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Israel am Wendepunkt:
Von der Demokratie zum Fundamentalismus?

Einleitung von Richard Chaim Schneider

Fünfzig Jahre Israel - das wäre natürlich ein Grund zum Feiern. Man müßte auf die Entwicklung des Zionismus hinweisen, die Entstehungsgeschichte des jüdischen Staates erzählen, auf die militärischen Siege, die erfolgreiche Integration der Einwanderer, die Wiederbelebung der hebräischen Sprache und auf die kulturellen Leistungen des jungen Staates eingehen. Man müßte, mit anderen Worten, eine wirklich einzigartige Erfolgsstory vorstellen und angesichts der Schoah darüber jubeln, daß Juden endlich einen eigenen Staat haben.

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Nichts dergleichen geschieht in diesem Buch. Die positiven Aspekte, die Israel aufzuweisen hat, werden in den folgenden Kapiteln kaum erwähnt. Es fällt mir schwer, in den allgemeinen Jubel einzufallen, weil ich Israel zu nah und gleichzeitig zu fern bin. Zu fern, weil ich als Diaspora-Jude nicht ständig und unmittelbar an den Geschehnissen Israels teilhabe; zu fern auch, weil ich den Jubel zionistischer Ideologen noch allzugut im Ohr habe, die mir seit meiner Kindheit immer wieder zu erklären versuchten, daß ich einfach im Lande Israel leben müsse, daß Eretz Jisrael das Land sei, wo Milch und Honig fließen. Überhaupt sei in Israel alles besser als sonstwo. Zu nah, weil ich seit meiner frühesten Kindheit so oft im Lande war und dort auch über längere Zeit gelebt habe, so daß ich Israel - mit Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland - besser kenne als jedes andere Land. Zu nah aber auch, weil es durchaus jüdischer Tradition entspricht, kritisch und skeptisch zu sein, vor allem gegenüber dem Eigenen. Seit jeher zeichnete es auch jüdische Intellektuelle aus, gegenüber der Gesellschaft, in der sie leben, kritische Distanz zu halten. Gerade die israelischen Intellektuellen beweisen mit ihrer ständigen Einmischung in die politische und soziale Entwicklung in ihrem Land, daß sie ihre gesellschaftliche Rolle als Mahner durchaus ernst nehmen und Verantwortung tragen wollen für das Gemeinwohl.

Ich kann allerdings auch noch aus einem anderen Grund nicht jubeln: Angesichts der politischen Situation im Nahen Osten sehe ich nur wenig Grund zur Freude, und bis heute sitzt mir noch jener Abend tief im Gedächtnis, an dem Jitzchak Rabin ermordet wurde. Ich war damals überzeugt, daß nach seinem Tod nichts mehr in Israel so sein würde wie zuvor. Was bis dahin allenfalls als Möglichkeit gelegentlich aufschimmerte, war durch die Todesschüsse von Tel Aviv Wirklichkeit geworden: Der jüdische Konsens war zerbrochen. Die Einheit der Nation war zerbrochen, und diese Spaltung der israelischen Gesellschaft wird wohl über lange Zeit anhalten. Es bleibt offen, ob in Israel jemals wieder eine Atmosphäre entstehen kann, wie man sie als Besucher dieses Staates bis 1995 immer wieder bewunderte: jene Stimmung, die eine zwar zerstrittene, aber letztendlich doch zusammengehörende Familie auszeichnet.

Es ist nichts Besonderes, als Jude die problematischen Aspekte des zionistischen Staates zu beleuchten. Andere, bedeutendere Juden haben dies schon lange vor mir getan. Doch es ist gewiss eine Besonderheit, dies für eine deutsche Leserschaft zu tun. »Was bist du nur für ein Jude«, fragte mich einer meiner israelischen Gesprächspartner, »statt hier zu leben und am Aufbau Israels mitzuwirken, schreibst du ein Buch für die Deutschen und zeigst ihnen nur die schlechten Seiten des Landes!« Diesen Vorwurf hörte ich nicht nur einmal im Laufe meiner mehrmonatigen Recherchen in Israel. Auch in Deutschland gibt es Juden, die solch ein Unterfangen nicht tolerieren wollen und mich als »Nestbeschmutzer« beschimpfen werden, denn jede Kritik an Israel von jüdischer Seite liefert ihnen zufolge hierzulande nur zusätzliche Munition für Antisemiten und Antizionisten. Gewiss, ein Körnchen Wahrheit mag schon darin enthalten sein, aber wann werden wir Juden aufhören zu glauben, daß »richtiges« oder »falsches« Verhalten irgendeinen Effekt auf diejenigen haben könnte, die offenbar gar nicht in der Lage sind, ihre Vorurteile uns gegenüber abzubauen?

