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Rasse und Klasse:
Nachforschungen zum deutschen Wesen

Rezension von Karl Pfeifer


Götz Aly, Rasse und Klasse. Nachforschungen zum deutschen Wesen
S. Fischer Verlag 2003
Euro 18,90

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Der Historiker und Publizist Götz Aly hat allein und mit Koautoren einige grundlegende Forschungen über den Nationalsozialismus veröffentlicht. Im mit Susanne Heim publizierten Buch "Vordenker der Vernichtung / Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung" wurde die Rolle der Intellektuellen als Vordenker beleuchtet. In diesem Buch zeigen sie einerseits die Modernisierung und Dynamik Deutschlands, andererseits eine bis heute unbekannte Systematik der Ausrottung und Zerstörung. Zudem wurde auch die Radikalisierung der judenfeindlichen Politik aufgrund der Erfahrungen nach dem "Anschluß" dokumentiert.

In seinem Buch "Endlösung"/"Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden" wies Götz Aly den Zusammenhang zwischen dem Massenmord an den Juden und der Umsiedlung Volksdeutscher nach. Im vorliegenden Band finden wir 27 Artikel, deren gemeinsames Thema die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhundert ist. Götz Aly schreibt ohne ideologischen Scheuklappen, d.h. es gibt für ihn keine Tabuthemen und so kommt er oft zu unerwarteten Schlüssen.

Daniel Goldhagens These vom mörderischen Antisemitismus, der schon vor 1933 in Deutschland geherrscht hätte, wird von Götz Aly gründlich widerlegt. Deutschland war vor 1933 kein besonders judenfeindliches Land. "Einen arteigenen teutonischen Blutdurst hat es nicht gegeben" schreibt er und verweist auf die Tatsache, dass nach dem ersten Weltkrieg es Pogrome in Polen, in der Ukraine, in Ungarn und in Rumänien gab, aber nicht in Deutschland. Götz Aly erinnert uns: "Auf französische Initiative mit britischer Unterstützung gegen russische Einwände erreichte Bismarck auf dem Berliner Kongress 1878, dass in die Verfassung des fortan souveränen Staates Rumänien die Artikel 43 und 44 aufgenommen werden mussten. Wegen der regelmäßigen Pogrome nahmen die europäischen Großmächte die Juden des Landes 'als Gesamtheit in Schutz', und die beiden Artikel legten fest, dass 'der Unterschied der Religion und Confession niemandem gegenüber als Grund zur Ausschließung' von bürgerlichten Rechten, Berufen, Ehrenämtern und Gewerben geltend gemacht werden dürfe."

Der Autor zitiert den österreichischen Sozialdemokraten Johann Wolfgang Brügel, der im Dezember 1939 im Pariser Exil die damals aktuelle Umsiedlung der 60.000 Deutschbalten analysierte und auf die Vorschläge französischer Rechtsblätter hinwies, die Tschechen und Polen mögen nach dem Zusammenbruch der deutschen Zwangsherrschaft ihr früheres Staatsgebiet zurückerhalten, aber gereinigt von irgendwelchen nationalen Minderheiten: Es wird notwendig sein, eine massenhafte und vollkommene Austreibung von Elementen einer fremden Minderheit durchzuführen.

"Es schein, daß das deutsche Volk die Geister, die der Nationalsozialismus gerufen hat, nicht mehr loswerden soll." Churchill schöpfte aus geschichtlicher Erfahrung, als er im Dezember 1944 vor dem britischen Unterhaus argumentierte: "Die nach unserem Ermessen befriedigendste und dauerhafteste Methode ist die Vertreibung. Sie wird die Vermischung von Bevölkerungen abschaffen, die zu endlosen Schwierigkeiten führt..." Churchill und Roosevelt rechtfertigten ihren Optimismus mit dem Hinweis auf das "in vieler Hinsicht erfolgreiche Abkommen von Lausanne". Die Konvention kodifizierte 1923 nach einem elfjährigen Krieg den so genannten Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland. Griechenland zählte zu jener Zeit fünf Millionen Einwohner. Nun hatte dass Land 1,5 Millionen Flüchtlinge und Zwangsumsiedler aus Kleinasien aufzunehmen: 300.000 starben in den Lagern an Hunger und Seuchen.

