Großbanken in Konkursgefahr:
Die deutschen Bankiers in der Bankenkrise
von 1931
Prolog zu Christopher Koppers "Bankiers
unter dem Hakenkreuz"
Die Reichstagswahl am 15. September 1930 sandte heftige Schockwellen durch Deutschland. Nur wenige in und ausländische Beobachter hatten mit einem solch
überragenden Wahlergebnis der Nationalsozialisten gerechnet. Über 18% der Stimmen entfielen auf die NSDAP,
die damit als zweitstärkste Fraktion in den Reichstag
einzog.
Die ausländischen Geldmärkte reagierten auf dieses
Ergebnis sehr nervös. Fast ein Drittel der Reichstagssitze
befand sich jetzt in den Händen zweier extremistischer
und eindeutig republikfeindlicher Parteien, der NSDAP
und der KPD. Die Hoffnungen der Finanzwelt, dass der
eiserne Sparkanzler Heinrich Brüning (Zentrum) eine
parlamentarische Mehrheit für seinen unternehmensfreundlichen Sparkurs gewinnen möge, blieben unerfüllt. Brünings Kalkül, mit der vorzeitigen Auflösung
des Reichstags eine Mehrheit für seinen Sparkurs und
für den Abbau des Sozialstaats zu gewinnen, war gescheitert. Der Kanzler hatte gehofft, den ehemaligen Koalitionspartner SPD durch einen gemäßigten Rechtsruck
endgültig von der Macht vertreiben zu können. Das
Gegenteil trat ein: Brüning brauchte nunmehr eine stillschweigende Tolerierung durch die SPD, um ein parlamentarisches Misstrauensvotum gegen sich und seine
Minderheitsregierung zu überstehen.
Die Reichstagsfraktion der NSDAP bewies sofort, dass
sie nicht allein die parlamentarische Demokratie, sondern auch die liberale Wirtschaftsordnung der Weimarer
Republik beseitigen wollte. Zu den ersten Anträgen der
NSDAP-Reichstagsfraktion gehörte ein Gesetzesentwurf, der nicht weniger als die Enteignung aller sogenannten
"jüdischen Kriegsgewinnler" und eine strikte
Begrenzung des Zinsniveaus für alle Kredite forderte.
In der Zeit vom 15. September bis zum 10. November
1930 flossen nicht weniger als 300 Mio. RM ausländischer Einlagen bei den Berliner Banken aus Deutschland ab, importiertes Kapital, das für das Funktionieren
der privaten Wirtschaft und für die Zahlungsfähigkeit des Staates unverzichtbar war. Darüber hinaus
hoben verunsicherte inländische Anleger Guthaben von
600 Mio. RM von ihren Bankkonten ab. Nicht wenige
deutsche und ausländische Anleger rechneten mit bürgerkriegsähnlichen
Auseinandersetzungen mit Nationalsozialisten und Kommunisten. Sie fürchteten, es könne
wie im Hyperinflationsjahr 1923 zu einer Zerrüttung
der Währung kommen.
Obwohl die schrumpfende Geldmenge vor allem die Gefahr einer Deflation heraufbeschwor,
war die Erinnerung an die Inflationszeit noch so frisch und stark, dass die
Eliten in Politik und Wirtschaft auf die völlig unwahrscheinliche Gefahr einer
Inflation fixiert waren. Ein erheblicher Anteil der gekündigten Einlagen gehörte jüdischen Kunden, die wegen
des nationalsozialistischen Wahlerfolgs und der zunehmenden Gewalttätigkeiten der braununiformierten SturmAbteilung (SA) eine Wiederholung des nationalsozialistischen Putschversuchs von 1923 befürchteten.
Die deutsche Industrie, die Städte, Länder und Gemeinden hatten einen erheblichen Teil ihrer Investitionen direkt oder indirekt mit ausländischen Krediten und
Anleihen finanziert. Deutschland hatte sich bei den
englischen und amerikanischen Bankiers in den großen Investmentbanken einen
Ruf erworben, den nach dem Zweiten Weltkrieg Schwellenstaaten wie Brasilien,
Argentinien und Mexiko gewinnen sollten: Staaten, die den Ausbau ihrer
Industrie und ihrer Infrastruktur mangels eines leistungsfähigen inländischen Kapitalmarktes
mit ausländischen Krediten finanzierten.
Als Preis für den hohen Geldbedarf und das schlechtere Kredit-Rating Deutschlands zahlten deutsche Banken eine Risikoprämie in Form höherer Zinsen. Die
hohen Zinsen, die in den Zeiten einer normalen Konjunktur noch verkraftbar
waren, stellten in der Weltwirtschaftskrise eine schwere Belastung dar. Als
Folge der hohen Geldabzüge stieg das Zinsniveau für Diskontkredite von September bis Oktober 1930 von 4,7 auf
7,1 %. Die Risikoprämie, die in Form einer Zinsdifferenz zwischen dem Berliner und dem New Yorker Geldmarkt
fällig war, hatte sich von 1,4 auf 3,1 % erhöht.
