antisemitismus.net / klick-nach-rechts.de / nahost-politik.de / zionismus.info

haGalil onLine - http://www.hagalil.com
     

hagalil.com
Search haGalil

Newsletter abonnieren
 
 
 

 


Raul Hilberg:
Die Quellen des Holocaust.
Entschlüsseln und Interpretieren
S. Fischer Verlag 2002
Euro 22,90

Bestellen?

"Die Quellen des Holocaust":
Geschwister-Scholl-Preis für Raul Hilberg

Der Holocaust-Forscher Raul Hilberg erhält morgen den vom Verband Bayerischer Verlage und Buchhandlungen und der Stadt München gestifteten Geschwister-Scholl-Preis für das Jahr 2002. Er wird damit für sein Buch "Die Quellen des Holocaust" ausgezeichnet, Teil eines enormen Lebenswerkes, "das der Erforschung des europäischen Judenmords galt und die Grundlagen für alle spätere Befassung mit diesem Thema legte", so die Jury.

Hilberg habe die Organisationsformen und Stufen des Vernichtungsprozesses, die bürokratische Dynamik und die moralische Enthemmung ebenso minutiös wie umfassend untersucht, urteilte die Jury. Das Standardwerk des Autors über den Holocaust ist in einer dreibändigen Fassung im Fischer Taschenbuch Verlag unter dem Titel "Die Vernichtung der europäischen Juden" erschienen.

Raul Hilberg wurde am 2. Juni 1926 in Wien geboren. 1939 flüchteten seine Eltern mit ihm vor dem nationalsozialistischen Terror nach Nordamerika. Dort studierte er u. a. bei dem Politikwissenschaftler und Juristen Franz Neumann, der aus Berlin hatte fliehen müssen. 1945 kam Hilberg als amerikanischer Soldat nach Deutschland und entdeckte in München die in Kisten verpackte Privatbibliothek Hitlers. Dieses Erlebnis steht am Beginn einer lebenslangen Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus.

Wirkliche Anerkennung fand Hilberg in Deutschland jedoch erst in den letzten Jahren. Das hängt mit seinem Ansatz, der von den Tätern, nicht von den Opfern, auf die Geschichte blickt. Die Shoah erscheint bei Hilberg als rational bürokratischer Vorgang in einer durchorganisierten und funktionierenden Gesellschaft. Seine Forschung ist nüchtern, konzentriert sich auf Quellen der Verwaltung und Staatssoziologie. Anders als beispielsweise Hannah Arendt stellt Hilberg jedoch keine "banalen" Vorgänge und Täter da. Er wehrte sich stets gegen Arendts Begrifflichkeit von der "Banalität des Bösen". Die erst spät einsetzende Rezeption seines Werkes hängt aber auch damit zusammen, dass Hilberg den Opfern politisches Versagen und Passivität vorwarf. Eine These, die ihm wenig Freunde schuf und dafür sorgte, dass er lange keinen Verleger für sein Buch fand.

Erst seit kurzem wird Hilbergs Forschung in Deutschland gewürdigt. 1999 erhielt er einen ersten kleinen Preis in Deutschland, den Marion-Samuel-Preis der "Stiftung Erinnerung", für sein Lebenswerk. "Es ist durchaus nicht übertrieben, wenn man feststellt, daß es auf der ganzen Welt niemanden mehr geben wird, der sich unterstehen würde, über den Mord an den europäischen Juden zu schreiben, ohne 'den Hilberg' zu berücksichtigen", betonte damals Reinhard Rürup in seiner Laudatio. 2002 wurde ihm schließlich das Bundesverdienstkreuz verliehen. Der Geschwister-Scholl-Preis, so die Meinung vieles Kollegen, sei eine längst überfällige Ehrung.

Hilberg erhält diesen Preis für ein Buch, das eigentlich am Anfang einer Forscherkarriere stehen sollte, aber erst nahe an deren Ende stehen kann. Am Anfang, weil es sich mit den Quellen, also den Grundlagen der Forschung beschäftigt, am Ende, weil es erst nach jahrzehntelange Forschungstätigkeit entstehen konnte. Hilberg, der so viele Stunden in Bibliotheken und Archiven und an den Schauplätzen der Shoah verbracht hat, hat selbst erst spät damit begonnen, die benutzten Quellen zu analysieren: "Fünfzig Jahre lang habe ich mich hauptsächlich mit dem Ereignis selbst beschäftigt und die Quellen als Rohmaterial aufgefasst, das mich in die Lage versetzen würde, den Vernichtungsprozess darzustellen. (...) Doch dann habe ich innegehalten und mich gefragt: Was ist das Wesen meiner Quellen? Sie sind nicht identisch mit dem Gegenstand. Sie haben ihre eigene Geschichte und ihre speziellen Eigenschaften, die sich von den Handlungen unterscheiden, von denen sie sprechen, und die einen eigenen Zugang erfordern."

