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"Unser Hotel ist judenfrei":
Bäder-Antisemitismus

Von Karl Pfeifer


Frank Bajohr, Unser Hotel ist judenfrei'. Bäder- Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert
Fischer Tb 2003
Euro 12,90

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Frank Bajohr hat sich mit den Dimensionen alltäglicher Judenfeindschaft in Deutschland, die eher wenig Beachtung gefunden haben, befasst. In dem vorliegenden Band damit, welche Erfahrungen deutsche Juden lange vor dem "Dritten Reich" machen konnten. Ein Kapitel widmet er aber auch dem gleichen Phänomen in den USA, wo man noch bis zu den 60er Jahren Juden in Hotels und Klubs diskriminiert hat. Ein anderes Kapitel dokumentiert, dass trotz eines sehr viel kleineren Staatsgebiets die (Erste) Republik Österreich im Vergleich zum Deutschen Reich eine doppelt so hohe Anzahl "judenfreier" Sommerfrischen aufwies.

Bajohr weist auf ein interessantes Phänomen hin, es gab sowohl in Deutschland als auch in Österreich Gemeinden, die sich im Sommer keinen Antisemitismus leisteten, es jedoch in der Vor- und Nachsaison taten. In meiner Heimatstadt, in Baden bei Wien hat die Gemeinde in der Zwischenkriegszeit keinen Antisemitismus gepflegt. Allerdings war der Antisemitenverein sehr aktiv. Man erzählte seinerzeit die Geschichte, als dieser Antisemitenverein während der zwanziger Jahre an den Bürgermeister herantrat und fragte, ob sie denn im Sommer eine internationale Konferenz abhalten dürften, antwortete dieser "Seid's ihr teppert, im Sommer können wir uns keinen Antisemitismus leisten".

In seinem Buch begnügt sich Bajohr nicht mit der Schilderung der Handlungen und Aktionen der Antisemiten sondern schildert auch die Reaktionen und Verhaltensstrategien der betroffenen Juden. Bajohr meint, "jede Untersuchung der Judenfeindschaft in Deutschland auch wenn sie Alltagsphänomene behandelt die Frage zu beantworten hat, wie und in welchem Umfang gesellschaftlicher Antisemitismus zur Ausgrenzung und Vertreibung der Juden nach 1933 und schließlich zur Ermordung von annähernd sechs Millionen europäischer Juden beigetragen hat.

In diesem Zusammenhang präsentiert sich der Bäder-Antisemitismus als ein Phänomen, das in den 1870er Jahren aufkam, sich unter den Bedingungen des Kaiserreiches schleichend ausbreitete, nach dem Ersten Weltkrieg einen deutlichen Radikalisierungsschub erfuhr und schließlich nach 1933 in eine Politik der organisierten Ausgrenzung überführt wurde, die einerseits an den Bäder-Antisemitismus anknüpfte, andererseits qualitativ eine neue Entwicklung markierte."

In seinem Österreich gewidmeten Kapitel, zitiert Bajohr den Salzburger Historiker Albert Lichtblau, der sich mit dem "Sommerfrischen"-Antisemitismus befasst und u.a. herausgearbeitet hat, welch große Rolle die Sommerfrische als Topos in den Memoiren österreichisch-jüdischer Vertriebenen spielt. In Österreich-Ungarn trat auch dank des Nationalitätenkonflikts der Bäder-Antisemitismus in größerer Intensität und Schärfe auf. Dementsprechend warnten Reiseführer vor italienischen Gaststätten in Südtirol, tschechischen Ärzten in böhmischen Kurbädern oder slowenischen Vermietern von Berghütten in den Karawanken.

In diesem politischen Klima verwundert es nicht, dass der Sommerfrischen-Antisemitismus in Österreich nicht nur von antijüdisch gesinnten Gästen bzw. den Hotel- und Pensionsbesitzern ausging, sondern im Gegensatz zum Deutschen Reich zentral von Tourismusorganisationen, Gemeindeverwaltungen und Fremdenverkehrsvereinen getragen wurde. Diese suchten durch entsprechende Verlautbarungen, administrative Maßnahmen oder gar Gemeinderatsbeschlüsse ihren Ort möglichst vollständig "judenfrei" zu machen. "Eine unrühmliche Vorreiterrolle nahm 1897 der bekannte Ferienort Kitzbühel in Tirol ein, als dort die Generalversammlung des Fremdenvereines beschloss: "Anfragen von Juden haben unberücksichtigt zu bleiben."

In der Folgezeit zierte ein entsprechender Stempelaufdruck sämtliche Ferienprospekte des Ortes." Der 1890 gegründete Österreichische Gebirgsverein, der vor allem in Niederösterreich verbreitet war, nahm seit seiner Gründung nur "deutsche Volksgenossen" als Mitglieder auf. In Wien gründete sich 1905 eine Sektion des Deutsch-Österreichischen Alpenvereins (DÖAV), deren Mitgliedschaft auf "Deutsche arischer Abstammung" beschränkt war. Nach dem Ersten Weltkrieg bezeichneten sich Fremdenverkehrsorte als "arische Sommerfrische ersten Ranges" (Pöllau) oder "judenrein" (Mittersill, Tamsweg) und warben mit den Zusätzen "Nur für Arier" (St.Veith im Mühlkreis). "Der Aufenthalt wird nur Ariern bewilligt" (Wachau), "Juden nicht erwünscht" (Schladming) oder "Angenehmer Aufenthalt für christliche Familien" (Troifach).

"Mit rund 60 bis 70 lag allein die Zahl der "judenreinen" Sommerfrischen in Österreich mehr als doppelt so hoch wie im Deutschen Reich, und die inflationäre Verwendung des Wortes "arisch" machte deutlich, dass die meisten Orte gar nicht erst versuchten, ihren Rassenantisemitismus hinter dem Mantel der "Christlichkeit" zu tarnen." Auch die antisemitischen Gemeinderatsbeschlüsse hatten im Deutschen Reich kein Pendant und stellten einen klaren Verfassungsbruch durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft dar. "Wenn es sich um Juden handelte, nahmen die tonangebenden politischen Kräfte in Österreich allerdings solche verletzten Rechtsgrundsätze nicht besonders ernst."

Für die Haltung der nichtjüdischen deutschen Bevölkerung nach 1933 war zweifellos die im Bäder-Antisemitismus manifestierte Judenfeindschaft von erheblicher Bedeutung. Die Nationalsozialisten nahmen auf die jeweilige "Volksmeinung" Rücksicht. Es war nicht ohne Bedeutung, dass sich lange vor 1933 massive Tendenzen der Ausgrenzung und Abschottung herausbildeten, dass unter dem Einfluss des Bäder-Antisemitismus öffentliche Zonen der Apartheid entstanden, die die gesellschaftlichen Kontakte zwischen Juden und Nichtjuden immer stärker reduzierten. Dies förderte eine Grundhaltung gegenüber der jüdischen Minderheit, ohne die die nationalsozialistische Ausgrenzungspolitik nicht so erfolgreich verlaufen wäre: die weit verbreitete Auffassung nämlich, dass es sich bei Juden nicht um "Deutsche" oder gar "Volksgenossen" handelte, sondern um "Fremde", ja "Andersartige", die nicht wirklich dazugehörten.

hagalil.com 27-06-03











 

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