Karin Wieland:
Die Geliebte des Duce
Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus
Carl Hanser Verlag 2004
Euro 24,90
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Margherita
Sarfatti:
Die erfolgreichste
PR-Managerin des Faschismus
Von Christian Saehrendt
Geboren 1880 im Ghetto Vecchio Venedigs, entkommt Margherita Grassini der
stickigen Atmosphäre des reichen und traditionellen Elternhauses durch die
Heirat mit dem wohlhabenden Anwalt Cesare Sarfatti. Das Paar lebt in Mailand
und bewegt sich bald ins Zentrum der Arbeiterbewegung. Im Salon der
russischen Emigrantin Anna Kuliscioff trifft sich die sozialistische Elite
der Stadt. Hier lernt Margherita Sarfatti den Salon als politisches Forum
kennen, die alternde graue Eminenz Kuliscioff ist für sie Vorbild und
Konkurrentin zugleich.
Während ihr Mann in der Parteihierarchie aufsteigt, erwirbt sich Margherita
Sarfatti einen Ruf als Kunstsammlerin und –kritikerin. Sie interpretiert und
fördert die Futuristen um Filippo Tommasio Marinetti, die Gewalt und Haß als
Movens einer neuen Kunst propagieren. Im Salon Kuliscioffs trifft Sarfatti
auf den Journalisten Benito Mussolini. Der notdürftig ausgebildete
Volksschullehrer hatte sich vor dem Wehrdienst gedrückt und war jahrelang im
Ausland auf Wanderschaft gewesen.
Sein Auftreten war plebejisch und linkisch, doch sein körperbetontes
Auftreten sorgte in der geriatrischen Atmosphäre der Jahrhundertwende für
Aufsehen. Um seine Virilität und Jugendlichkeit zu demonstrieren, trug er zu
enge Anzüge, rasierte sich glatt, grimassierte und rollte mit den Augen –
ein Novum in der politischen Arena. Hier wird die Parallele zu Hitlers
Biographie sichtbar: Auch er war ein gesellschaftlicher Außenseiter, der
erst im Laufe der 1920er Jahre durch bürgerliche Berater seinen Stil fand.
Sarfatti schließt sich Mussolini als Geliebte und Beraterin an, verpaßt ihm
den gesellschaftlichen Feinschliff, schärft sein Bewußtsein für die
Hochkultur. Sie arbeiten zusammen in der Redaktion des Avanti. Im
Herbst 1914 vollzieht sie seinen Wandel vom radikalen Kriegsgegner zum
Interventionisten nach. Gelockt von umfangreichen Versprechen der
Alliierten, eint die Gier auf Beute Nationalisten, Teile des Bürgertums und
der künstlerischen Avantgarde.
Italien tritt auf Seiten der Alliierten in den Krieg ein, Mussolini wird aus
der sozialistischen Partei ausgeschlossen, kann aber flugs eine neue,
nationalistische Zeitung, den Popolo d’Italia, gründen. Der Krieg
verläuft nicht nach dem Geschmack der Italiener, die verlustreiche
Niederlagen auf eigenem Territorium erleiden. Sarfattis Sohn Robert fällt,
Mussolini wird bei einer Militärübung hinter der Front schwer verletzt.
Italien wird mit dem Gewinn Südtirols für sein Durchhalten belohnt, doch die
Nationalisten wollen mehr. Der Dichter Gabriele D’Annunzio besetzt mit einer
Privatarmee den Adriahafen Fiume, heute Rijeka. In Italien toben
bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen Kommunisten, Sozialisten und der
neuen faschistischen Bewegung um Mussolini, Marinetti und D’Annunzio.
Mussolini wird 1922 Ministerpräsident und kann über mehrere Etappen die
faschistische Diktatur einführen. Damit bietet sich auch für Sarfatti ein
Maximum an politischer Einflußnahme. Da ihr als Frau hohe politische Posten
verwehrt bleiben, schafft sie sich im Bereich der Kunstpolitik ein
Ersatzfeld. Sie versucht, die von ihr inspirierte und geförderte
Künstlergruppe Novecento zur neuen Staatskunst aufzuwerten. Mussolini
erkennt, daß die Identifikation des Faschismus mit moderner Kunst einen
ungeheueren Gewinn an Reputation bringen kann, lassen sich doch auf diese
Weise die illegitimen und gewalttätigen Aspekte seiner Diktatur überdecken
Höhepunkt des gemeinsamen Weges Sarfattis und Mussolinis ist die Ausstellung
Prima Mostra D’Arte Del Novecento Italiano, die Mussolini 1926
persönlich eröffnet. Die Erhebung der gemäßigten Modernen um Mario Sironi zu
Staatskünstlern scheint unvermeidlich. Auch die Biennale in Venedig gewinnt
als künstlerisches Aushängeschild des Regimes neues Gewicht. Sarfatti
befindet sich auf dem Höhepunkt: Sie organisiert Verkäufe,
Auslandsausstellungen, besitzt gute Kontakte zur Berliner Nationalgalerie.
Schon im Vorjahr hatte sie sich als Biographin Mussolinis auf dem
Anglo-Amerikanischen Buchmarkt profilieren können. The Life of Benito
Mussolini trug dazu bei, daß Mussolini in der amerikanischen Presse zum
Star avancierte und sie selbst als "First Lady" Roms betitelt wurde.