Andererseits ist es doch gerade ein besonders positiver Aspekt Israels, die internationale Presse ins Land zu lassen und ihr so gut wie nichts vorzuenthalten - ein Akt des Selbstbewusstseins, der Emanzipation und auch des Stolzes. Sollte das für uns nicht auch längst gelten? Allerdings gibt es da auch ein sehr deutsches Problem, das nicht zu übersehen ist. Bis heute ist die deutsche Berichterstattung über Israel häufig von unbewußten Ängsten, Ressentiments oder auch falscher Zuneigung gegenüber den Juden geprägt. Eine semantische Analyse deutscher Zeitungsartikel würde dies sofort bestätigen. Auch die Berichterstattung in den elektronischen Medien erscheint problematisch, da sie nur selten auf vielschichtige Zusammenhänge im Nahost-Konflikt hinweisen will und kann.

Insofern hoffe ich, daß ich mit diesem Buch dem deutschen Publikum einige Hintergründe der israelischen Politik aufzeigen und vor allem deutlich machen kann, daß die politische Diskussion in Israel sehr viel pluralistischer, komplexer und vielfältiger ist, als sie hierzulande wiedergegeben wird.

Ich beschränke mich in diesem Buch auf Betrachtungen zur innenpolitischen Lage Israels. Das hat zwei Gründe. Zum einen meine ich, daß den vorhandenen Publikationen zum palästinensisch-israelischen Konflikt kaum etwas hinzuzufügen bleibt; zum anderen glaube ich, daß die Situation in Israel im Augenblick tatsächlich an einem Wendepunkt angelangt ist. An dieser Entwicklung sind die Palästinenser in den besetzten Gebieten zwar mit »schuld«, doch im innenpolitischen Szenario treten sie nur als Statisten auf. Der Ausgang des Kampfes, den die hier vorgestellten Protagonisten miteinander führen, wird meines Erachtens wesentlich dazu beitragen, wie der Nahe Osten in Zukunft aussehen wird.

Viele Monate hielt ich mich in Israel auf, und ich hatte das Glück, vielen, vielen Menschen zu begegnen, die für dieses Buchprojekt gerne bereit waren, mir Rede und Antwort zu stehen. Dabei hatte ich die Gelegenheit, Menschen aus allen politischen Lagern und Gesellschaftsschichten zu treffen: Ultraorthodoxe und Atheisten, Rechtsextremisten und linke Fanatiker, Friedensbewegte und Kriegstreiber, Tauben und Falken, Siedler und Oppositionelle, emanzipierte Frauen und chauvinistische Männer, Sefardim und Aschkenasim, Zionisten und Antizionisten - und natürlich auch Muslime jeglicher politischer Couleur. Die Gespräche wurden auf Hebräisch und Jiddisch, auf Englisch und Deutsch, auf Französisch und manchmal in einem Mischmasch aller möglichen Sprachen geführt. Das Sprachengewirr in Israel ist nach wie vor ein sicheres Indiz für eine kulturelle und gesellschaftliche Vielfalt, die einerseits als wundersamer Pluralismus, andererseits als Chaos gewertet werden kann. Israel ist ein Phänomen. Es gibt wohl kaum ein zweites Land, in dem das politische Tagesgeschehen so stark in den Alltag und in das Bewußtsein der Menschen hineinspielt. David Ben Gurions Stoßseufzer »Ich bin Ministerpräsident von Millionen Ministerpräsidenten« hat nichts von seiner Aktualität verloren.