Im Gegenzug wurden 350.000 Türken insbesondere aus Nordgriechenland in jene Städte und Dörfer an der Küste Kleinasiens transferiert, in denen seit mehr als zweieinhalb Jahrtausenden Griechen gelebt hatten. Da das Kriterium der Religion galt, mussten auch 20.000 Kretatürken moslemisierte Griechen, die kein Wort Türkisch sprachen ihre Heimat verlassen. Erst am 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte beschlossen. "Der Inhalt dieser Proklamation wurde nach siebzehnjähriger Arbeit im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte konkretisiert. Demnach sind Zwangsumsiedlungen heute völkerrechtlich eindeutig verboten." Hier ist der Autor leider nicht auf die Ereignisse in Indien 1947 eingegangen, wo es sowohl im neu entstandenen Staat Pakistan als auch in Indien zur Abschlachtung von Hunderttausenden Andersgläubigen kam und zu einer Fluchtbewegung, deren Ergebnis die Flucht von Millionen Moslems nach Pakistan und die Flucht einiger Millionen Nichtmoslems nach Indien.

In seinem Artikel "Nationaler Sozialismus" beantwortet er die Frage, "wie konnte sich dieses Regime trotz seiner halsbrecherischen Instabilität so lange und derart effizient an der Macht halten?" Seine Antwort wird einige schockieren: "Das Dritte Reich errang seinen innenpolitischen Zuspruch als das Reich der kleinen Leute und jener deutschen Intellektuellen, die beschlossen hatten, ihren Klassendünkel aufzugeben. Hitler propagierte einen "Sozialismus ohne Proletarier". Er bot den Krauses eine gemeinsame Perspektive jenseits des Klassenkampfes, er verstand sich als Politiker des Dritten Weges. Diese Ziele sollten schnell erreicht werden, binnen einer Generation, mit Hilfe des erbeuteten Eigentums und der Äcker der Vertriebenen und Ermordeten, mit Hilfe der Rohstoffe und unter Ausbeutung der Arbeitskraft all derer, die nicht zur deutschen Herrenrasse zählten." Die meisten Deutschen und Österreicher fühlten sich in der Volksgemeinschaft ganz wohl, wenigstens so lange das "Dritte Reich" noch siegreich war.

Götz Aly zeigt immer wieder auf, wie verlogen die DDR die Braunbücher über die Bundesrepublik veröffentlichte mit der Erbschaft des Nationalsozialismus umging. Aly zeigt die dichten braunen Flecken im "Arbeiter und Bauernstaat" u.a. am Beispiel von Dr. Jussuf Ibrahim, der aktiv an der Euthanasie teilnahm, trotzdem 1947 zum Ehrenbürger der Stadt Jena gemacht wurde und später sogar den Nationalpreis I. Klasse der DDR erhielt. All dies ereignete sich in Thüringen, wo die Euthanasie-Morde auf keinen nennenswerten Widerstand stießen, und wo nach 1945 kein einziger Strafprozess wegen der Massenmorde an behinderten Menschen stattfand. Noch 1987 verweigerte die Urkundenstelle vom Rat des Kreises Stadtroda wo viele Tausende der Euthanasie zum Opfer fielen die Einsicht in die Sterberegister. Tatsächlich hatte des Ministerium für Staatssicherheit (MfS) seit den sechziger Jahren unter der Bezeichnung "Operativvorgang Ausmerzer" Untersuchungen über Stadtroda begonnen, weil zuvor ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Göttingen gegen den ehemaligen Direktor Gerhard Kloos eingeleitet worden war wegen Mordes in 1500 Fällen.