Die Unternehmen, die teure Kredite zur Finanzierung neuer Ausrüstungen
aufgenommen hatten, wurden nun mit erheblichen Überkapazitäten konfrontiert.
Die Maschinen, die das Geld zu ihrer eigenen Abzahlung verdienen sollten,
lagen mangels Aufträgen still. Dadurch wurde die Rückzahlung der
industriellen Investitionskredite ernstlich in Frage gestellt.
Seit 1924 hatte Deutschland mit der Reichsmark
wieder eine konvertierbare Währung, mit der es alle
Waren und Dienstleistungen im Ausland kaufen konnte.
Zur Sicherung der Konvertierbarkeit hatte der Dawes-Plan von 1924 die
Reichsbank dazu verpflichtet, mindestens 40% des Geldumlaufs in Form von
Gold und Devisen zu decken. Das Deutsche Reich besaß auch in anderer
Hinsicht nicht die volle währungspolitische Souveränität. Ohne die
Zustimmung der Unterzeichnerstaaten Großbritannien, Frankreich und USA war eine
Abwertung der Reichsmark, die den Export deutscher
Waren ins Ausland erleichtert hätte, nicht möglich.
In den 70er und 80er Jahren führten neoliberale und
keynesianische Wirtschaftshistoriker ebenso engagierte wie intensive
Debatten über die Streitfrage, ob Brüning bewusst auf den Gebrauch seines
währungspolitischen Instrumentariums verzichtete und die Chance zur Abwertung
der Reichsmark verstreichen ließ. Wie die Keynesianer richtig bemerkten, hätte die Abwertung der
Reichsmark die Exportchancen auf dem Weltmarkt
erhöht und damit wenigstens einen Teil der weltweiten
Zollerhöhungen neutralisiert. Bei ihrer Argumentation
vergaßen die Keynesianer jedoch, dass eine Abwertung
auch den Betrag der Auslandsschulden erhöht und die
deutschen Schuldner das Reich, die Länder und die
großen Geschäftsbanken in Zahlungsschwierigkeiten
gebracht hätte. Nach den Statuten des Dawes-Plans und
des Young-Plans hatte sich die Reichsregierung vertraglich
zur Einhaltung der bestehenden Goldstandards verpflichtet. Eine Abwertung
der Reichsmark und ein Abgehen vom Goldstandard wären nur mit der Zustimmung
der amerikanischen, der britischen und der französischen Regierung möglich gewesen. Schon ihr nationales Eigeninteresse, keine Marktanteile an deutsche Exporteure zu
verlieren, degradierte eine solche Möglichkeit zu einer
rein theoretischen Option.
Die weltweite Tendenz der
Krisenjahre, die Folgen der Krise auf den Nachbarn
abzuladen, erstickte alle Ansätze einer internationalen
Zusammenarbeit in der Handelspolitik und in der Währungspolitik im Keim. Die währungspolitischen Spielräume der Reichsbank und der Reichsregierung blieben
damit eng begrenzt.
Reichskanzler Brüning interessierte sich ohnehin
nicht für derartige Überlegungen. Als Anhänger der
klassischen liberalen Volkswirtschaftstheorie glaubte er
nicht an die keynesianische Alternative, dass man den
weiteren Fall der Nachfrage durch eine aktive Kreditpolitik aufhalten könne. Brüning kamen die zunehmenden
Zahlungsengpässe des Reiches sehr gelegen, um damit
die Unerfüllbarkeit der alliierten Reparationsforderungen zu beweisen. Der Kanzler ordnete seinem außenpolitischen Hauptziel, die alliierten Siegermächte zur
Aufhebung ihrer Reparationsforderungen zu bewegen,
alle anderen Ziele unter.
Der 1930 unterzeichnete Young-Plan brachte einige
politische Erleichterungen für das Deutsche Reich, ohne
die prekäre Abhängigkeit des Reiches von ausländischen
Krediten zu beenden. Deutschland erhielt durch den
Young-Plan die alleinige Kontrolle über die Reichsbank
zurück. Auch die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft
(DRG), die als hochprofitables Monopolunternehmen jährlich 650 Mio. RM für
die Zahlung von Reparationen erwirtschaftete, wurde von der Aufsicht durch
alliierte Reparationsagenten befreit. In einem Punkt brachte der Young-Plan
sogar Nachteile: Die sogenannte Transferschutzklausel, mit der sich das
Reich in einer Zahlungsbilanzkrise vor einer Überforderung seiner Devisenreserven schützen konnte, wurde aufgehoben.
