verfolgte in Entschädigungs- und Rückerstattungsangelegenheiten zu vertreten.(118) Schließlich wurde mit dem Berliner Juden Walter Schwarz ein Remigrant nicht nur einer der bedeutendsten Wiedergutmachungsanwälte, sondern auch der Anwalt der bundesdeutschen Wiedergutmachung im übertragenen Sinne.

Zunächst ist zu fragen, was nun gerade jüdische Juristen dazu bewog, in das Land zurückzukehren, in dem noch wenige Jahre zuvor das Recht zur Handhabe für Unrecht geworden war. Ein wichtiger Grund ist oben schon angeklungen, nämlich die Wiederkehr von Vertrauen in deutsches Recht und Gesetz. Was bei etlichen Remigranten zu beobachten ist, galt für die Anwälte in höherem Maße: dass sie die Wiedergutmachung auch als ein Symbol für die Wiederherstellung des Rechts sahen. Nicht zuletzt diese Seite der Wiedergutmachung machte es manchen jüdischen Anwälten erst möglich, sich in Deutschland wieder niederzulassen.

Hinzu kam, dass viele jüdische Juristen vergleichsweise früh aus Deutschland emigriert waren und daher die Verfolgung nicht mehr als so unmittelbare physische Erfahrung erlebt hatten wie viele ihrer späteren Mandanten. Das heißt, für sie war der deutsche Rechtsstaat durch den Nationalsozialismus zwar unterbrochen, aber nicht dauerhaft zerbrochen. Das erleichterte manchem die Rückkehr in seine alte Tätigkeit an vertrauter Stätte.

Zudem erhofften sich ausgewanderte jüdische Juristen in Deutschland bessere berufliche Möglichkeiten; denn viele von ihnen, die ihre Ausbildung in Deutschland absolviert hatten, fühlten sich im angelsächsischen Rechtssystem im Grunde deplatziert.(119) Ihre deutschen Rechtskenntnisse nützten ihnen dort nichts bzw. sie mussten erst neue Examina ablegen, ehe sie eine Zulassung erhielten. Während es vielen also in ihren Emigrationsländern schwer fiel, beruflich Erfolg zu haben, hatten sie innerhalb der bundesdeutschen Wiedergutmachung in der Regel kaum Probleme damit, Mandanten zu finden, insbesondere in Bundesländern mit vielen Displaced Persons wie Bayern. Dagegen gab es gerade für Anwälte in Israel -wenige zahlungsfähige Mandanten, in Deutschland war ein gewisser finanzieller Gewinn durch die - an sich unzulässige, aber von allen praktizierte - erfolgsabhängige Honorierung gesichert. Dem neuen Rechtsgebiet der Wiedergutmachung wandten sich aufgrund seiner Komplexität, Kompliziertheit und vor allem scheinbaren Kurzlebigkeit zunächst wenige Juristen in Deutschland zu; so sahen gerade jüdische Juristen in der Rückerstattung und der Entschädigung eine Nische, in der sie ihre Chance bekamen.

Ein gutes Beispiel dafür ist der schon häufiger erwähnte Walter Schwarz. Er hatte als Anwalt in Haifa Schwierigkeiten, wirklich Fuß zu fassen, in Deutschland avancierte er zu einem der führenden Köpfe der Wiedergutmachung. Schwarz selbst berichtet in seiner Autobiographie, wie schwer es für ihn als "späten" Juristen war, in Israel Aufträge zu bekommen. Erst nachdem er sich als Wiedergutmachungsanwalt in Deutschland niedergelassen hatte, so meinte er, "wusste ich: niemals mehr würde ich mich um ein Mandat reißen müssen".(120) Seine Erfahrungen innerhalb der Wiedergutmachung halfen ihm dabei, den schwierigen Spagat zu bewältigen: Denn einerseits sah er sich als "Testamentsvollstrecker des jüdischen Volkes", andererseits konnte und wollte er seine innere Bindung zu Deutschland nicht lösen. Bei seinem Engagement für Entschädigung und Rückerstattung erlebte er Verständnis, Kompromissbereitschaft und Entgegenkommen, sodass er sich "nicht in Feindesland" wähnte.