Nach anfänglichen Zweifeln an dem Projekt, ob es überhaupt ertragreich sein kann, ob nicht die Antworten offensichtlich und nicht erklärungsbedürftig seien, zeigten sich bald die Probleme des Ansatzes: "Die banalsten Merkmale einer Quelle gewannen jetzt eine Bedeutung, und ein Großteil des Materials nahm wie unter einem Röntgenschirm ein verändertes Aussehen an."

Die Analyse der Quellen geht Hilberg in drei Schritten an. Zunächst nimmt er eine äußerliche Untersuchung vor, die die Quellen in Typen eingeteilt und katalogisiert. Der Blich auf das Innere der Quellen nimmt den breitesten Raum der Untersuchung ein und umfasst Komposition, Stil und Inhalt. Schließlich analysiert Hilberg die Nutzbarkeit der Quellen, die im letzten Kapitel diskutiert wird.

Anhand zahlreicher Beispiele zeigt Hilberg, wie die unterschiedlichen Quellen lesbar und interpretierbar werden. Inhalt und Stil der Quellen stehen dabei oft in paradoxerweise gegenüber. Drastische Inhalte, die über die Ermordung der europäischen Juden entschieden, erscheinen in bürokratischer Eintönigkeit, "ihre typische Haltung ist Leidenschaftslosigkeit, und ihre Sprache, angereichert durch Fach- und Spezialbegriffe, ermöglicht die Erörterung der unterschiedlichsten Themen in stets demselben gefühllosen Ton." In Bezug auf die Nutzbarkeit der Quellen erwähnt Hilberg sowohl die Möglichkeiten, die die Öffnung neuer Archive gebracht haben, als auch die zahlreichen Spezialisierungen der Holocaust-Forschung. Auch wenn der Gegenstand dadurch in immer kleineren Bestandteilen analysiert wird, muss doch klar sein, dass es keine Endgültigkeit der historischen Forschung geben kann: "Das liegt im Wesen des empirischen Vorhabens. Wohl ist die Historiographie auch eine Kunstform, die das Streben nach Vollendung fordert, aber die Wirklichkeit der Ereignisse ist nicht rekonstruierbar. Die unermüdliche Suche nach Erkenntnisgewinn geht weiter, und mag sie noch so aufwendig sein, damit nicht alles verloren geht und vergessen wird."

Zu Recht urteilt die Jury des Geschwister-Scholl-Preises, dass Hilbergs "Die Quellen des Holocaust" ein elementar aufklärendes Buch ist, das zur Grundausstattung von öffentlichen Bibliotheken gehören sollte, um zur selbständigen Forschung anzuregen.

Der Autor ist kommende Woche auf Lesereise in Deutschland:

Dienstag, 3. Dezember 2002
Frankfurt am Main
20.00 Uhr
S. Fischer Verlag, Hedderichstraße 114
Veranstalter: S. Fischer Verlag in Kooperation mit dem Amerika Haus Frankfurt

Mittwoch, 4. Dezember 2002
Berlin
20.00 Uhr
Martin-Gropius-Bau, Vortrags- und Kinosaal, Niederkirchnerstraße 7
Veranstalter: Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika, Stiftung Topographie des Terrors und S. Fischer Verlag

Interview mit Raul Hilberg:
"Ich fälle kein Urteil"

hagalil.com 01-12-02











 

haGalil.com ist kostenlos! Trotzdem: haGalil kostet Geld!

Die bei haGalil onLine und den angeschlossenen Domains veröffentlichten Texte spiegeln Meinungen und Kenntnisstand der jeweiligen Autoren.
Sie geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber bzw. der Gesamtredaktion wieder.
haGalil onLine

[Impressum]
Kontakt: hagalil@hagalil.com
haGalil - Postfach 900504 - D-81505 München

1995-2014 © haGalil onLine® bzw. den angeg. Rechteinhabern
Munich - Tel Aviv - All Rights Reserved

ehem. IDPS (Israeli Data Presenting Services) Kirjath haJowel, Jerusalem