Die Ärztin, die zwischen 1942 und 1945 die Station für behinderte Kinder in Stadtroda leitete und einzelne Kinder aufgrund von Gutachten ermordete und dafür eine spezielle Gratifikation der Kanzlei des Führers empfing, stand der Abteilung bis zu ihrer Pensionierung 1965 vor. 1933 war sie der NSDAP beigetreten, später denn der SED. Und Götz Aly beschreibt noch einige ähnliche Karrieren, zum Beispiel einer Ärztin, die zweifelsfrei den gewaltsamen Tod von mindestens 50 Frauen, darunter den Mord an der kommunistischen Reichstagsabgeordneten Helene Fleischer verantwortet. "Das musste zu einer unheilvollen Dialektik zwischen antifaschistischer Theorie und zukunftsweisender Staatspraxis führen: "Die Aufdeckung der vermutlichen Euthanasieverbrechen in Stadtrode bedeutet, so schlossen die MfS-Ermittler in Gera 1965 den Operativvorgang Ausmerzer, "daß nach Einschätzung der BV [MfS-Bezirksverwaltung Gera] die national anerkannte und international bekannte Dr. A. in das Verfahren einbezogen werden muß." Und weiter: "Das Beschuldigte aus der DDR in höheren Positionen des Gesundheitswesens stehen, könnte bei der Auswertung ein unseren gesellschaftlichen Verhältnissen widersprechendes Ergebnis erreicht werden. Aus diesem Grund wird vorgeschlagen, die Bearbeitung des Vorgangs mit einer Sperrablage im Archiv des MfS abzuschließen."

In seinem Artikel "Insbesondere Leningrad muß verhungern" setzt sich der Autor mit den Ausstellungen über die Verbrechen der Wehrmacht kritisch und was eine seltene Ausnahme in der Historikerzunft ist selbstkritisch auseinander.

U.a. geht er auch auf den CSU-Krawallmacher Peter Gauweiler ein, der 1997 zum Protest der alten Kameraden gegen die Ausstellung aufrief. Gauweiler argumentierte gern mit seinem Vater, dem Wehrmachtssoldaten Otto G., der als Invalider aus dem Krieg zurückgekehrt sei. "Letzteres ist unbestreitbar; 1940 aber war Dr. jur Otto Gauweiler als Stellvertretender Amtschef des Distrikts Warschau auch für die Ummauerung des Ghettos zuständig." Das systematische Verhungernlassen der Gefangenen entsprach der deutschen Strategie im Osten. Der schon vorgestellte General Wagner untersagte "jede Abgabe von Truppenverpflegungsmitteln an die Bevölkerung der besetzten Gebiete". Ebendiese Truppen hatten sich zur Schonung der deutschen Heimat "aus dem Lande" zu ernähren, zu plündern und rücksichtslos zu requirieren. Im Winter 1941 kündigte Wagner an: "....daß insbesondere Leningrad verhungern muß." Zwei Monate zuvor hatte er seiner Frau geschrieben: "Zunächst muß man sie in Petersburg schmoren lassen, was sollen wir mit einer 3 ½ Mill-Stadt, die sich nur auf unser Verpflegungsportemonnaie legt. Sentimentalitäten gibt’s dabei nicht."

Ein interessantes Kapitel ist Rudol Schottlaender gewidmet, der das Denunziantentum während des Dritten Reichs, in der DDR und in der Bundesrepublik erlebt hatte. "In seinen Lebenserinnerungen findet sich eine Szene aus dem Jahr 1944, als er als "Rüstungsjude" in der Pulverfabrik Gebrüder Bock in Berlin-Buchholz arbeitete: "Einmal erschrak ich. Ein mir vorgesetzter Arbeiter, Typ des alten Gewerkschaftlers, immer sachlich, nie judenfeindlich, ging neben mir, während am Horizont die Flammen eines Bombenangriffs auf Berlin zu sehen waren. Da platzte es auch ihm heraus: 'Das sind Ihre Freunde!' An der TH Dresden hatten kommunistische Studenten Schottlaenders Entlassung mit Hilfe von mitgeschriebenen Zitaten aus der Vorlesung befördert, mit den Altnazis Fachleute! Technische Intelligenz! arrangierte man sich dort besser." Und auch (der Westberliner Innensenator) Lipschitz selbst, ein geachteter Mann, der als "Halbjude" einiges durchgemacht hatte, verfuhr mit einem Brief Schottlaenders denunziatorisch. 1959 wurde Schottlaender wegen der "Verbreitung kommunistischer Propagandaparolen" aus dem Schuldienst entfernt.

