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Aus Solidarität:
"Was ich den Juden schon immer mal sagen wollte"

Von Jörg Rensmann

Das von Nea Weissberg-Bob herausgegebene, aus gegebenem Anlass nicht zuletzt aus Solidarität für Dr. Michel Friedman entstandene Buch "Was ich den Juden schon immer mal sagen wollte" fokussiert den in Deutschland offen artikulierten Antisemitismus kraft ausgesprochen lesenswerter, wichtiger und für das Buch eigens verfasster Beiträge verschiedener Autorinnen und Autoren wie auch über von der Herausgeberin mit jüdischen und nichtjüdischen Gesprächspartnern geführte Interviews.

In ihrem eigenen Beitrag zitiert Weissberg-Bob die Ausstellungsmacherin Reingard Jäkl, die zum Selbstverständnis von uns nichtjüdischen Deutschen einst anmerkte, dass wir nicht imstande zu begreifen seien, "dass Antisemitismus konstituierender Bestandteil der abendländisch-christlichen Kultur ist, des Geistes also, von dem wir geprägt sind, ob uns das nun gefällt oder nicht."

Zwar liefert die sogenannte Antisemitismus-Debatte, wie es euphemistisch-vernebelnd im Feuilleton hieß, ein in Wirklichkeit antisemitischer Monolog Deutschlands mit sich selbst, den unmittelbaren Anlass für die bemerkenswerte Publikation, ein Monolog, der sich zunächst festmacht vor allem an den Invektiven von Antisemiten wie Walser und Möllemann, welch letzterer in seinen perfiden Angriffen auf Michel Friedman bar jeder Wahrheit jüdische Menschen in und außerhalb Deutschlands zu Verursachern für antisemitische Ressentiments erklärte. Doch reflektieren die Autorinnen und Autoren über den unmittelbaren Anlass hinaus das negativ Besondere einer gesellschaftlichen Totalität in Deutschland, die sich ohne den zunehmend offeneren Antisemitismus überhaupt nicht angemessen erfassen lässt.

Zu bezweifeln ist daher, ob der Antisemitismus in einem Lande noch lebender und nie vor Gericht gestellter Nazis mit dem Begriff "Latenz" hinreichend umschrieben ist, wie das Klaus Schütz in seinem Vorwort tut, dabei anknüpfend an den Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz, für den es einen Antisemitismus ohne Antisemiten gibt.

Henryk M. Broder liefert mit seinem ausgezeichneten Beitrag einen chronologischen Überblick über die jüngeren antisemitischen "Debatten" in Deutschland; zu nennen wären hier besonders die Angriffe des Gossenliteraten Walser auf den verstorbenen Ignatz Bubis, die in dem infamen Vorwurf gipfelten, Bubis als ein der Shoah Entronnener habe zu spät mit der "Aufarbeitung der deutschen Geschichte" begonnen, als sei der in seinem jüngsten literarischen Auswurf Fäkalphantasien zu geduldigem Papier bringende Walser selbst nicht ein prominentes deutsches Beispiel für den Ausfall jeder Reflexion.

Das methodische, nicht zu entschuldigende oder zu verharmlosende, von einem Großteil der Bevölkerung geteilte Ressentiment von Protagonisten wie Karsli, Walser oder Möllemann, der ja die barbarischen Mordanschläge palästinensischer Attentäter gegen Israelis gerechtfertigt hat, dieser Haß ist zuallererst als intendierte Verletzung jüdischer Menschen in und außerhalb Deutschlands gerade von der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft zu begreifen. Antisemitismus, das "Gerücht über die Juden" (Adorno), ist das Problem der Antisemiten, nicht das der Juden, deren reales Verhalten nichts, aber auch gar nichts mit den projektiven Wahnvorstellungen von Antisemiten zu tun hat.

Hajo Funke und Lars Rensmann untersuchen in ihrem wissenschaftlichen Beitrag die Interdependenzen von Rechtspopulismus in der FDP und Antisemitismus; zur antisemitischen Wahrnehmungsstruktur der Möllemann und Haider zähle, sich in eine "Notwehrsituation" zu phantasieren, als seien nicht sie selbst die antisemitischen Überzeugungstäter.

Von einem entschiedenen, öffentlich wahrnehmbaren, kräftigen Widerspruch gegen die Ausfälle Möllemanns etwa seitens nichtjüdischer deutscher Intellektueller oder Politiker kann keine Rede sein, wie Susanne Thaler für den Bereich der FDP im Gespräch mit der Autorin konstatieren muss. Nach "bewährter" deutscher Arbeitsteilung alleingelassene Widerspruchsinstanz gegen die Zumutungen war einmal mehr der Zentralrat der Juden, der nach antisemitischem Muster von der Mehrheitsbevölkerung als unwillkommene und nicht länger benötigte, vom schwachen Individuum wie von dem ihm tief ähnlichen Kollektivgebilde abgespaltene Moral wahrgenommen wird.

