Martin Schäuble, Noah Flug:
Die Geschichte der Israelis und Palästinenser
Carl Hanser Verlag 2007
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Anstelle eines Nachwortes:
"Das ist unser Zuhause"
Leseprobe
Keine der Nahost-Konferenzen brachte den Menschen bislang
einen dauerhaften Frieden. Einen Ausweg aus der Gewaltspirale suchen
israelische und palästinensische Organisationen oft mit internationaler
Hilfe. Manche führen junge Israelis und Palästinenser zusammen, damit
sie über ihr Schicksal reden – und zwar in einem Friedenscamp im
Ausland, weit weg von alltäglichen Einflüssen.
Der 16-jährige Palästinenser Aiyub Tutundschi lernte auf
diese Weise den gleichaltrigen Israeli Elad Schachar kennen. "Ich sah
Elad zum ersten Mal bei einem Vortreffen in Jerusalem. Etwa zwanzig
Leute saßen in einem Raum zusammen. Er kam zu spät und war der einzige
Teilnehmer mit einer Kippa. Ich war etwas schockiert und wunderte mich,
dass so jemand in ein Friedenscamp geht. Ich hatte zuvor noch nie mit
Israelis gesprochen. Ich dachte gar nicht daran, ich dachte, es ist
reine Zeitverschwendung."
Der Israeli Elad Schachar hatte dagegen schon Erfahrungen mit
der anderen Seite gemacht. "Ich hatte schon mal mit Palästinensern
geredet. Es war nie ein normales Gespräch. Ich wusste nicht, dass Aiyub
Palästinenser ist. Wenn ich ein Bild mit zwei Menschen vor mir sehe und
gefragt werde, wer ist der Palästinenser und wer der Jude – das könnte
ich nicht sagen, es gibt kein bestimmtes Merkmal. Erst als er seinen
Namen gesagt hat, da war mir es sofort klar, dass er Palästinenser ist.
So nennt sich kein Jude [Aiyub ist der arabische Name für Hiob, eine bei
religiösen Juden umstrittene Figur im Alten Testament]."
Das erste Gespräch zwischen beiden ergab sich erst auf der
anderen Seite des Atlantiks, in einem Friedenscamp in New York. Aiyub
erinnert sich: "Wir mussten uns im Camp ein Zimmer und ein Hochbett
teilen. Ich schlief oben, er unten. Ich redete mit Elad zum ersten Mal
in diesem Zimmer. Wir fingen an, uns kennenzulernen." Elad weiß noch,
worüber er mit Aiyub beim ersten Mal diskutierte. "Wir sprachen über
alles, nur nicht über Politik. Wir redeten über Musik, Kinofilme und die
Mädchen im Camp. Ich fand es anfangs ziemlich verrückt, mit einem
Palästinenser in einem Zimmer zu schlafen. In dem Camp waren rund 60
Leute aus der ganzen Welt. Es ging um die Konflikte zum Beispiel in
Nordirland, in Südafrika und um uns. Einmal suchten sie zwei
Freiwillige, die vor der ganzen Gruppe diskutieren mussten. Alle zeigten
auf Aiyub und mich, sie wollten etwas erleben. Wir hatten am Vortag
einen Streit. Eigentlich sollten wir da nur eine Präsentation machen,
doch wir unterbrachen uns gegenseitig, fingen sogar an zu schreien."
Aiyub denkt ungern zurück an diesen Tumult. "Wir waren
richtig schlecht. Sie brachten uns später in dem Camp bei, wie zugehört
und diskutiert wird." Ein wichtiges Thema für Aiyub war die Situation im
Gazastreifen. "Die Israelis sagen, sie hätten die Siedlungen freiwillig
geräumt und das Gebiet den Palästinensern übergeben. Nach meiner Meinung
haben die Israelis den Gazastreifen verlassen, weil sie die Lage nicht
mehr kontrollieren konnten. Wir sind uns in vielen Dingen nicht einig."
