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Götz Aly:
Hitlers Volksstaat.
Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus

S. Fischer Verlag 2005
Euro 22,90

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Gefälligkeitsdiktatur:
Götz Alys "Hitlers Volksstaat"

Von Julia Anspach

"Wenn ihr den Nachschub laufend regelt, so wie es jetzt läuft, brauche ich die Herrlichkeiten des 'schwarzen Marktes' nicht vorüberziehen zu lassen...ich bin wirklich glücklich, wenn ich etwas schicken kann." Dies schreibt Heinrich Böll in einem Brief von der Front an seine Familie während des Zweiten Weltkrieges, zitiert von Götz Aly in seinem pünktlich zum 60. Jahrestag der Befreiung Nazi-Deutschlands durch die Alliierten erschienenen Buch "Hitlers Volksstaat". Mit Nachschub meint Böll hier Geld, das er von seiner Familie anforderte, um weitere Mengen Lebensmittel und Genusswaren erstehen und in die Heimat senden zu können.

Gerne zitiert Aly den katholischen Böll, bietet dieser sich doch fast an, um zu demonstrieren, dass es auch Anti-Nazis gab, die sich aktiv an den Beutezügen der deutschen Wehrmacht durch Europa beteiligten. "Deutsche Soldaten kauften die Länder Europas buchstäblich leer. Sie verschickten Millionen Feldpostpäckchen von der Front in die Heimat. Adressaten waren hauptsächlich die Frauen", schreibt Aly. Heinrich Böll war einer von ihnen und damit ein wunderbares Beispiel, das die Hauptthese von Götz Aly stützen kann: Beim Nationalsozialismus handelte es sich um eine "Gefälligkeitsdiktatur".

Das Deutsche Reich machte sich die Bevölkerung gefällig, erkaufte sie durch materielle Zuwendungen. Demzufolge mussten die aktiven Unterstützer des Nationalsozialismus noch lange keine überzeugten Nationalsozialisten sein. Die Zuwendungen, durch die der Deutsche Staat seine Volksgemeinschaft erkaufte, verschaffte er sich durch Raubmord: Die besetzten Staaten wurden ausgeplündert, die Habe der ermordeten Juden floss in den Staatshaushalt, ihre Möbel entschädigten Deutsche, deren Wohnungen durch Bomben zerstört waren, das System der Zwangsarbeit kam den Deutschen Kassen zugute. Vom "konsequentesten Massenraubmord" der Geschichte profitierte schließlich die gesamte Bevölkerung.

Zu horrenden Besatzungskosten und Kontributionszahlungen zwang das Deutsche Reich die besetzen Staaten. Alle militärischen Leistungen wurden aus dem Besatzungskostenhaushalt bestritten, der Sold der deutschen Soldaten wurde in der Währung des Landes bezahlt, in das sie einmarschiert waren. Warenlieferungen wurden an die Bevölkerung im Kernreich geschickt, selbst wenn die einheimische Bevölkerung Hunger litt. Gleichzeitig wurden deutsche Soldaten dazu animiert, ihren Sold an Ort und Stelle auszugeben. Auf diesem Wege konnte die Inflation exportiert werden. Während den Familien in der Heimat aufgrund verschiedener sozialpolitischer Maßnahmen wie der Einführung von tariflichem Urlaubs- und Kindergeld, der Steuerfreiheit von Einnahmen durch Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit und in erster Linie der Verschonung von Kriegssteuern, die nur den besser verdienenden Teil der Bevölkerung trafen, zum Teil mehr Geld als in Friedenszeiten zur Verfügung stand, sanken die erhältlichen Waren. Also sendeten die Familien das Geld den Soldaten an die Front und erhielten im Gegenzug Waren im Überfluss: von Seidenstrümpfen bis zu Heringen. Dieses geht aus zahlreichen privaten Feldpostbriefen hervor, die Aly als Quellen heranzieht. Sie sollen außerdem die antinazistische Gesinnung der Soldaten belegen und somit Alys zugrundeliegende These, die Unterstützung des nationalsozialistischen Regimes durch die Bevölkerung sei im wesentlichen erkauft worden, stützen. Für diese weitreichende These erscheint die Lage der hinzugezogenen Quellen jedoch quantitativ ein wenig dünn.