Als ich 1966 als kleiner Junge das erste Mal nach Israel reiste, besuchte ich mit meinem Vater das damals noch geteilte Jerusalem. Dort zeigte er mir, von einer Grenzmauer herab zum Horizont weisend, die ungefähre Lage der Westmauer des einstigen jüdischen Heiligtums, des Tempels. Eines Tages, wenn der Messias käme, würden wir dorthin können, versicherte mir mein Vater hoffnungsvoll. Inzwischen war ich etliche Male an der »Klagemauer«, und das Gerede um die Ankunft des Messias will nicht aufhören; es hat längst die Tagespolitik des jüdischen Staates durchdrungen. In nur wenigen Jahrzehnten hat sich die Situation Israels mehrfach grundsätzlich gewandelt.
Für den Journalisten ist die Situation in Israel kompliziert. Jedes neue Gespräch wirft neue Fragen auf und erinnert an den jüdischen Witz, in dem zwei Streithähne zum Rabbi kommen und von ihm eine Entscheidung fordern. Der erste trägt seine Sicht der Auseinandersetzung vor, die der Rabbi mit einem »Du hast recht« kommentiert. Nachdem der zweite seine Version vorgetragen hat, sagt der Rabbi erneut: »Du hast recht.« Nun mischt sich ein Dritter ein, der diesem Gespräch beigewohnt hat, und hält dem Rabbi vor, daß er doch nicht beiden Kontrahenten recht geben könne, woraufhin der Rabbi nur trocken erwidert: »Du hast auch recht.« In diese Position sieht sich der interviewende Journalist gedrängt, wenn er sich der Mühe unterzieht, die jeweiligen Weltanschauungen der Gesprächspartner ernst zu nehmen. Dieses »Du hast auch recht« mag vielleicht das größte Hindernis für einen dauerhaften Frieden, im Falle dieses Buches aber auch für eine umfassende Darstellung der innerisraelischen Probleme sein.

