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Eine besondere Überlebensgeschichte:
"Im Herzen waren wir Riesen"

Andrea Übelhack


Yehuda Koren, Eilat Negev: Im Herzen waren wir Riesen. Die Überlebens-geschichte einer Liliputanerfamilie
Econ Verlag 2003
Euro 22,00

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"Wir waren vielleicht die einzige Großfamilie, die ein Todeslager gemeinsam überstanden hat. Wenn ich ein junges jüdisches Mädchen von 1,70 gewesen wäre, hätte ich Auschwitz nicht überlebt; ich wäre ins Gas gegangen, wie Millionen andere. Wenn ich also ab und an mit mir hadere und mir die Frage nach dem Sinn meiner Kleinwüchsigkeit stelle, dann muss meine Antwort eigentlich lauten: Das war Gottes Weg, mich am Leben zu halten." Diese Worte von Perla Ovitz fassen eine beeindruckende und bewegende Lebensgeschichte zusammen. "Im Herzen waren wir Riesen" erzählt die außergewöhnliche Überlebensgeschichte der Familie Ovitz, einer aus Transsylvanien stammenden jüdischen Familie.

Das Buch ist in jedem Fall, wie es in fast allen Rezensionen zu lesen war, beeindruckend. Das liegt vor allem an der ungewöhnlichen Geschichte, die es erzählt. Die Autoren hatten das besondere Glück, Perla Ovitz noch persönlich kennen zu lernen und so ihre Erinnerungen zu hören. Es hätte also ein wirklich außergewöhnliches Buch werden können. Im Klappentext heißt es, die beiden Autoren, Yehuda Koren und Eilat Negev, schreiben für Israels wichtigste Tageszeitung Yedioth Achronoth. Eigentlich sollten hier schon alle Alarmglocken schrillen, denn die Definition von "wichtig" ist hier irreführend. Yedioth kann man guten Gewissens mit der Bild-Zeitung vergleichen, und im entsprechenden Stil ist leider auch das Buch geschrieben.

Doch zunächst zum Inhalt. Die Geschichte beginnt 1868 mit der Geburt des kleinwüchsigen Shimshon Ovitz. Er selbst gründete später eine Familie und wurde Vater von zehn Kindern, sieben davon ebenfalls kleinwüchsig. Shimshon zog zunächst als Unterhalter auf Hochzeiten durch die Landen und wurde schließlich als Wanderrabbiner bekannt. Als er 1923 an einer Fischvergiftung starb, blieb die Familie alleine zurück. Avram, der älteste Sohn, trat in die Fußstapfen des Vaters. Bald organisierte sich die Familie neu, tourte durch die Gegend, trat auf Lokalbühnen auf, musizierte und sang. Die Autoren schreiben über den Alltag der Familie, der durch die Kleinwüchsigkeit der sieben Geschwister geprägt war. Im Hause Ovitz war der Familienzusammenhalt besonders fest und auch nachdem einige der Schwestern heirateten, blieben sie bei der Familie und die angeheirateten Männer zogen mit ein. Die "großen" Familienmitglieder halfen stets bei dem, was für die "kleinen" nicht machbar war. Die Familie Ovitz bewohnte ein schönes großes Haus in der Ortschaft Rozavlea, fuhr auf Tourneen und lebte in relativem Wohlstand. Sie besaß das erste Auto im Ort. Diesen ersten Teil der Geschichte umranden die Autoren mit allgemeinen Berichten über kleinwüchsige Musiker und Showstars, bringen Beispiele aus den USA, Deutschland und anderen europäischen Länder.

Die Familie Ovitz blieb relativ lange von den Verfolgungen durch das nationalsozialistische Deutschland verschont. Durch einen Zufall fehlte der Judenstempel in den Pässen der Ovitzens und sie konnten weiterhin auf ihre Konzertreisen gehen. Schließlich erreichte das Naziregime jedoch auch Ungarn. Die Familie Ovitz wurde deportiert. Fotographien, die in Zeitungen abgelichtet wurden, unterschrieben mit "Jüdische Zwerge im Ghetto", zeugen von diesem Tag. Das Buch zeichnet den beschwerlichen Weg nach, der schließlich mit der Ankunft im Mai 1944 in Auschwitz endet. Die Familie wurde bereits an der Rampe ausgesondert, Dr. Mengele herbeigeholt. "Arbeit für 20 Jahre", freute er sich. Da Mengele an der Vererbung der Kleinwüchsigkeit interessiert war, sorgte er dafür, dass die gesamte Familie zusammen blieb. Den Ovitzens gelang es auch die Familie Slomowitz, der Vater hatte als Fahrer für die Ovitz-Familie gearbeitet, zu schützen, indem sie sie ebenfalls zu Verwandten titulierten.