Auch eine gesetzliche Maßnahme bezeugt die ausbeuterische Betriebsamkeit der Soldaten: der Schlepperlass. Hierbei handelte es sich um einen Erlass Görings, in dem festgelegt wurde, dass jeder Soldat so viele Pakete mit auf Fronturlaub nehmen durfte, wie er schleppen konnte. Später wurde das Gewicht auf einen Zentner beschränkt.

Nicht zuletzt war es das System der Zwangsarbeit und die Vernichtung der Juden, aus dem das Deutsche Reich seinen Wohlstand schöpfte. So erläutert Aly, wie schon 1938, als die Regierung aufgrund einer Kreditkrise den Staatbankrott fürchten musste, durch die so genannte Arisierung jüdischen Eigentums sowie die der jüdischen Bevölkerung abgepressten Bußzahlungen im Anschluss an die Reichsprogromnacht das finanzielle Loch des Deutschen Reiches gestopft wurden. Bei neun Prozent der Reichseinnahmen lagen die zusätzlichen Einnahmen, die im Haushaltsjahr 1938/39 aufgrund der genannten Maßnahmen verzeichnet wurden.

Am Beispiel der Ermordung der jüdischen Bevölkerung Salonikis zeigt Aly, wie mit dem Gold dieser Juden (Aly zufolge soll es sich um 12 Tonnen Gold bei einer Bevölkerungszahl von 42 000 Menschen gehandelt haben) die Hyperinflation Griechenlands gestoppt wurde. Bis heute wird nach dem Gold am Peleponnes getaucht, es wird zynischerweise gar als "Nibelungenschatz" bezeichnet, doch schon während der Deportationen der Juden Salonikis zwischen Oktober 1942 und März 1943, wurde es an der Börse Athens verkauft, um die Drachme zu stützen. Transaktionen dieser Art gab es einige. Stets flossen die Einnahmen getarnt als allgemeine Verwaltungseinnahmen in den Reichshaushalt.

Wenn auch einige Aspekte dieser Untersuchung nicht neu waren – beispielsweise wies Wolfgang Dreßen schon 1998 darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung aus den Arisierungsaktionen der Nationalsozialisten profitierten – so erscheint das Ausmaß der Beteiligung der Bevölkerung am Profit, der durch Mord und Verbrechen geschöpft wurde, wie sich den Reaktionen entnehmen lässt, offensichtlich doch vielfach überraschend. Dass er "in der Struktur der nationalsozialistischen Steuer- und Sozialpolitik ein linkssozialdemokratisches Grundmuster erkenne", betrachtet Aly selbst als Ursache für das "Unbehagen" an seinen Ergebnissen.

Vielfach kritisiert wurde die Tatsache, dass Aly den Antisemitismus völlig unbeachtet lässt. Aly verteidigt sich damit, seine Untersuchung sei nicht als Gesamterklärung der NS-Zeit zu verstehen und der Antisemitismus sei nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen. Doch das trifft nicht den Kern des Problems. Eine Untersuchung, welche die Beteiligung der Bevölkerung am System des Nationalsozialismus zum Gegenstand hat, kann nicht ohne eine Beachtung des Antisemitismus funktionieren, denn das wesentliche Merkmal dieses Systems war die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Die Propaganda der Nationalsozialisten, die Brandmarkung der Juden als Parasiten, Verräter und Untermenschen lediglich als "banal" zu bezeichnen ist fatal.

