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Interkonfessioneller Fußball

Michael Brenner

Als dieses Bild (ich bin darauf in der Mitte hinten zu sehen) zu Rosch ha-Schana 1981 in der Weidener Synagoge aufgenommen wurde, war die in der unmittelbaren Nachkriegszeit einmal aus knapp tausend jüdischen Displaced Persons osteuropäischer Herkunft bestehende Gemeinde auf weniger als 40 Mitglieder zusammengeschrumpft. Mit Müh und Not schaffte man es an jedem Feiertag, einen Minjan (die für das Gemeindegebet notwendige Zahl von zehn Männern) zusammenzubringen. Dass dies aufgrund der Altersstruktur von Jahr zu Jahr schwieriger wurde, lässt sich aus dem Bild unschwer ersehen. Niemand ahnte damals, dass die Gemeinde zwei Jahrzehnte später aufgrund der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion auf circa 400 Mitglieder anwachsen sollte.


Rosh haSchana 1981 in Weiden

In meiner Schule war ich der einzige Jude - außer dem, den wir täglich vor uns am Kreuz sahen. Von den fünf Parallelklassen einer Jahrgangsstufe waren vier katholisch - und in der fünften die Minderheiten versammelt: das waren neben den Evangelischen und mir ein persischer Muslim, ein neuapostolischer Christ und - besonders exotisch damals - ein Schüler mit dem Eintrag "o. B.", was ohne Bekenntnis heißen sollte. Mein Eintrag änderte sich im Lauf der Jahre von "mos." (was mosaisch bedeutete, aber meist als moslemisch verstanden wurde) über "is." (was israelitisch hieß, aber von den meisten als islamisch gedeutet wurde) bis hin zum unmissverständlichen "jüd.". Wir vier "Exoten" spielten während der evangelischen Religionsscunde regelmäßig eine Art interkonfessionellen Fußball.

Mein eigener Religionsunterricht fand einmal wöchentlich am Nachmittag im Jüdischen Gemeindehaus statt. Man kann sich das vorstellen wie in einer Zwergschule auf dem Dorf. Wir waren anfangs noch vier Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen, was bedeutete, dass wir jedes Jahr regelmäßig die gleichen Themen behandelten. Da ich der Jüngste der vier war, war ich zum Schluss allein im Religionsunterricht, und nach meinem Abitur gab es einige Jahre lang gar keine Schüler mehr. Ein Bild zeigt uns vier Schüler im Jahr 1970 mit dem Lehrer Julius Jonathan Klieger, der als "Wanderlehrer" mehrere bayerische Kleingemeinden ("Amberg, Bamberg, Schmamberg", sagten die Großstädter abschätzig) betreute. Nachdem er in ein nahe gelegenes Dorf gezogen war, kam er, der selbst keinen Führerschein besaß, manchmal auf dem Hintersitz des Mofas seiner Tochter gefahren und legte seinen Sturzhelm neben die auf dem Tisch verteilten Gebetbücher, seine obligatorische Banane und sein Glas Tee. Er war vielleicht nicht der geborene Pädagoge, aber die zahlreichen Diskussionen mit ihm über Gott und die Welt während 13 Jahren haben mir doch wohl mehr gegeben als so mancher formaler Unterricht in der "richtigen" Schule.

Religionsunterricht 1970

Jüdisch sein bedeutete in meiner Kindheit nicht nur der über allem schwebende Schatten der unmittelbar zurückliegenden Katastrophe. Jüdisch sein bedeutete auch eine Art besonderen Humor, wie wir ihn etwa auf den in Frankreich hergestellten Platten (einer danach bald ausgestorbenen Plattengröße) der jiddischen Satiriker Dzigan und Szumacher zu hören bekamen. Am besten in Erinnerung ist mir das Stück "Einstein Weinstein", in dem neben vielen anderen Weisheiten die Relativitätstheorie mit einem beeindruckenden "Muschl" (Beispiel) erklärt wird: Sieben Haare in der Milch sind viel, sieben Haare auf dem Kopf - das ist wenig. Später wurde ich dann mit dem vielleicht letzten Vertreter eines noch existierenden deutsch- (oder besser: österreichisch-)jüdischen Humors vertraut: mit Georg Kreisler und seinen "Nichtarischen Arien". "The Most Mishige" Mickey Katz war der wohl genialste musikalische Interpret in einer jiddischenglischen Sprachmischung, die man am besten als "Yinglish" bezeichnet. Seine Parodien auf damals bekannte Schlager, darunter Titel wie "It's a mechaye in Hawaiye" oder "I'm a schlemiel offortune" sind heute Klassiker des jüdischen Humors.

Michael Brenner, geboren 1964 in Weiden, Studium der Geschichte in New York, ist Professor für Jüdische Zeitgeschichte in München.

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hagalil.com 20-04-03











 

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