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Eine zerstörte Kultur:
Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien

Rezension von Karl Pfeifer


Gerhard Botz, Ivar Oxaal, Michael Pollak, Nina Scholz (Hg): "Eine zerstörte Kultur / Jüdisches Leben und Antisemitismus in Wien seit dem 19. Jahrhundert"
Czernin Verlag Wien 2002
Euro 39.80

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Im März 1985 also noch vor dem Frischenschlager-Reder Skandal und vor der antisemitischen Wahlkampagne von Kurt Waldheim wurde in Paris ein internationales Symposium "Les juifs viennois - De la fin de siècle à la deuxième guerre mondiale" veranstaltet. Hauptsächlich aus diesen Beiträgen entstand die erste Ausgabe dieses Buches, für das sich - und das sagt mehr über dieses Land aus, als alle Festreden über das Kulturland Österreich - kein österreichischer Verlag interessierte und das in Deutschland herausgegeben werden mußte und schon seit geraumer Zeit vergriffen ist, weil es für diejenigen Studenten und politisch interessierten Menschen, die sich für dieses Thema interessieren eine Pflichtlektüre ist.

Nun hat der Wiener Czernin Verlag gewagt diesen gebundenen, 447 Seiten umfassenden Sammelband herauszugeben. Die Herausgeber, Gerhard Botz, Ivar Oxaal und Nina Scholz haben ganze Arbeit geleistet, sie ließen die Beiträge von den Autoren überarbeiten und gewannen auch neue Autoren dazu.

Carl Schorske veröffentlichte 1980 in London sein Buch "Fin-de-Siècle Vienna", das einige, aber nicht alle Paradoxe dieser damaligen Weltstadt behandelte. Nachdem man zuerst im Ausland, auf dieses Wien der Moderne aufmerksam wurde, verstand man auch in Wien daraus politisches und touristisches Kapital zu schlagen.

Man entdeckte auch in Wien die Liebe zu den Juden, die hauptsächlich im Ausland berühmt wurden, zumal ja die meisten schon nicht mehr am Leben waren und ihr Ruhm auch auf das heutige Wien ausstrahlen sollte. Österreichische Politiker betonten in ihren an ein kultiviertes Publikum oder an Ausländer gerichteten Reden, den "jüdischen Beitrag zur österreichischen Kultur" und das half auch den Wissenschaftlern sich mit der bis dahin vernachlässigten Geschichte der Juden und des Wiener Antisemitismus zu beschäftigen.

Gerade dieser zwang junge Juden sich mit ganz neuen Gebieten der Wissenschaften zu befassen. In diesem Schmelztiegel der Völker, das Wien vor dem ersten Weltkrieg war, wurde nur eine Gruppe nicht integriert und das waren die Juden. Das Buch handelt von den Identitäten und dem Selbstverständnis der Juden aber auch von den verschiedenartigen Spielarten des insbesondere in Österreich verwurzelten Antisemitismus.

Der Sammelband endet nicht mit der Schoah, sondern schildert auch das bis heute sehr problematische jüdische Leben in Österreich nach der Befreiung Österreichs durch die Alliierten. Im Band ist auch ein interessantes Interview mit dem "liegend getauften" berühmten Kunsthistoriker Ernst Gombrich.

Der in England lebende Schriftsteller George Clare hat einen launigen Nachtrag zu seinem Buch "Letzer Walzer in Wien" verfaßt, in dem er optimistisch darauf hofft, daß der "Herr Karl" endlich von der Bühne abtritt. Die eher pessimistische Filmemacherin Ruth Beckermann schließt mit ihrem Beitrag das Buch und ihre letzten Absätze lauten: "Mag sein, dass Österreich seine Rolle in Europa gefunden hat, als Hort der Reaktion, als Vendée des 21. Jahrhunderts, Vorbild und Zentrum für alle anderen fremdenfeindlichen Bewegungen, die sich in dieser Umbruchszeit bilden.

Für Juden ist es nicht der richtige Ort.

Wie überzeugt sie selbst auch davon sind, sich als Österreicher für das eine oder das andere Österreich zu engagieren, von den anderen werden sie nach wie vor und mehr als seit langem als unösterreichisch wahrgenommen. Denn eine chauvinistische Gemeinschaft beruht auf dem Ausschluss der anderen. Ob sich ihr Hass nun offen gegen Juden richtet oder andere Zielgruppen auswählt, auf diesem historischen Boden sind immer auch die Juden - die Anderen par excellence - gemeint."

Dem stimmt auch der Rezensent zu, der trotzdem hofft, dass viele junge und alte Menschen diese Dokumentation einer zerstörten Kultur, die gerade am Ort des Erfolgs von Georg von Schönerer und Karl Lueger blühte, käuflich erwerben und lesen werden.

haGalil onLine 04-10-2002

 










 

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