Denn was folgt aus Alys Thesen? Die Deutschen unterstützten den Nationalsozialismus, weil sie gekauft wurden, weil ihnen sozial- und steuerpolitische Geschenke zuteil wurden, weil sie in ganz Europa Schnäppchen ergattern konnten. Folglich geschah der Massenmord an den Jüdinnen und Juden aus Habgier, um an jüdisches Eigentum zu kommen. Damit werden Judenhass und Antisemitismus banalisiert. Insofern wird der lästigen Forderung nach einem Schlussstrich Tür und Tor geöffnet. Obwohl Aly betont, wie all die nationalsozialistischen Bürokraten, die hohen und niederen Würdenträger ihre Karrieren ungehindert nach 1945 fortsetzen konnten, wird die Untersuchung einer geistesgeschichtlichen Kontinuität obsolet, wenn man unterstellt, dass die antisemitischen Überzeugungen dieser Menschen nicht das ausschlaggebende Movens in ihrem menschenvernichtenden Handeln waren oder sie, wie Aly, gar als "banal" bezeichnet. Dann bleibt nur noch zu sagen: Wenn Götz Aly von der Verantwortung nach 1945 nicht reden will, dann kann er auch getrost weiterhin vom Antisemitismus schweigen.

Und es zeigt sich eines Tages in der Provinz...

...drei Tage nach dem 60. Jahrestag der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten, einen Tag nach der Einweihung des Holocaust-Mahnmals in Berlin, nicht einmal 24 Stunden nachdem Brigitte Seebacher in der Sendung "Menschen bei Maischberger" von Arno Lustiger verlangte, man solle auch der deutschen Opfer der Alliierten gedenken, stellt Götz Aly irgendwo in einer deutschen Kleinstadt sein umstrittenes Buch vor. In einem mehr als zwei Stunden andauernden Vortrag inklusive Diskussion fällt nicht ein einziges Mal das Wort "Antisemitismus".

Etwa hundert Personen sind gekommen, um Götz Alys Ausführungen zu lauschen. Im Publikum befinden sich zahlreiche sogenannte Zeitzeugen. Aly erzählt, wie er zu dem Thema seines Buches kam, wie er bei Recherchen für ein anderes Buch auf die Kollaboration der ungarischen Behörden bei der Ermordung der einheimischen Juden stieß, auf das "europäische Element des Holocaust". Es solle die deutsche Verantwortung nicht schmälern, betont Aly, es "steht daneben." Er forschte weiter in diese Richtung und gelangte zu der Erkenntnis: Beim nationalsozialistischen Staat handelte es sich um eine "Gefälligkeitsdiktatur". Er erläutert.

Es folgt die Diskussion, der Redebedarf ist groß. Zahlreiche Wortmeldungen, jeder scheint etwas zu sagen zu haben. Warum die Diskussion um Alys Buch mit solcher Schärfe geführt werde, warum die Zunft mit einem solch "massiven Abwehrfeuer" auf das neue Paradigma reagiere. Man diskutiert über die Diskussion, man spricht über Wehler, über Goldhagen schweigt man.

Es meldet sich eine ältere Frau. Sie habe den Krieg bewusst erlebt, erzählt sie, und gibt Aly recht. Ja, so sei es gewesen, man habe Feldpostpakete bekommen. In ihrer Familie habe es keine Männer an der Front gegeben "und – nicht, dass wir uns beschwert hätten, nicht dass wir schlecht über die Soldaten geredet hätten, aber man hat sich ja schon manchmal gefragt, warum das System so ungerecht war, dass manche Familien viele Pakete hatten und andere gar keine." Eine andere Frau stimmt zu. Auch ihre Familie hätte nie Pakete bekommen und die Verwandten und Nachbarn hätten auch einfach nichts abgegeben. Plötzlich steht die Erinnerung an den Wunsch im Raum: Hätte der große Bruder oder der Papa doch bloß auch so schöne Pakete schicken können!