Die rein quantitativ gemessene Erfolgsquote bei Wiedergutmachungsanträgen interessierte ihn dabei nur sekundär. Ihm war wichtiger, auf einen Staat und eine Gesellschaft zu stoßen, die sich diesem schwierigen Problem überhaupt öffneten. Natürlich sah auch und gerade Schwarz als einer der besten Kenner der Materie die zahlreichen Schwachstellen der Wiedergutmachung; und er machte mit seiner außergewöhnlichen stilistischen Begabung auf jede Ungerechtigkeit, jede Ungereimtheit, jeden Skandal, den er entdeckte, aufmerksam.(121) Doch gleichzeitig identifizierte er sich so sehr mit der deutschen Wiedergutmachung, dass seine Bilanz der bundesdeutschen Wiedergutmachung äußerst positiv ausfiel: "Die Wiedergutmachung", so seine feste Überzeugung, "dieses zu Unrecht verdrängte Stück deutscher Zeitgeschichte, wird später einmal historischen Glanz erhalten."(122)

Allerdings, und das wusste Schwarz natürlich auch, vermochten weder Rückkehr noch Wiedergutmachungsleistungen die traumatischen Eindrücke von Verfolgung, Vertreibung und Flucht wirklich rückgängig zu machen; die Rückkehr erfolgte daher bei vielen nur "unter Vorbehalt".(123) Zudem sollte nicht übersehen werden, dass sich in manchen Fällen die Durchführungspraxis sowie die Abwehrhaltung der Bevölkerung gegen die Wiedergutmachung auch hemmend in Bezug auf eine Rückkehr nach Deutschland auswirkte. Viele Remigranten blieben fremd in ihrer Heimat, auch nachdem sie zurückgekehrt waren. Gerade die jüdischen ehemals Verfolgten stießen als "anstößige Zeugen dessen, was geschehen war" mitunter auf offene Abwehr in der Bevölkerung.(124)

Überdies standen sie in den Augen der ehemaligen "Volksgenossen" - gleichgültig, ob sie in der Entnazifizierung oder für die Wiedergutmachung tätig waren - auf Seiten der Besatzer. Die Rückkehr aus Exil und Emigration wurde in der Nachkriegszeit als Tabu, beinahe als öffentliches Ärgernis behandelt.(125)

Trotz aller dieser Vorbehalte und Einwände kehrte eine größere Zahl jüdischer NS-Opfer nach Bayern bzw. Deutschland zurück. Für die Entscheidung, nach 1945 zurückzukommen und womöglich sogar zu bleiben, gab es ganz unterschiedliche Gründe. Natürlich trugen auch Sentimentalitäten zum Wunsch nach Remigration bei - obwohl es unter Juden verpönt war, von "Heimweh" nach Deutschland zu sprechen.(126) Die Wiedergutmachung spielte dabei eine nicht unbedeutende Rolle: Sie konnte Anlass, Bedingung, Ursache oder auch schlicht Vorwand sein für die Rückkehr in ein Land, das noch wenige Jahre zuvor die Vernichtung jeder Form von jüdischer Existenz zum politischen Kernprogramm hatte. Hendrik van Dam, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, meinte rückblickend sogar, die Wiedergutmachung sei "ein erheblicher Faktor" für die Remigrationsbewegung der Juden nach Deutschland gewesen.(127)