Sarfatti steigt bei ihren USA-Besuchen im New Yorker Waldorf Astoria ab,
trägt die schrille Mode der Designerin Elsa Schiaparelli, läßt sich ein
Kleid von Salvador Dalí bemalen. Während sie noch zu Beginn der 1930er Jahre
im Westen als prominente Botschafterin eines Faschismus auftritt, der eine
Allianz mit der künstlerischen Avantgarde eingegangen ist, verliert sie in
Italien rasch an Rückhalt. Mussolinis Diktatur ist nun gefestigt. Er braucht
das Bündnis mit der Kunst nicht mehr und wendet sich imperialen Plänen zu.
Gleichzeitig gewinnen in der faschistischen Bewegung antisemitische
Tendenzen und die Gegner moderner Kunst an Gewicht: Der Futurismus wird
historisiert, die Biennale kippt zurück zu einer konservativen
Kunstausstellung. Mussolini läßt seine Geliebte, Ghostwriterin Beraterin und
inoffizielle 'Kunstministerin' fallen. In rasender Geschwindigkeit verliert
sie alle Posten, Publikationsmöglichkeiten. Sie wird nicht mehr von
Mussolini empfangen, wird geschnitten, ignoriert. Wie in der Sowjetunion, wo
in Ungnade gefallene Genossen auch rückwirkend aus historischen Dokumenten
und Fotographien herausretouchiert werden, so wird jetzt auch Sarfattis
historische Rolle in der faschistischen Bewegung negiert und getilgt.
Im November 1938 übernimmt Italien die antijüdische Gesetzgebung des
Deutschen Reichs. M. Sarfatti geht ins Pariser Exil. Sie möchte eigentlich
nach Amerika, gilt nun aber auch dort als persona non grata. Schließlich
verbringt sie die vierziger Jahre in Buenos Aires und Montevideo, noch immer
von ihrem Vermögen zehrend. Nach dem Krieg kehrt sie nach Italien zurück,
lebt unbeachtet bis zu ihrem Tod 1961 in ihrem Landhaus bei Como. Bis
zuletzt blieb sie überzeugt, daß der Faschismus gut war, doch Mussolini habe
ihn an die Deutschen verkauft.
Karin Wieland hat eine politische Biographie über eine Frau geschrieben,
deren Wirken im Schnittpunkt von Kunstgeschichte und politischer Geschichte
stattfand. Frauenemanzipation, Arbeiterbewegung und künstlerische Avantgarde
prägten ihre Persönlichkeit. Kriegshetze, Nationalismus und der totalitäre
Traum von einer Moderne als faschistischer Staatskunst waren ihre
politischen Ziele. Sie stand immer im Schatten ihres Gefährten Benito
Mussolini, konnte ihn zeitweilig aber stark beeinflussen. Entscheidende
Dienste leistete die großbürgerliche Kunstsammlerin, -Kritikerin und
Salonnière Margherita Sarfatti für den Faschismus, indem sie den linkischen
Mussolini buchstäblich salonfähig machte, seine Biographie verfaßte, vor
allem aber die moderne Kunst für das neue System einzuspannen versuchte.
Wieland breitet ein weites Spektrum der künstlerischen und politischen
Bewegungen Italiens in den Jahren zwischen 1870 und 1922 aus, verliert sich
z. T. in etwas weitschweifigen Paraphrasen und Exkursen. Manche Passagen
wirken redundand und man wünschte sich manchmal eine pointiertere und
plastischere Darstellung. Überzeugend ist die Aufteilung des Buch in die
drei prägenden Lebensstationen Sarfattis: Venedig steht für ihre Herkunft,
Mailand für ihren Aufstieg, Rom für den Gipfel und den Verfall ihrer
Karriere.
Doch bei allem Faktenreichtum bleibt Wielands Protagonistin seltsam
unpersönlich und leblos, wirkt maskenhaft, ohne emotionales Innenleben, ohne
Zweifel und existenzielle Krisen. Sarfatti erscheint als herrischer und
karrieristischer Charakter, sie scheint allein vom Streben nach Macht und
öffentlicher Präsenz angetrieben zu werden. Dieses Bild ergibt sich aus
Wielands Quellenauswahl. Sie hat hauptsächlich offizielle Publikationen und
Erinnerungen Sarfattis verwendet, private Briefe, Tagebuchaufzeichnungen und
Zeitzeugenberichte fehlen.
Christian Saehrendt ist
Lehrbeauftragter am Institut für Geschichte der Humboldt-Universität zu
Berlin, Lehrstuhl Prof. Dr. Winkler, mit dem Schwerpunkt: Kunstgeschichte im
sozialen und politischen Kontext. Seit 2000 arbeitet er in Kooperation mit
Universitäten und Forschungseinrichtungen an Forschungsprojekten über
politische Denkmäler, internationale Kulturbeziehungen und die
Künstlergruppe 'Brücke'. Aktuelles Forschungsprojekt: Kunstausstellungen als
Mittel auswärtiger Kulturpolitik in der DDR und der Bundesrepublik.
1995-2000 Künstlerische Arbeit im Rahmen der Gruppe "Neue
Anständigkeit" in Berlin.
hagalil.com
29-03-06 |