Jürgen Müller-Hohagen entwirft in seinem Buchbeitrag die psychologische, gleichsam gesellschaftlich subkutane Struktur der deutschen Erinnerungs- und Schuldabwehr, indem er, darin Adorno ähnlich, zunächst ausführt, dass noch die menschliche Phantasie nicht an das heranreiche, "was deutsche Menschen und ihre Verbündeten Juden angetan haben, und zwar real, nicht in irgendwelchen Phantasien". Um ein Bewusstsein von eigener Schuld und Verantwortung abzuwehren, imaginieren sich deutsche Täter und ihre Enkel zu "Opfern" und wähnen sich von jüdischen Menschen verfolgt; die Erinnerung an das Monströse der deutschen Tat wird vom Ich abgespalten und auf jüdische Menschen projiziert, die als störend, den eigenen Narzissmus kränkend und die Identifikation mit der eigenen Nation gefährdend wahnhaft wahrgenommen werden.

Der Antisemit Möllemann ist nach wie vor in Parteiamt und Würden, seine Ausfälle blieben folgenlos, die nach eingeschliffener, gesellschaftlich wie familiär vermittelter Psyche sich verhaltenen autoritären, ich-schwachen Charaktere und offenen Antisemiten dürfen sich bestätigt fühlen. Der antisemitische Monolog Deutschlands mit sich selbst hat ausgelotet, was Juden in Deutschland unverschämterweise und sanktionslos zugemutet werden kann. Zu konstatieren ist, dass im Nachkriegsdeutschland die aggressive Erinnerungs- und Schuldabwehr, wie sie sich zentral in der kollektiven Abwehr gegen die legitimen und legalen Kompensationsforderungen von Shoah-Überlebenden manifestiert, derart identitätsstiftend und integrierend für die gesamte deutsche Gesellschaft wirkt, dass von einer nach außen oft und gern bekundeten, angeblich erfolgreichen "Aufarbeitung" der mörderischen deutschen Vergangenheit überhaupt keine Rede sein kann.

Karin Weimann, Studiendirektorin aus Berlin, insistiert in ihrem Buchbeitrag darauf, dass die "Tatschuld, Unterlassensschuld, Redeschuld, Schweigeschuld" (Jean Améry) der Deutschen von diesen nie angenommen worden ist, stattdessen setzte ein "Beschweigen" ein, wo nicht als Deckerinnerung die kollektive Rede über "zerbombte Städte, Vertreibungen, Kälte" ging, um sich selbst als "Opfer" des selbst initiierten, antisemitisch motivierten Angriffskrieges vorzustellen und damit die eigentlichen Opfer der Deutschen zu stigmatisieren, sie erneut auszugrenzen und die wenigen Überlebenden des historisch präzedenzlosen Verbrechens, der Shoah, zu entwürdigen. Eine Auseinandersetzung nichtjüdischer Deutscher mit den Tätern in den eigenen Familien fand und findet so gut wie nicht statt.

So findet man hierzulande selten Empathie mit schwerst traumatisierten Shoah-Überlebenden, überhaupt kaum Sensibilität im Umgang mit den Leidenserfahrungen der lebenslang gezeichneten Menschen. Auch Ängste und Wünsche der vitalen jüdischen Gemeinschaft in Deutschland werden von Nichtjuden nicht wahrgenommen und reflektiert.

Stattdessen überwiegt das Bedürfnis nach ungebrochener Identifikation mit einer Nation, deren vorgebliche Normalität nur um den Preis von Ausblendung und Nivellierung der Shoah zu haben ist, wo sich nicht noch oder schon wieder umstandslos mit der deutschen Vernichtungstat identifiziert wird. Die Vorboten sind klar zu erkennen. Nicht nur zerstören deutsche Nazis unter deutlichen antisemitischen Losungen immer wieder jüdische Friedhöfe und Orte der Erinnerung an die Leiden der von Deutschen Drangsalierten und Ermordeten, um damit die bestimmte Erinnerung an das deutsche Menschheitsverbrechen zu tilgen. Längst auch werden an die Überlebenden des deutschen Vernichtungswahnes etwa in Tschechien unverschämte eigene Forderungen gestellt, und zwar unter der Ägide und unter tatkräftiger Mithilfe einer rot-grünen Bundesregierung.

 
Nea Wiessberg-Bob (Hrsg.): "Was ich den Juden schon immer mal sagen wollte..." Beiträge und Interviews
ISBN 3-929905-16-7
270 Seiten Hardcover
Preis 15,50 EUR
LICHTIG VERLAG Berlin 2002

hagalil.com 12-09-02











 

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