Die Zeitzeugen schmunzeln. Man scheint sich zu verstehen. Es wollten doch alles etwas leckeres zu essen und etwas schönes zum Anziehen haben damals. In der Erinnerung rücken der Krieg und die Vermutungen, woher all die schönen Dinge stammten, dabei in den Hintergrund. Nicht einmal die Tatsache, dass man sich zu einem Vortrag versammelt hat, der den Titel trägt "Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus" können daran etwas ändern. Eine Schwedin bedankt sich bei Aly für sein Buch. Jetzt könne sie verstehen, warum die Frauen im Kranzlereck so viele Armbänder anhatten und sie selbst besaß doch nur ein einziges, als sie nach Deutschland kam.

Noch ein Zeitzeuge meldet sich zu Wort, Aly solle differenzieren fordert er. Schließlich hätte es so etwas wie das Völkerrecht auch im Zweiten Weltkrieg gegeben und man müsse doch unterscheiden zwischen Kontributionen, die erlaubt wären, und könne sie nicht einfach pauschal als Raub bezeichnen. Außerdem seien die Pakete doch nur von der Westfront gekommen. Aly widerspricht. Er berichtet von einer Lebensmittelkrise im letzten Drittel des Krieges, als jeder Soldat die Gelegenheit erhielt, ein 20-Kilo-Paket in die Heimat zu senden. Zu den erlaubten Kontributionen bemerkte er, die Haager Landkriegsordnung, die Kontributionen vorsehe, setze voraus, dass es einen gerechten Krieg gebe und da könne in dem Falle kaum die Rede von sein.

Man streitet, ob Aly Recht oder Unrecht hat, ob die Deutschen in diesem Maße vom Krieg profitierten. Ein Mann meldet Zweifel daran an, ob die Pakete wirklich einen Integrationsfaktor bildeten, ob es nicht integrierender gewesen wäre, nicht an die Front zu müssen. Er kritisiert Aly, dass er "den Anschein vermittelt, es habe sich um eine deutsche Besonderheit gehandelt." Schließlich würden besetzte Länder in jedem Krieg ausgeplündert, so auch aktuell der Irak und er habe an anderer Stelle gelesen, dass "die Amis auch alles mitgehen ließen." Aly erklärt, die Deutschen wären während des Zweiten Weltkriegs das besternährte Volk Europas gewesen: "Sie erzählen dummes Zeug!", fährt er den Mann an, doch niemand klatscht. Hier geht es 60 Jahre nach Kriegsende schließlich darum, Deutschland zu rehabilitieren. Hier muss die deutsche Volksgemeinschaft zu einer ganz "normalen" kriegsführenden Nation stilisiert werden.

Aly berichtet von der noch 1945 wunderbar funktionierenden Landwirtschaft in Deutschland, die durch Zwangsarbeiter am Leben erhalten wurde. Das Publikum wird unruhig, alle wollen etwas sagen, Götz Aly wird müde. Er bemerkt noch einmal, er habe mit seinem Buch einen neuen Akzent gesetzt, eine neue Perspektive beleuchtet. "Die Gewichtung der Beurteilung wird sich in den nächsten zehn Jahren verschieben", sagt Aly, "und wir können heute noch nicht vorhersagen, in welche Richtung." Vielleicht können wir es aber ahnen. Und noch viel mehr fürchten.

Die Veranstaltung ist beendet. Viele Fragen bleiben offen – und nicht zuletzt die, ob die Tatsache, dass Deutsche sechs Millionen Jüdinnen und Juden ermordeten nicht vielleicht auch etwas mit Antisemitismus zu tun gehabt haben könnte.

Hitlers Volksstaat:
Was bekam des Soldaten Weib?

Brecht wusste es auch schon - und besser: Deutsche Soldaten haben im Zweiten Weltkrieg nicht nur gemordet, sondern auch geklaut. Brecht listet in seinem Gedicht auf, was des "Soldaten Weib" aus den Hauptstädten der Länder bekam, die von deutschen Truppen überfallen und besetzt worden waren...

hagalil.com 20-06-05











 

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