Das Funktionieren des deutschen Bankwesens hing
am seidenen Faden ausländischer Einlagen. Zu Beginn
der Weltwirtschaftskrise gehörten etwa 40 % aller
Bankeinlagen ausländischen Anlegern.
Die deutschen
Großbanken, zu denen die Deutsche Bank, die Dresdner
Bank, die Darmstädter- und Nationalbank (DaNat-Bank) und die Commerzbank gehörten, hatten einen
Teil ihrer Kredite an deutsche Unternehmen mit Einlagen von ausländischen
Banken und sonstigen Anlegern refinanziert. Verbindlichkeiten gegenüber
ausländischen Kreditgebern und Anlegern waren im Grunde genommen nicht gefährlich, da jedes Bankhaus überwiegend
mit fremden Mitteln arbeitet. Viele dieser Einlagen waren
jedoch nur kurzfristig angelegt und konnten sofort oder
mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Ein
erheblicher Teil dieser Mittel floss in Form langfristiger
Kredite an Kunden aus der Industrie und aus dem Dienstleistungsgewerbe. Selbst eine Kreditkündigung aus besonderen Gründen konnte die festliegenden Kredite nicht
wieder verflüssigen, da sich die Liquidität der Industrie
infolge der Weltwirtschaftskrise dramatisch verschlechterte. An eine kurzfristige Rückzahlung der Kredite war
nicht zu denken.
In politisch und wirtschaftlich stabilen Zeiten wäre
ein solches Missverhältnis zwischen kurzfristigen Einlagen und langfristigen
Ausleihungen nicht besonders riskant gewesen. Sparkonten galten nach dem
Gesetz zwar als kurzfristige Einlagen, waren in aller Regel aber als
längerfristige Geldanlage angelegt. In Krisenzeiten barg ein Verstoß gegen
die goldene Bankregel, kurzfristig hereingenommene Einlagen nur kurzfristig
auszuleihen, ein großes potentielles Risiko. Die deutschen Großbanken waren allzu sehr von ausländischen Einlegern
abhängig geworden, deren Vertrauen in die Stabilität
des deutschen Kreditwesens, der deutschen Wirtschaft
und der deutschen Politik nicht allzu robust war. Im
Gegensatz zur "goldenen" Vorkriegszeit vor 1914 war
die Eigenkapitalausstattung der Banken zu gering, um
auch größere Forderungsausfälle und höhere Verluste zu
überstehen. Während die deutschen Großbanken 1914
über einen Eigenkapitalanteil von 14 % verfügten, war
das Eigenkapitalpolster 1930 bis auf 3 % gesunken.
Die größten Gefahren aber drohten den Banken
durch eine allzu leichtfertige Bewertung ihrer Kredite.
Bislang entschieden die Banken allein, wann und in
welcher Höhe sie Rückstellungen für "faule" Kredite
bildeten und ihre Forderungen auf "notleidende" Kredite
berichtigten. Noch gab es keine staatliche Bankenaufsicht, die eine gefährliche Schieflage eines Bankhauses
rechtzeitig erkennen, Wertberichtigungen anordnen und
die Vergabe neuer Kredite einschränken konnte. Da es
keine Vorschriften über den maximalen Kreditbetrag für
einen einzelnen Kreditnehmer gab, konnte ein einzelnes
großes notleidendes Kreditengagement ein Bankhaus
erheblich erschüttern.
Manche Institute wie die Danat-Bank hatten die
Höhe ihrer Dividendenausschüttung zu Beginn der
Weltwirtschaftskrise nur deshalb halten können, weil sie
einen Teil der Dividenden mit den Rücklagen bezahlten.
Sie kürzten ihre Eigenkapitaldecke, um auf dem Aktienmarkt einen besseren Eindruck zu machen. Obwohl der
Begriff des "shareholder value" damals noch nicht
geprägt war, tat der Vorstand der Danat-Bank alles, um seine Aktionäre bei
Laune zu halten und seinen Aktienkurs zu stützen. Ihre aggressive Geschäftspolitik fand
zwar den Beifall ihrer Aktionäre, sorgte aber im Vorstand der Deutschen Bank für Verstimmung. Der nahm
seinen Konkurrenten übel, dass die Danat-Bank höhere
Zinsen an Anleger als sie selbst zahlte. Für die eher konservativ und
vorsichtig eingestellten Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank war dieser
Zinswettbewerb eine Form des unlauteren Wettbewerbs, der mit den Grundsätzen und Sitten des Bankgeschäfts nicht zu vereinbaren war.