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Anmerkungen:
(93) Vgl. u.a. Richarz, Juden, S. 14.
(94) Zit. nach Brenner, Epilog, S. 35.
(95) Walter, Bemerkungen, S. 172.
(96) Lehmann, Rückkehr, S.44. Zur neuesten Literatur bzgl. Emigration/Remigration vgl. Stöver, Emigration, S. 619-621.
(97) Es existiert keine amtliche Statistik darüber, wie viele Remigranten nach 1945 nach Deutschland kamen, man schätzt jedoch, dass etwa 35.000 bis 40.000 deutschsprachige politische Emigranten nach Deutschland zurückkehrten, dagegen nur etwa 10.000 jüdische Flüchtlinge: Vgl. Lehmann, Rückkehr, S. 62f.
(98) Abzulesen ist das beispielsweise daran, dass in den Jahren der großen bundeseinheitlichen gesetzlichen Wiedergutmachungsregelungen (1953, 1956, 1957) die Anmeldungen nach Grundgesetz Art. 116/2 (Wiedereinbürgerung) besonders hoch waren; vgl. Statistik bei Lehmann, Wiedereinbürgerung, S. 100f.
(99) Vgl. Winstel, Remigration.
(100) Winstel, Wiedergutmachungs-Anwalt, Abs. 13.
(101) Hier und im Folgenden zit. nach Jürgens, Emigration, S. 110; vgl. auch Schmuckler, Gast, S. 117ff.
(102) Vgl. z.B. im oben genannten Fall Hannah Schäler bewilligte er 400 DM (Aktennotiz Generalanwalt an Amtskasse vom 17.8.1949, BayHStA, E 78.070). Diese Beträge wurden dann später, sofern Entschädigungsansprüche festgestellt wurden, mit diesen verrechnet.
(103) In den Einzelfallakten der Wiedergutmachungsämter finden sich mehrere derartige Fälle.
(104) Zit. nach Brenner, Holocaust, S. 174.
(105) Kliner-Fruck, Überleben, S. 184.
(106) Webster, Jüdische Rückkehrer, S.61.
(107) Hier und im Folgenden vgl. Münzel, Kontinuität.
(108) Erst ab Mitte der 1950er Jahre herrschte wirtschaftliches Wachstum, u.a. dank der deutschen Wiedergutmachungsleistungen aus dem Luxemburger Abkommen. Vgl. dazu u.a. Ginor, Impact.
(109) Lehmann, Rückkehr, S. 56f.
(110) Vgl. z.B. § 14/8 oder § 17/3 des BErgG.
(111) van Dam, Juden, S. 907f. Das galt nicht nur für Bayern, sondern auch für andere Bundesländer, insbesondere die Großstädte. Vgl. dazu auch das laufende Projekt von Matthias Langrock (Universität Bochum) zur Wiedergutmachung in Köln.
(112) §24, Abs. 4 und 9 der Dienstanweisung des BayMF zur Durchführung des BEG vom 14.11.1956, BayMF, O1470-25/1.
(113) Kliner-Fruck, Überleben, S. 168.
(114) Vgl. etwa den Rückerstattungsfall der Familie W. in: OFD/N, Verzeichnete RE-Fälle München/2403.
(115) Dabei konnten auch ganz praktische Hilfen wie etwa in der wichtigen Wohnraumfrage zur Rückkehr bzw. zum Bleiben beitragen. In Nordrhein-Westfalen etwa gab es in den 1950er Jahren eigene Wohnungsbauprogramme für NS-Verfolgte und - analog zu den Vertriebenen- und Flüchtlingsprogrammen — Hilfen bei der Wohnungssuche für jüdische Remigranten: Vgl. Wagner, Sozialstaat, S. 191-194. Für Bayern sind solche Programme, die über konkrete Hilfsmaßnahmen im Rahmen der Wiedergutmachung hinausgingen, jedoch nicht bekannt.
(116) Webster, American Relief, S. 306.
(117) Wobei alle drei unterschiedliche Wege hinter sich hatten: Neuland hatte es geschafft, die Verfolgung in München zu überstehen; Kossoy war aus Polen nach Palästina geflüchtet und erst Anfang der 1950er Jahre gekommen, während Siegel - Spross einer bekannten jüdischen Münchener Juristenfamilie - als klassischer Remigrant zu gelten hat. Zu Edward Kossoy vgl. Winstel, Wiedergutmachungs-Anwalt, zu Uri Siegel vgl. Winstel, Remigration.
(118) Etwa die zahlreichen deutsch-jüdischen Anwälte der URO oder der JRSO. Zu nennen wären in diesem Zusammenhang etwa Fritz Goldschmidt, Kurt May oder Ernst Katzenstein; vgl. dazu Hockerts, Anwälte sowie Lissner, Rückkehr, S. 86.
(119) Lissner, Rückkehr, S.75.
(120) Hier und im Folgenden Schwarz, Frucht, S. 129.
(121) Zusammengefasst in Schwarz, Wind.
(122) Schwarz, Frucht, S. 155; übrigens steht Walter Schwarz mit seiner Beurteilung unter den jüdischen Wiedergutmachungsanwälten nicht alleine da. Auch Kempner beispielweise urteilte ähnlich positiv; Kempner, Ankläger, S. 3H0.
(123) Krauss, Heimkehr, S.7f.
(124) Schlör, Exil, S. 156; vgl. auch Webster, Jüdische Rückkehrer, S. 62-74.
(125) Papcke, Exil, S. lOf.
(126) Ebenda, S. 53.
(127) van Dun, Juden, S. 908.

hagalil.com 29-11-06











 

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