Der Israeli Elad sieht das ähnlich. "Es ist fast unmöglich,
über den Konflikt zu sprechen. Was für Aiyub Fakten sind, sind für mich
keine und andersherum. Die Palästinenser sagen, wir seien in Gaza
davongerannt. Wir sehen das aus einem ganz anderen Blickwinkel. Und das
Camp hat es mir ermöglicht, Dinge auch von der anderen Seite zu sehen.
Ich lebte auf einmal mit Menschen zusammen, die ich zuvor als meine
Feinde betrachtet habe. Doch Aiyub hasste mich nicht. Er akzeptierte,
dass ich existiere. Die Palästinenser, die ein paar hundert Meter von
meiner Stadt entfernt leben, machen das nicht. Die sehen mich nicht
einmal an. Jeden Freitag nach dem Gebet werfen sie Steine nach uns.
Einmal platzierten sie eine Bombe bei unserem Nachbarn vor der Haustür.
Er verlor eine Hand. Jetzt trennt uns ein Zaun von dem palästinensischen
Dorf."
Aiyub erzählte Elad von seinen Erlebnissen mit Israelis.
"Einmal wollte ich zum Basketballspielen nach Jerusalem, in die
Altstadt. Am Neuen Tor standen zwei Polizisten, es war während des
Freitagsgebetes, sie ließen daher keine jungen Palästinenser rein. Dann
stritt ich mich mit der Polizistin, ich schrie, und sie schrie zurück.
Dann drückte sie mich mit ihrem Schlagstock weg, es kam zu einem
Gerangel, und sie brachten mich aufs Revier. Ich hatte richtig Angst.
Sie fragten mich nichts, sondern ließen mich nur warten. Nach fünf
Stunden durfte ich nach Hause."
Für Elad hat sich nach dem Friedenscamp viel verändert. "Ich
dachte, es gibt keine Chance für Frieden. Ich war der Meinung, wir
brauchen Barrieren und Mauern, um uns zu schützen. Aber es gibt viele
Leute wie Aiyub, nur leider nicht in der palästinensischen Regierung.
Dasselbe gilt für mich und meine Regierung. Viele sind zu stolz und
dickköpfig. Leute wie Aiyub und ich müssten uns mehr durchsetzen. Das
gilt auch in der eigenen Familie, ich muss meinen Geschwistern zeigen,
dass es nicht nur eine Meinung gibt. Es ist dumm, Aiyub zu hassen, nur
weil jemand mit seiner Religion jemanden umgebracht hat, den ich kenne."
Aiyub zieht ein ähnliches Fazit. "Auf beiden Seiten gibt es
schlechte Leute. Elad und ich glauben zwar an unterschiedliche Fakten,
aber wir können miteinander reden. Wenn wir beide es schaffen, im selben
Zimmer zu wohnen, dann muss es doch möglich sein, friedlich am gleichen
Ort zu leben. Für mich heißt das Land Palästina, für Elad Israel. Über
den Namen können wir uns später streiten, wenn sich beide Völker
anerkennen und alle die gleichen Rechte haben. Wir kämpfen seit über 60
Jahren gegeneinander. Nichts wurde erreicht. Beide Seiten haben so viel
Zeit verschwendet, um einen eigenen Staat zu haben. Wieso nicht Zeit für
Frieden verschwenden?"
Radikale Argumente lehnt auch Elad ab. "Manche Israelis
sagen, die Palästinenser sollen zurück in die arabischen Nachbarländer.
Aber das ist so, als wenn wir Juden dahin zurück sollen, wo wir
herkommen. Ich bin von hier, ich habe keinen Ort, wohin ich zurückkann.
Das Gleiche gilt aber auch für Aiyub. Wir sind hier, das ist unser
Zuhause, und wir müssen eine Lösung finden."
hagalil.com
26-11-07 |