Natürlich mußte ich beim Schreiben Position beziehen. Bereits der Untertitel dieses Buches ist die klare Vorgabe einer politischen und weltanschaulichen Position, die hier auch klar vertreten wird. Hinter meiner Kritik schimmert jedoch, so hoffe ich, meine Liebe zu Israel hervor. Und das heißt: Ich liebe auch diejenigen, die meinen Überzeugungen widersprechen, weil ihnen allen das Wohl des jüdischen Volkes am Herzen liegt, weil sie alle glauben, daß so und nur so, wie sie sich politisch einbringen, die Sicherheit und die Zukunft des jüdischen Volkes garantiert sind. Mit Ausnahme der Rechtsextremisten, denen die Mittel zum Erreichen dieses Ziels gleichgültig sind, die obendrein den Holocaust als Legitimation ihres teilweise menschenverachtenden Vorgehens mißbrauchen, finde ich bei allen Menschen in Israel immer auch Denkensarten und Beweggründe vor, mit denen ich mich identifizieren kann.
Israel steht derzeit am Rande des Abgrunds. Diesmal nicht wegen der Bedrohung durch seine Nachbarstaaten, sondern aufgrund seiner vielschichtigen inneren Spannungen, die dieses kleine, geschundene Land aufs äußerste erschüttern. Man muß die unterschiedlichen kulturellen Einflüsse berücksichtigen, die auf das jüdische Volk in rund 120 Ländern eingewirkt haben, und die sich nun auf einem winzigen Territorium gebündelt auswirken, um auch nur annähernd zu begreifen, was sich auf diesem Fleckchen Erde eigentlich abspielt. Gerade deshalb kann diese Reportage nicht ganz frei von Verallgemeinerungen sein. Natürlich gibt es nicht »die Sefardim« oder »die Rechten«, es gibt nicht »die Aschkenasim« oder »die Linken«. Die Vielzahl der Strömungen innerhalb einzelner Gruppierungen ist kaum zu erfassen; jede für sich ist bereits ein unübersichtlicher, verwirrender, aber auch beeindruckender Mikrokosmos. Und doch gibt es bei allen hier vorgestellten Gruppen einen Grundkonsens. Auf diesen jeweiligen gemeinsamen Nenner beziehe ich mich, muß ich mich beziehen, wenn ich dem deutschen Leser Israel auch nur ansatzweise näherbringen möchte. Daß ich dabei so manche ethnische oder religiöse Gruppe unberücksichtigt lassen muß oder nur am Rande erwähnen kann, wie etwa die russischen Immigranten, läßt sich leider nicht umgehen. Daß dieses Projekt in seiner nun vorliegenden Form überhaupt zustande gekommen ist, verdanke ich ganz besonders Shelly Barkay. Als meine Producerin und Begleiterin erwies sie sich als eine überbordende Informationsquelle, die mich immer wieder aufgrund ihrer vielseitigen Kontakte beeindruckte. Viele Einsichten und Schlußfolgerungen in diesem Buch ergaben sich während unserer stundenlangen Diskussionen, die wir im Auto auf der Fahrt zu den zahlreichen Interviewpartnern führten. Gemeinsam fuhren wir mehrere tausend Kilometer durch das Land und hatten die seltene Möglichkeit, Einblick zu nehmen in eine zutiefst gespaltene und verunsicherte Gesellschaft. Die Monate, die wir gemeinsam in dem kleinen Mietwagen verbrachten, gehören sicher zu meinen intensivsten Erfahrungen der letzten Jahre. Danken möchte ich aber auch allen Gesprächspartnern, die sich meinen Fragen stellten, die wußten, daß ich aufgrund meiner Weltanschauung in vielen Dingen eine völlig andere Auffassung habe als sie selbst, die sich, im besten Sinne, provozieren ließen, um mir ihre Position darzulegen, die mich aber auch an ihren Sorgen und Ängsten teilhaben ließen, die mir zum Teil - hier selbstverständlich nicht preisgegebene - Einblicke in ihr Innenleben gewährten, die meine Kenntnisse über Israel vertieft haben und mir auch ein größeres Verständnis für die Tragweite der Probleme dieses Landes vermittelt haben. Diese Gesprächspartner waren: Shulamit Aloni; David Bar-Ilan; Shlomo Benizri, stellvertretender Gesundheitsminister; Asher Ben Natan; Dr. Azmi Bishara, Member of Knesset (MK); Ofer Bernchtein; Roman Bronfman, MK; Josef Burg; Amnon Dankner; Sheikh Abdallah Darwish; Raw Israel Eichler; Raw Benny Elon, MK; Anat Hoffman; Moshe Karif; Raw Benny Katzenson; Prof. Avishai Margalit; Dan Meridor, MK; Ron Nachman; Shimon Peres; Mei'r Porush, stellvertretender Wohnungsbauminister; Ron Pundak; Rabbi Shlomo Riskin; Me'ir Shalev; Prof. Anita Shapira; Shlomo Vazana; Daniela Weiss; Shaul Yahalom, MK; Oman Yekutieli; Prof. Yirminyahn Yovel; Prof. Moshe Zimmermann; Zyad Abu Zayyad und viele andere.

Besonderen Dank schulde ich Amy Horowitz, die den Anstoß zu diesem Buch gab, sowie Marieke Schroeder, die häufig der ideale Kontrapunkt zu dem täglichen Wahnsinn in Israel war. Die intensiven gemeinsamen Augenblicke sind mittlerweile ein unverzichtbarer Bestandteil meiner Israel-Erfahrungen geworden. Ohne meine Freunde hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Tatkräftig unterstützten mich unter anderen Charlotte Blumenbach, Liana Chaouli, Ori Dasberg, Yochi Fuhrmann, Elisabeth Haverkampf, Yvonne Hoffmann, Yael Kombor, Lianne Kolf und Janusch Kozminski.

Schön war es auch, während der vielen Monate in Israel mit anzusehen, wie meine Nichte Romy immer mehr in dieses Land hineinwächst.

Tel Aviv/München, im Dezember 1997

Vorwort von Lea Rabin

hagalil.com 16-02-1998











 

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