J. Hellmut Freund:
Autobiographische Abschweifungen eines Zurückgekehrten
Rezension von Karl Pfeifer
60 Jahre nach der Niederschlagung des NS-Regimes ist
die Zeit gekommen, nicht nur von denen zu sprechen und zu schreiben, die von
der Volksgemeinschaft ausgegrenzt und verjagt oder ermordet wurden, sondern
auch von den wenigen, die zurückgekehrt sind nach Deutschland oder
Österreich.
Der S. Fischer Verlag hat ein 577 Seiten umfassendes
autobiographisches Buch von J. Hellmut Freund veröffentlicht, der als
zwanzigjähriger noch 1939 das Glück hatte, Berlin verlassen zu können.
Mit seiner Familie gelangte er nach Uruguay, von wo er mit
seinen Eltern 1960 nach Deutschland zurückkehrte und bis seinem Tod 2004
Lektor des S. Fischer Verlag war.
Von behüteter Berliner Kindheit, von der Jugend in der
Nazizeit, den Jahren des Exils in Uruguay, von Musikern, Literaten,
Künstlern, von Lebenserfahrungen und Lebensfreundschaften handelt das Buch,
das auf Aufzeichnungen seiner mündlichen Erinnerungen gründet und die Zeit
bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland beschreibt.
Freund schildert beispielsweise wie der Wiener Dirigent
Erich Kleiber 1935 seinen Posten an der Berliner Staatsoper aufgab und nach
Südamerika ging: "Zu seinem Wienertum bekannte er sich in Aufführungen der
Musik von Johann und Josef Strauß, deren Genialität er beglückend bewies."
Seine Tragik sollte sein, "dass er – ähnlich wie sein Landsmann, Kollege und
Vornamensvetter Leinsdorf – keinen Ruf seiner Vaterstadt erhielt." Wien und
Österreich gaben sich bis vor kurzem der Lebenslüge hin, lediglich das
"erste Opfer des Nationalsozialismus" gewesen zu sein, deswegen waren
Rückkehrer hier geduldet aber nicht wirklich erwünscht.
Vierundvierzig Jahre, in denen J. Hellmut Freund als
Lektor das Programm des S. Fischer Verlags mitgestaltet hat, sind mit einer
Auswahl der von ihm verfassten Texte zu "seinen" Büchern dokumentiert. Die
beigefügte CD enthält eine Gesprächsaufzeichnung aus dem Jahr 1993.
hagalil.com
12-10-05 |