Ein einziges notleidendes Kreditengagement der
Danat-Bank löste die Bankenkrise aus. Anfang Mai
1931 entdeckte der Danat-Bank-Direktor Max Doerner bei einer Buchprüfung,
dass ein Großkunde des Bankhauses seine Bilanzen gefälscht und einen
drohenden Konkurs verschleiert hatte. Eine niederländische Tochtergesellschaft
des Textilunternehmens Nordwolle AG in Bremen hatte fortgesetzt Aktien der
Muttergesellschaft gekauft. Sie hatte damit nicht nur den Kurs der Nordwolle
AG künstlich erhöht, sondern auch das Eigenkapital ihrer eigenen
Muttergesellschaft vermindert. Dies war nur die Spitze des Eisbergs. Die
Eigentümerfamilie Lahusen zog wiederholt Eigenkapital aus
dem Unternehmen heraus, um ihren aufwändigen großbürgerlichen Lebensstil zu
finanzieren.
Die offenen
Kreditforderungen der Danat-Bank gegenüber der
Nordwolle waren mit 48 Mio. RM nicht gering. Schon
die offen ausgewiesenen Verluste von 45 Mio. RM
bereiteten dem Vorstand der Danat-Bank Sorgen. Eine
genaue Prüfung der Nordwolle-Bücher durch den
Danat-Bank-Direktor Doerner ergab jedoch, dass die Nordwolle AG bei
Berücksichtigung aller Bilanzfälschungen einen Verlust von 145 Mio. RM
erwirtschaftet hatte und damit kurz vor der Pleite stand.
Doerner kehrte mit der Schreckensnachricht vom
drohenden Zusammenbruch der Nordwolle am Abend
des 11. Mai 1931 nach Berlin zurück.
Der Zufall wollte
es, dass sein Vorstandsvorsitzender Jakob Goldschmidt
gerade den Nordwolle-Eigentümer Carl Lahusen in
seiner Villa bewirtete. Doerner bat Lahusen für einen
Augenblick in einen Nebenraum der Goldschmidt-Villa
und teilte seinem Chef die Nachricht unter vier Augen
mit. Goldschmidt war völlig schockiert, geriet aus der
Fassung und rief mehrfach aus: "Die Nordwolle ist hin,
die Danat-Bank ist hin, ich bin hin."
Goldschmidt setzte
das Abendessen in eisigem Schweigen fort. Lahusen
merkte, dass diese Nachricht das Vertrauensverhältnis
mit Goldschmidt zerstört hatte, und brach im Laufe des
Abends in Tränen aus. Trotz der aussichtslosen Lage
versuchte er immer noch, Goldschmidt mit falschen
Angaben über die Lage seines Unternehmens zu täuschen. Goldschmidt bewahrte während des gesamten
Abends mühsam die Fassung und ließ seinen aufgestauten Hassgefühlen gegen Lahusen am nächsten Tag freien
Lauf. Goldschmidt zitierte Lahusen zu sich, geriet über
seine fortgesetzten Ausflüchte in Rage und schleuderte
sogar einen Stuhl nach ihm, der Lahusen nur knapp verfehlte.
Die Aktienkurse der Danat-Bank gingen im Laufe
der nächsten Wochen zurück, als erste Gerüchte über... ...
Christopher Kopper:
"Bankiers
unter dem Hakenkreuz"
[BESTELLEN?]
Welche
Rolle spielten die deutschen Bankiers in der Zeit des Nationalsozialismus?
Wie mächtig waren die deutschen Bankiers? Wie machten sie ihren Einfluss
geltend? Nutzten sie ihre guten Beziehungen zu führenden Nationalsozialisten
ausschließlich im Eigeninteresse oder auch, um Grenzen zu ziehen, Verfolgte
zu schützen?
Christopher Kopper beleuchtet in der ersten umfassenden Untersuchung zum
Thema ein dunkles Kapitel:
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, diente die
Bankelite vorbehaltlos dem System, wirkte bei der »Arisierung« jüdischer
Unternehmen und Vermögen mit und verschaffte der SS Millionenkredite, die
sie zum Ausbau ihres Terrorsystems verwandte. Nach dem Krieg konnten die
meisten ihre Karriere ungehindert fortsetzen.
deutscher taschenbuch verlag
Ein dunkles Kapitel:
Banken unter dem
Hakenkreuz
Nicht selten in vorauseilender Anpassung dienten die Spitzenbankiers von
wenigen Ausnahmen abgesehen vorbehaltlos dem NS-Regime, wirkten bei der
»Arisierung« jüdischer Unternehmen und Vermögen mit, stellten die Mittel für
das Rüstungsprogramm bereit, waren an Geschäften mit Gold und Devisen aus
den besetzten Ländern beteiligt und verschafften der SS Millionenkredite für
den Ausbau ihres Terrorsystems. Nach dem Krieg konnten die meisten
Angehörigen der Bankenelite ihre Karriere ungehindert fortsetzen... |