Im Verfassungsschutz-Dossier über Schottlaender war auch eine Rede von Gustav Heinemann beigefügt, die dieser unter Mitwirkung des Überwachten gehalten hatte. Unter der Überschrift "Endlich abberufen!" jubelte die Springer-BZ am 30. Mai 1959. Einen Tag später antwortete die Berliner Zeitung und bezeichnete Schottlaender als "aufrechten bürgerlichen Humanisten" "Wie sehr die Entlassung des überaus gelehrten deutsch-jüdischen Lehrers auch von seinen Lehrerkollegen gebilligt wurde, zeigt jene Episode, die eine ehemalige Schülerin aus Anlass eines Gedenkartikels zum 100. Geburtstag mitteilte.

Als Schottlaender 1982 der Einladung ehemaliger Schülerinnen zu einer Jubiläumsfeier ddes Abiturs in Westberlin folgte, geriet der Empfang des beliebten ‚Herrn Professors‘ besonders herzlich. Aber noch damals 23 Jahre nach der Vertreibung, waren einige Lehrer deshalb der Einladung nicht gefolgt, weil der Vertriebene sein Kommen zugesagt hatte. Als angeblicher Verfassungsfeind verlor der fast sechzigjährige Schottlaender in Willy Brandts Westberlin nicht nur seinen Beamtenstatus und seine Pensionsberechtigung. Der Innensenator erkannte ihm auch den Status des rassisch Verfolgten ‚wegen Unwürdigkeit‘ ab, eine exekutive Anmaßung, die das Landgericht Berlin am 26. Oktober 1962 zurückwies.

In dieser Lage berief die Ostberliner Humboldt-Universität Rudolf Schottlaender 1960 auf den Lehrstuhl für Römische Literatur, den er bis zu seiner Emeritierung 1965 innehatte." Auch dort geriet er mit der Herrschaft bald wieder auseinander. Götz vermerkt, dass es leichter war die mehrere tausend Seiten Stasi-Akten über Schottlaender anzuschauen. Es erfordert "unendliche Geduld, im Westen, wenigstens einige einschlägige Aktenblätter aufzuspüren." Schottlaender widmete sich an der Humboldt-Universität dem Gedenkwerk "Verfolgte Berliner Wissenschaft".

1964 wurde dann die Schrift nicht gedruckt, weil aufgrund der Faktenlage die rassische, nicht die politische Verfolgung von Berliner Wissenschaftlern durch den NS-Staat im Vordergrund stehen musste. Die mündliche Begründung lautete damals: "Die Zionisten könnten zu viel Kapital daraus schlagen." "Aber selbst noch 1987 verschwieg der repräsentative Band "Wissenschaft in Berlin", den ein gedankenfaules und wohl auch feiges Autorenkollektiv ...arrangiert hatte, die Existenz dieses Werkes." Götz Aly würdigt diesen aufrechten Mann: "Rudolf Schottlaender war kein Linker, kein Liberaler oder Konservativer, sondern ein Mann, der sich einer radikalen Ethik verpflichtet sah. Er wandte sich der Welt zu und erschien deshalb als weltfremd."

Dieses 254 Seiten umfassende Buch, im knappen, sachlichen Stil geschrieben, bietet für jeden an Zeitgeschichte interessierten Leser eine spannende Lektüre, denn es schildert nicht nur wie es gewesen ist sondern versucht auch zu erklären, wieso es so gewesen ist. Es regt zum Nachdenken an und sollte breite Verbreitung finden.

hagalil.com 01-07-03











 

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