Die Familie durchlebte eine qualvolle Zeit in Auschwitz, eine Zeit als lebendige Versuchsobjekte. Sie erhielten einige besondere Privilegien, ohne die die kleinwüchsigen Mitglieder der Familie nicht überlebt hätten. Das war Mengele klar, und so sorgte er dafür, dass sie ab und an etwas mehr Essen erhielten, in einem abgetrennten Teil einer Baracke lebten und sich dort auch waschen konnte.

Die täglichen quälenden Untersuchungen, die Demütigungen, die die Familie durch Mengele erleiden musste, die erniedrigenden Vorführungen vor dessen Ärztekollegen und die körperlichen und seelischen Leiden, die daraus resultierten, nehmen den Großteil des Buches ein. Koren und Negev berichten dabei auch über Mengeles biographischen Hintergrund und seine übrige "Forschung" an Häftlingen in Auschwitz.

Nach dem Krieg, den alle Familienmitglieder überlebten, gingen die Ovitzens zunächst nach Antwerpen, schließlich nach Israel, wo sie zuerst erfolgreich wieder auf der Bühne standen. Nach Kurzem suchten sie jedoch nach einer anderen Erwerbquelle und betrieben viele Jahre lang ein großes Kino in Haifa. Die Autoren sprachen mit der Jüngsten der Geschwister, Perla Ovitz, die 2001 in Haifa im Alter von 80 Jahren verstarb.

Die Recherchen der Autoren mögen durchaus gründlich gewesen sein. Sie weisen immer wieder auf Diskrepanzen zwischen den Erinnerungen von Perla Ovitz und anderen Überlebenden hin. Es hat dadurch durchaus den Anschein, dass Koren und Negev die Erzählungen, denen sie lauschten, kritisch beleuchtet haben. Schade nur, dass das Buch trotzdem viele Mängel aufweist und es dem Leser wirklich schwer gemacht wird, freundliche Mine zu bewahren.

Die Geschichte der Familie Ovitz ist komplex. Es ist nicht nur die Geschichte von Judenverfolgung, von Auschwitz, vom Überleben, es ist auch die Geschichte des gesamten Bereiches der medizinischen Verbrechen im Nationalsozialismus. Die Ovitzens waren Juden und zudem, in den Augen der Nationalsozialisten, Menschen mit "Behinderung". Diese Komplexität konnten die Autoren bei Weitem nicht befriedigen, schlimmer noch, das Buch liest sich in weiten Strecken wie ein Panoptikum von Kuriositäten.

Alleine die Sprache, die Wortwahl, ist äußerst problematisch. Anstatt von Kleinwüchsigkeit zu sprechen, schreiben die Autoren ohne Unterlass von "Liliputanern" und "Zwergen". Es scheint nicht nur den Autoren, sondern auch dem Lektorat vollkommen entgangen zu sein, dass kleinwüchsige Menschen seit Jahrzehnten darum kämpfen, nicht als "Liliputaner" und "Zwerge" bezeichnet zu werden. Mit politisch korrekter Begrifflichkeit halten die Autoren es offensichtlich allgemein nicht so genau, liest man doch auch ständig von "Zigeunern", anstatt von "Sinti und Roma". Aber mehr noch, in Koren und Negevs Buch gehen und laufen die "Zwerge" nicht, sie "watscheln", sie ziehen sich "puppenhaft" an und erscheinen auch sonst gänzlich unnormal, kurios und belustigend. Wer davon noch nicht genug hat, wird spätestens von den detailgeilen Schilderungen der Untersuchungsprozeduren oder dem Alltagsleben der Familie abgestoßen. Anstatt den Besonderheiten einer Familie mit kleinwüchsigen Mitgliedern gerecht zu werden und Verständnis dafür zu erwecken, rutschen Koren und Negev immer wieder in einen kaum zu verbergenden Voyeurismus ab.

Wie ein Märchen erzählen die Autoren von der Familie. Im Vorwort ist zu lesen: "Dies ist die wahre Geschichte von den sieben Zwergen, in der es kein mildtätiges Schneewittchen gibt, sondern ein Monster." Nichts ist gegen eine romanhafte Schilderung einer Überlebensgeschichte einzuwenden. Fatal ist jedoch die plumpe Vermischung von Roman und geschichtlicher Darstellung, die eine Verniedlichung bewirkt. Fatal auch, wenn sich der Roman wie ein Groschenheft liest.

Das Buch wird seinem Anspruch, einen Beitrag zur Aufhellung der immer noch dunklen Geschichte von medizinischen Versuchen in Konzentrationslagern zu leisten, nicht gerecht. Schlimmer noch, Koren und Negev wiederholen alte Stereotypen, geben unreflektierte Begrifflichkeiten wieder und richten damit mehr Schaden als Nutzen an.

hagalil.com 30-05-03











 

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